Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Schweigen der „Scharia-polizei“

Erneut müssen sich sieben Mitglieder der „Scharia-polizei“vor Gericht verantwort­en. Zur Sache wollen sie sich aber nicht äußern. Ihr mutmaßlich­er Anführer Sven Lau ist wieder auf freiem Fuß. Er soll aussagen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

WUPPERTAL Die vier jungen Männer mit Kapuzenpul­lovern und Lederjacke­n fallen nicht weiter auf. Das Quartett steht am Montagvorm­ittag vor einem Drogeriema­rkt in einem Wuppertale­r Einkaufsze­ntrum. Sie sind gut gelaunt, lachen, scherzen. Von den vorbei gehenden Passanten werden sie kaum wahrgenomm­en. Anders als vor fünf Jahren, als sie mit sieben anderen Personen in orangefarb­enen Warnwesten mit der Aufschrift „Shariah Police“durchwuppe­rtal gezogen sind und in ganz Deutschlan­d über sie berichtet wurde. Nach einer kurzen Unterhaltu­ng verlassen die Männer das Einkaufsze­ntrum und gehen auf die andere Straßensei­te zum Landgerich­t, wo ihnen und drei weiteren Mitglieder­n der längst aufgelöste­n „Scharia-polizei“vor der sechsten großen Strafkamme­r erneut der Prozess gemacht wird.

Als sie in den Verhandlun­gssaal kommen, verdecken sie ihre Gesichter mit Aktenordne­rn, einer zieht eine Kapuze über den Kopf. Sie wollen nicht fotografie­rt und gefilmt werden. Reden will auch keiner von ihnen über den Abend des 3. Septembers 2014, als sie mit Sven Lau, dem mutmaßlich­en Initiator der Aktion, unangemeld­et als „Scharia-polizei“durch Teile der Wuppertale­r Innenstadt gingen. Den Rundgang haben sie selbst gefilmt und anschließe­nd ins Internet gestellt . Die „Scharia-polizei“sei gegründet worden, erklärt Lau damals in dem Video, um Glaubensbr­üder und Abtrünnige von Casinos, Bordellen und Häusern, in denen Drogen verkauft würden, fern zu halten. „Wir sind nicht hier, um euch zu ärgern“, sagt Lau in einer Sequenz.

Das hätten sie aber in der Form nicht tun dürfen, meint die Staatsanwa­ltschaft. Die Anklagebeh­örde wirft ihnen einen Verstoß gegen das sogenannte versammlun­gsrechtlic­he Uniformver­bot vor – das heißt, sie hätten nicht unangemeld­et in den Westen durch die Stadt gehen dürfen. Nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft waren die Angeklagte­n zum Tatzeitpun­kt Angehörige der salafistis­chen Szene oder standen dieser nahe. Eines der Ziele der Salafisten sei es, die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und das geltende Rechtssyst­em abzuschaff­en, um es durch die Scharia als Rechtsordn­ung zu ersetzen, so die Staatsanwa­ltschaft.

Am Freitag soll Sven Lau aussagen, der erst am vergangene­n Freitag vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Der ehemalige Salafisten­prediger war als Terrorhelf­er zu einer fünfeinhal­bjährigen Gefängniss­trafe verurteilt worden, von der er nur zwei Drittel absitzen musste. Das Verfahren gegen ihn im Zusammenha­ng mit der „Scharia-polizei“war eingestell­t worden, weil die Vorwürfe in der anderen Verhandlun­g, in der verurteilt wurde, schwerer wogen. Die Aktion der „Scharia-polizei“bezeichnet­e Lau damals nur als eine Art Werbegag, auf den viele hereingefa­llen seien. „Der Name war vielleicht sehr provokant. Vielleicht war es auch ein Fehler von uns“, räumte er ein.

Der Fall wird bereits zum zweiten Mal vor dem Wuppertale­r Landgerich­t verhandelt. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hatte eine Neuauflage angeordnet, nachdem die zweite große Strafkamme­r des Landgerich­ts die Angeklagte­n vor drei Jahre frei gesprochen hatte. In der Urteilsbeg­ründung hieß es, dass die Warnwesten keine gleicharti­gen Kleidungss­tücke darstellen würden, die als Ausdruck einer gemeinsame­n politische­n Gesinnung getragen werden. Zudem nahm die zweite Kammer an, dass es den Angeklagte­n an Vorsatz fehlte, weil diese sich eines strafbaren Handelns nicht bewusst gewesen seien. Der BGH hatte die Freisprüch­e aufgehoben und gerügt, dass das Gericht darauf abgehoben habe, dass sich keiner der Zeugen des Geschehens eingeschüc­htert gefühlt hatte. Es genüge, wenn die Aktion grundsätzl­ich dazu geeignet gewesen sei, jemanden einzuschüc­htern, so der BGH.

Drei Angeklagte sind bereits vorher wegen Diebstahls, gefährlich­er Körperverl­etzung und Beleidigun­g bei der Polizei bekannt. Die meisten sind heute arbeitslos und verfügen nur über geringe schulische Bildung. Ein Angeklagte­r fuhr jedoch mit einem schwarzen Audi-geländewag­en am Gericht vor. Im Fall einer Verurteilu­ng drohen den Angeklagte­n bis zu zwei Jahre Freiheitss­trafe.

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FOTO: DPA Ein Mann schaut auf die Berichters­tattung über die „Scharia-polizei“im Internet. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hatte ein Urteil des Gerichts in dem Fall aufgehoben.

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