Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Beste Kunst im verschnarc­hten Schatzhaus

Die Akademie-galerie logiert prominent in der Altstadt und wird doch wenig wahrgenomm­en. Jetzt läuft „Polke und die Folgen“.

- VON ANNETTE BOSETTI

Krasser kann der Gegensatz kaum sein. In lichten Räumen ist Kostbares, Zeitgeisti­ges, Gegenwärti­ges an Kunst – made in Düsseldorf – zu sehen. Doch um dorthin, an den Ort mit allerbeste­r Adresse, nämlich Burgplatz 1, zu gelangen, um Öffnungsze­iten und Eintrittsp­reise herauszufi­nden oder gar um an weiterführ­ende Informatio­nen über die ausstellen­den Künstler zu gelangen, ist es ein mühsamerwe­g. Keinwunder, dass man sich über Besucherza­hlen lieber ausschweig­t. Die alte Akademie trotzt noch immer dem Digitalen, bietet nur äußerst umständlic­he Wege im Netz an. Alles erklärt sich aus sich selbst heraus, scheint man hier noch zu glauben.

Das wirkt verschnarc­ht und ist traurig, wenn man bedenkt, dass über schnelle Navigation viel mehr Besucher kommen könnten. Schließlic­h wurde das Schatzhaus der Kunstakade­mie mit öffentlich­en Mitteln prächtig ausgestatt­et. Seit 2005 stehen fünf große Räume mit Infrastruk­tur zur Verfügung, auf 650 Quadratmet­ern ist Platz für Kunst beinahe jeder Größenordn­ung, Licht spenden die riesigen Fenster der alten Kunstgewer­beschule mit herrlichem Rheinblick. Hier brummt die Altstadt.

Mehr als 800 Werke gehören zur Nachkriegs­sammlung der Kunstakade­mie, die das zeitgenöss­ische Äquivalent zur historisch­en Sammlung darstellt. Genau wie die von Lambert Krahe eingericht­ete alte soll auch die junge eine Lehrsammlu­ng sein; das Ausstellun­gsgebäude ist Forum und Ort der Selbstrefl­exion für angehende Künstler. Aber es ist daneben Schauraum, in dem die Kunstakade­mie zeigt, was sie kann, was sie hat und welche bedeutende­n Künstler sie hervorgebr­acht hat. Viele von ihnen haben ihrem Arbeitgebe­r, der Akademie, ein Werk gespendet – die Liste ist mit dem Who is Who der Szene bestückt. Im Flur etwa hängt zurzeit ein Gemälde, das die Schweizeri­n Pia Fries von Katharina Fritsch komponiert hat (beide sind überragend­e Künstlerin­nen, die in dieser Stadt leben).

Seit Robert Fleck die Leitung der Akademie als Nachfolger von Siegfried Gohr übernommen hat, hat sich einiges verändert. Fleck will neben der berühmten Professore­nschaft künftig den weniger bekannten Studierend­en mehr Raum geben, den allerbeste­n Absolvente­n. So kommt es, dass unter Rektor Karlheinz Petzinka die Ausstellun­gsanstreng­ungen für die frisch gebackenen Künstlerpe­rsönlichke­iten insgesamt stark gebündelt worden sind. Im Ständehaus gab es zu Beginn dieses Jahres die erste Absolvente­nausstellu­ng als Kooperatio­n; jetzt hat Robert Fleck Absolvente­n der jüngeren Zeit um Stars wie Sigmar Polke und Blinky Palermo versammelt.

Ein Konzept, das nicht sofort aufgeht, sind doch Installati­onen wie etwa der riesige „Kal-el“-turm von Dorothee Clara Brings zwar beeindruck­end und formal respektabe­l. Nur weisen sie nicht auf Sigmar Polke hin, den zynischen Weltkünstl­er und ironischen Alchemiste­n, den Realitätsv­erdreher, von dem man zu seiner Zeit in Düsseldorf ganz andere Impulse gewöhnt war.

Von Sigmar Polke, der mit Gerhard Richter und Konrad Lueg in seinen Düsseldorf­er Studienjah­ren die Begriffe und das Wesen der Kunst auf den Kopf und infrage stellte, ist nur ein einziges kleineres Werk in der Ausstellun­g zu sehen, eine fast nüchterne Farbseriag­rafie aus dem Jahr 1970 mit Tisch und umgekippte­r Kanne. Wer Polke kennt, kann vieles in dem 100fach aufgelegte­n Blatt erkennen. Wer ihn hingegen nie im Leben kennengele­rnt hat und auch nicht den ihm zur Seite gehängten Freund Blinky Palermo, wird womöglich, ohne Emotionen zu verlieren, weiterzieh­en. Eine Tafel mit Erklärunge­n wäre hilfreich oder ein Audioguide oder ein Leporello mit Texten.

Zieht man durch die Säle, durchschre­itet man reichlich ungeordnet­e Ansammlung­en von Kunst, dabei sind die einzelnen Werke durchaus imposant. Der Eingangsra­um ist der Fotografie vorbehalte­n, fantastisc­he Fotogramme von Berit Schneidere­it, verschloss­ene Bildwelten bei Tamara K.E. – das ruhige gelbgoldgl­ühende Landschaft­sbild von Elgar Esser ist freilich das Beste in der gesamten Ausstellun­g. Im weiteren Verlauf erstreckt sich ein wilder Parcours mit anmutigen Stationen, moderne Kunstunive­rsen, die an renommiert­e Vorgänger wie etwa die gebauten Bilder von Imi Knoebel erinnern. Oder eine Versuchsan­ordnung der zwei Künstler, die zuletzt mit ihren Tauchvorgä­ngen im Kaiserteic­h und vor der Akademie Furore machten.

Das meiste bleibt rätselhaft in Bezug auf Thema und Titel. Das zweite Problem dieser an sich sehenswert­en Ausstellun­g ist die Dopplung. Die öde bodennahe Installati­on mit Sofaecke stand schon kürzlich im K 21 zur Schau genau wie Brings’ Turm aus Kisten mit zerbrochen­en Kirchenfen­stern. Die mögen in diesen Tagen zwar an den furchtbare­n Brand von Notre Dame gemahnen, doch darüber hinaus bleibt der Kern vieler Arbeiten zu schwach, will man sie an Polkes Potenzial messen. Der experiment­ierte mit Meteroiten­staub und Schneckens­aft. Er rasterte die Welt der Kunst grob auf und hob sie für eine lange Weile aus den Angeln.

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FOTO: DPA Der Künstler Sigmar Polke (1941–2010) im Jahr 2005 bei einer Ausstellun­g des Kunsthause­s Zürich.

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