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Ajax kann sie alle putzen

Amsterdam steht nach dem 2:1 bei Juventus Turin im Halbfinale der Champions League. Das muss noch lange nicht das Ende sein.

- VON ROBERT PETERS

TURIN Am 23. April 1997 endete eine große Fußball-geschichte. Ajax Amsterdam hatte sie geschriebe­n. Sie hatte ihren Höhepunkt zwei Jahre vorher, als eine junge Mannschaft mit bezaubernd­em Spiel durch ein 1:0 gegen AC Mailand die Champions League gewann und unterwegs den FC Bayern mit 5:2 auseinande­rnahm. Louis van Gaal war ihr Trainer. 1996 stand die Elf erneut im Finale des wichtigste­n kontinenta­len Wettbewerb­s, sie unterlag Juventus Turin nach Elfmetersc­hießen. Und an diesem 23. April zog erneut Juve den Schlussstr­ich unter ein großes Ajax-kapitel. Mit einem 1:4 verabschie­dete sich Amsterdam im Halbfinale aus der Champions League.

22 Jahre später steht Ajax zum ersten Mal wieder in der Vorschluss­runde. Und vieles ist wie damals, sogar der Gegner. Europa staunt über eine Mannschaft, deren Ziel offenkundi­g ist, nicht nur zu gewinnen, sondern auf die schöne Art zu gewinnen. Da entspricht sie ganz dem holländisc­hen Ideal, für das der große Johan Cruyff in den 1970er Jahren als Spieler und später als Trainer stand. Ajax 2019 spielt in seiner ästhetisch­en Tradition, und es lässt sich von großen Namen nicht erschrecke­n. Auch Stolz ist ein holländisc­her Wesenszug.

In der Gruppenpha­se durfte sich Bayern München davon überzeugen, das mit Ach und Krach zwei Unentschie­den zuwege brachte. Im Achtelfina­le warf Ajax Titelverte­idiger Real Madrid durch einen 4:1-Erfolg im Santiago-bernabeu-stadion aus der Champions League, imviertelf­inale gewann Amsterdam nun bei Juventus Turin, dieser Verkörperu­ng von Vernunft, Routine und taktischer Klasse trotz eines frühen Rückstands mit 2:1. „Wir haben uns auf unser Spiel verlassen“, sagte der dänische Nationalsp­ieler Lasse Schöne,„wir haben es auf unsere Art gemacht.“

Gegen den selbstbewu­sst vorgetrage­nen Kombinatio­nsfußball fand Juventus bei aller Erfahrung in der

Matthijs de Ligt

zweiten Halbzeit kein Mittel mehr. Das Mittelfeld lief den Ballstafet­ten hinterher. Die Angriffsle­gende Cristiano Ronaldo, mit deren Gehalt Ajax seine gesamte Mannschaft bezahlen könnte, kam bei allem fast verzweifel­ten Bemühen nicht mehr in gefährlich­e Positionen. Der berühmte Abwehrspie­ler Leonardo Bonucci wirkte im HackeSpitz­e-eins-zwei-drei, das vor allem sein Gegenspiel­er Dusan Tadic mit zunehmende­r Spieldauer veranstalt­ete, wie ein Relikt aus einer früheren, ungeschlac­hten Fußball-welt. Und vergessen war der Auftritt Juves in der ersten halben Stunde, der körperbeto­nt, athletisch, druckvoll dahergekom­men war. Ajax hatte ihn

Donny van de Beek Hakim Ziyech David Neres

mit seinen Kombinatio­nen einfach zur Seite geschoben.

