Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Schmuckstück auf dem Hügel
Der Liedberger Mühlenturm ist rund 900 Jahre alt. Die ältesten Gebäudeteile der Burg sind aus dem 14. Jahrhundert.
LIEDBERG Im historischen Ensemble auf dem Hügel gibt es kaum eingebäude, das nicht als Denkmal ausgewiesen ist. Liedbergs Charme machte den Ortsteil zum heimlichen Star der Krimireihe„mord mit Aussicht“. Dass dieses Schmuckstück mit historischer Bausubstanz nicht in der Eifel, sondern am Niederrhein liegt, tut der Wertschätzung keinen Abbruch. Clara Ritters hat Zeit ihres bisherigen Lebens im Eckhaus an der Schlossstraße 24 gelebt. Die 84-jährige betont, eine geborene Onkelbach zu sein, da der Name im Ort präsent ist. „Wir haben auch immer das Kreuz versorgt“, sagt Ritters in einer Hinwendung Richtung Schlosskapelle mit dem Kreuz an der Außenseite. Sie erzählt von der Besatzungszeit nach dem zweiten Weltkrieg, als ein amerikanischer Arzt „bei uns im Wohnzimmer“Soldaten versorgte.„imwinter sind wir mit Schlitten gefahren von oben beim Schloss, vorbei am Burghof Scherer und über die Landstraße hinweg bis vor das Tor des heutigen Landgasthauses. Da lag ja noch Schnee“, erinnert sich Heinz Blankenstein. Der 84-Jährige wurde in der Fachwerkhofanlage geboren, die heute als Sandbauernhof bekannt ist. Dort wohnte er, bis er mit seiner Frau auf dem elterlichen Grundstück gegenüber baute.
Als Fremdenführer kennt Gerd Busch Fakten und Geschichten, wie die schaurigen aus der Zeit, als erst beim Schloss und später beim Weinhaus Recht gesprochen und ausgeübt wurde. Ebenso weiß Busch manch halb vergessene Sitte zu berichten. „Passend zur Osterzeit gab es Ende des 19. Jahrhunderts in den Gaststätten Liedbergs und Umgebung den Brauch bei der Bierbestellung ein buntes Ei vom Gastwirt zu erhalten. Später wurde bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs anstelle der Eier eine Zigarre zu Ostern gereicht“, erzählt Busch. Er kennt die Standorte, die einen Blick auf mehrere Epochen freigeben:
Vom früheren Hopfengarten aus scheinen sich Mühlenturm, Schlosskapelle und Burganlage auf einer Linie zu reihen. Der Turm wurde um 1100 erstmals urkundlich erwähnt. Nach Ansicht von Experten könnte er bereits um 900 gebaut worden sein. Die Schlosskapelle erhielt 1707 ihre heutige Gestalt. Zuvor stand an gleicher Stelle ein kleines Gotteshaus aus Lehmfach. „Das war so klein, dass es auf Holzstämme gehoben und vor den Mühlenturm geschoben wurde. Darin soll erst der Kaplan gewohnt haben“, erzählt Busch. Die ältesten erhaltenen Teile der Burganlage wurden im 14. Jahrhundert errichtet und im 16. sowie frühen 17. Jahrhundert erweitert. Schlossvogt Damian Hermann Nideggen ließ zwischen 1705 und 1708 hinter dem Hauptturm anbauen. Es fasziniert Busch, dass Sonnenkönig Ludwig der XIV Schloss Liedberg besuchte, um sich mit Erzbischof Josef Clemens zu beraten. Dank der aufwendigen Restaurierungsarbeiten, die der Unternehmer Peter Overlack durchführen ließ, thront die Burganlage nach Jahren des Zerfalls wieder erhaben auf dem Hügel.
Der Ort wurde im 17. Jahrhundert fast zerstört und wiederaufgebaut. Seit 1760 soll sich seine Silhouette kaum verändert haben. Der Mühlenturm bietet einen traumhaften Blick von oben auf das Ensemblemit mehr als 60 Einzeldenkmälern. Der historische Ortskern dient heute als Schauplatz vieler Veranstaltungen.