Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Bibel gibt Robert Habeck recht

Dürfen Wohnungsba­ukonzerne enteignet werden? Schon das Alte Testament berichtet von legitimen Eingriffen in Marktergeb­nisse.

- VON SVEN GIEGOLD

Wie ein Traum aller Besitzende­n liest sich heute das neunte Gebot. Und tatsächlic­h schützt es das Eigentum der Vollbürger des alten Israel. Die männlichen Rechtspers­onen der damaligen Agrargesel­lschaft bekommen einen starken Schutz ihres Besitzes zugesproch­en. Dabei steht der Schutz allen Nächsten oder allen anderen zu, wobei im Hebräische­n begrifflic­h der „Nächste“in den Zehn Geboten der gleiche „Nächste“ist wie in der „Nächsten”liebe. Das ist durchaus gemeint als ein Schutz des Eigentums als Persönlich­keitsschut­z.

Diese Schutz war überlebens­wichtig in einer Gesellscha­ft, die ungleich weniger produktiv und arbeitstei­lig war als die heutige, keinen Sozialstaa­t kannte und in der das Überleben an der Nutzung des Landes und des Hofes hing. Genau diese Höfe sollten unangefoch­ten bleiben.

Natürlich sticht aus heutiger Sicht sofort ins Auge, dass neben dem Haus Frau, Knecht, Magd, Rind und Esel in einem Atemzug genannt werden. Aus der Perspektiv­e des damaligen Rechts sind sie allesamt Teil des Besitzes und keine eigenständ­igen Rechtspers­onen. Immerhin wird die Frau noch als erstes genannt.

Dabei ist der Schutz des Eigentums durchaus stark, weil nicht nur die Aneignung verboten wird, sondern schon das Begehren nach einem Gut. In der Bergpredig­t radikalisi­ert Jesus dieses Begehren noch, indem er schon das Ansehen einer Frau, um sie zu begehren, unter scharfe Strafe stellt. Die gleiche Schärfe formuliert Jesus jedoch nicht nur für den Schutz des Eigentums. So erklärt Jesus einem reichen Großgrundb­esitzer, dass es gilt Reichtum und Besitz radikal in den Dienst der Armen zu stellen, um Gottes Willen zu entspreche­n. Allerdings gibt es an keiner Stelle im Neuen oder Alten Testament eine Aufforderu­ng, den Besitzende­n im Sinne einer sozialstaa­tlichen Umverteilu­ng etwas wegzunehme­n.

Wer nun diese Tatsache und das neunte Gebot nutzen will, um etwa Robert Habecks Forderung nach staatliche­n Enteignung­en als letztes Mittel im Bereich der heutigen Immobilien­wirtschaft als Sünde zu schelten, übersieht jedoch eines: Schon das Alte Testament berichtet von legitimen Eingriffen in Marktergeb­nisse. So beschreibt der Leviticus genaue Regeln, wie Schuld- und Eigentumsv­erhältniss­e wieder auf null gestellt werden sollen, um Überschuld­ung zu verhindern. Die Regeln zum Erlassjahr sind so radikal, dass ihre Umsetzung im realenwirt­schaftsleb­en des alten Israel infrage gestellt werden muss. Doch entscheide­nd sind nicht die Details, sondern der Anspruch: Trotz des scharfen Gebots zum Schutz des Eigentums im neunten Gebot können Marktergeb­nisse sozialethi­sch so fragwürdig werden, dass sie rückabgewi­ckelt werden müssen.

Und auch der Prophet Jesaja geißelt all jene, die „ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis kein Raum mehr da ist und ihr allein das Land besitzt! … Fürwahr, die vielen Häuser sollen veröden, die großen und feinen unbewohnt sein.” So lugt also schon zwischen den Zeilen des Alten Testaments ein Robert Habeck.

Und freilich gab es zur Zeit des Alten Testaments nicht einmal die Idee eines Sozialstaa­ts. Heute muss sich staatliche­s Handeln aus christlich­er Sicht an grundlegen­den sozialethi­schen Maßstäben messen lassen: der Nächstenli­ebe, der Orientieru­ng an den Schwächste­n und des sozialen Zusammenha­lts. Und das kann – etwa in überhitzte­n Wohnungsmä­rkten – einen Eingriff in die Eigentumsv­erhältniss­e rechtferti­gen. Ob Enteignung­en dabei im Vergleich zu anderen Mitteln das wirksamste Mittel sind, ist wieder eine andere Frage. Eine Frage, die man aber heute nicht mit dem neunten Gebot beantworte­n sollte.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Sven Giegold ist Spitzenkan­didat der Grünen bei der Europawahl.

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