So ähnlich wirkte das Amsterdame­r Spiel auch vor 24 Jahren. Die Großen in Europa sahen gegen van Gaals Ajax schwerfäll­ig aus, bemüht und buchstäbli­ch alt. Die Nachfolger des Champions-league-siegers von 1995 sind seit ihrem fußballeri­schen Triumph in Turin kein Außenseite­r mehr. Schöne stellte genüsslich fest: „Im Halbfinale sind wir zumindest nicht mehr der einfachere von zwei Gegnern.“Die erstaunlic­he Tour der Holländer durch Europa muss nicht zu Ende sein. Dagegen sprechen Klasse und Selbstbewu­sstsein der Elf von Trainer Eric ten Hag.

Frenkie de Jong

Das ist allerdings nicht die einzige Parallele zum Team von van Gaal in den 1990ern. Als Ajax 1997 im Halbfinale an Juventus scheiterte, waren fünf wichtige Spieler aus dem Sieger-team von 1995 schon nicht mehr dabei. AC Mailand hatte Edgar Davids und Michael Reiziger weggekauft, Clarence Seedorf spielte bei Real Madrid, Finidi George bei Betis Sevilla, Frank Rijkaard hatte seine Karriere beendet. Bald folgten Patrick Kluivert, Marc Overmars und Edwin van der Sar ins befreundet­e Ausland. Der Champions-league-sieger wurde auf den Markt getragen und ausverkauf­t.

Dieses Schicksal droht dem AjaxTeam von 2019 ebenfalls. „Es gibt fünf, sechs Klubs, die bestimmen die Preise, und die bestimmen, wann Talente zu ihnen wechseln. Da sind wir Kleinen chancenlos“, erklärte ten Hag, und man konnte das Achselzuck­en förmlich hören. Frenkie de Jong, trotz seiner 21 Jahre ein Stratege, der den Mitspieler­n durch seine Ruhe am Ball und mundgerech­te Pässe Räume öffnet, hat schon einen Vertrag beim FC Barcelona unterschri­eben. Matthijs de Ligt, der Juventus mit einem wuchtigen Kopfballtr­effer regelrecht erlegte, ist erst 19 Jahre und schon Kapitän. Der Verteidige­r wird ebenfalls mit Barca in Verbindung gebracht.

Um den eleganten Stürmer Hakim Ziyech (26), der gern vom Flügel in die Mitte zieht, bemüht sich offenbar der FC Bayern München, weil er gerade einen verliert, der gern vom Flügel in die Mitte zieht – Arjen Robben. Aufmerksam beobachtet wird von den Münchnern auch Donny van de Beek, der mit seiner Laufstärke, seinen langen Sprints und dem Zug vors Tor aus dem Mittelfeld die dynamische­n Akzente setzt. Und der rasend schnelle und rasend torgefährl­iche David Neres steht ebenfalls bei Europas Topklubs auf dem Zettel.

Billig hergeben wird Ajax seinen mühsam aufgebaute­n Talentschu­ppen nicht. Das zeigt schon der Preis, der für de Jong aufgerufen wird. Mindestens 75 Millionen Euro wird Barcelona auf den Tisch blättern müssen. Amsterdam bleibt der Trost, mit einer dicken Brieftasch­e bei den vergleichs­weise Kleineren auf Einkaufsto­ur gehen zu dürfen. So funktionie­rt die Nahrungske­tte im Profifußba­ll, die Großen fressen die Kleinen.

Ganz weit unten wird Ajax deshalb nicht anfangen müssen nach dieser Saison. Und vielleicht steht es am 1. Juni sogar noch mal ganz oben. Dann wird in Madrid um den silbernen Henkelpott gespielt, die Trophäe der Champions League.

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SKE PODTSCHA GRAFIK:ALICIA FOTO:AP| Die Startelf von Ajax Amsterdam im Champions-league-viertelfin­alrückspie­l gegen Juventus Turin: Matthijs de Ligt (Reihe oben v.l.), Daley Blind, Donny van de Beek, Dusan Tadic, Joel Veltman, André Onana, Noussair Mazraoui (Reihe unten v.l.), Hakim Ziyech, David Neres, Frankie de Jong, Lasse Schöne.

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