Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die wollen nur spielen
INFO Warum Kinder spielen müssen
ANALYSE Deutschland wird älter. Zugleich wächst der Wunsch, die Kindheit bis weit ins Erwachsenenalter zu verlängern. Spiel und Spaß prägen eine Gesellschaft, die nach Ansicht von Kritikern Wesentliches aus den Augen zu verlieren droht.
Im Zelt schlafen, auf Bäume klettern und in den Wiesen toben – herrlich! Den ganzen Tag Bogenschießen, Lego bauen und sich das Gesicht bunt anmalen – ein Traum! „Lass uns gemeinsam die Welt vergessen und glücklich herumpurzeln“– welche Verheißung! Kinderherzen schlagen jetzt höher.
Doch was ist das? Die Werbung für ein Ferienlager richtet sich gar nicht an die lieben Kleinen beziehungsweise an deren zahlungskräftige Eltern. Zugang zum Camp irgendwo in Norddeutschland haben ausschließlich Menschen, die mindestens 18 Jahre alt sind. „Älter werden müssen wir alle – erwachsen nicht unbedingt“, lautet das Motto für ein langes Wochenende, an dem Erwachsene „ihr inneres Kind leben lassen“sollen.
Bis weit ins nächste Jahr hinein sind Termine für einen Besuch im Spaßresort bereits ausgebucht. Nicht weiter schlimm: Es finden sich schließlich jede Menge lustiger Alternativen: Malbücher für Erwachsene boomen seit Jahren, Spielplätze zum Ü-18-toben auch. Die E-scooter, die jetzt die Innenstädte erobern, erinnern mehr an ein Spielzeug als an ein ernsthaftes Fortbewegungsmittel, und den Piloten darauf scheint genau das zu gefallen. Am Wochenende brechen Schatzsucher weit jenseits der Volljährigkeit mit Gps-geräten bewaffnet durchs Unterholz, um beim Geocaching Verstecke aufzuspüren.
Nicht zu vergessen jene Älteren, die sich bei „Paintball“mit farbigen Kugeln beschießen. Auch das beliebte Spiel „Escape Room“, bei dem eine Gruppe Rätsel lösen muss, um sich aus einem Zimmer zu befreien – es wurde nicht für einen Kindergeburtstag konzipiert. Für Kommentare jeglicher Art steht ein ganzes Arsenal an kindlichen Symbolen zur Verfügung: „Smily“, „Daumen hoch“oder doch lieber das Emoji mit den Herzchen im Gesicht, wo sonst die Augen sind? Schließlich: Das, was das Bürgertum einst als Privileg betrachtete, wird heute von Erwachsenen in den sozialen Netzwerken mit geradezu kindlicher Naivität preisgegeben: das Private.
Dass die Alten die Jungen imitieren und nicht umgekehrt, bleibt ein relativ frisches Phänomen in der langen Geschichte der Menschheit. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Älterwerden in der westlichen Zivilisation stigmatisiert. Aus Leuten wurden Kinder – ein Trend, der sich verstetigte. Sagenhafte 35 Jahre beträgt die Altersspanne der für die Unterhaltungsindustrie wichtigsten Zielgruppe: von 14 bis 49.
Die Grenzen zwischen den Generationen verschwimmen auch deshalb dramatisch, weil anders als früher Eltern dazu neigen, Kinder als nahezu gleichwertige Partner betrachten. Das führt aktuell dazu, dass die Art und Weise, mit der Schüler für ein ernsthaftes Anliegen – den Klimaschutz – demonstrieren, nicht nur auf breite Akzeptanz stößt, sondern sogar Solidarität hervorruft, obwohl das Verhalten der jungen Leute im Prinzip einer kindlichen Trotzreaktion gleicht: Wir gehen freitags solange nicht zur Schule, bis die da oben etwas tun.
Mittlerweile sprechen Wissenschaftler von der Infantilisierung der Gesellschaft – und warnen vor den Folgen: Jugendwahn, Körperkult, Narzissmus und einer sinkenden Bereitschaft, Bindungen einzugehen oder Verantwortung zu übernehmen. Der österreichische Philosophie-professor Robert Pfaller zieht gar eine Parallele zwischen der allgemeinen Infantilisierung der Menschen und der Erosion von Demokratie: „Demokratie beruht auf dem Prinzip, dass alle sich um das kümmern, was alle angeht. Wenn durch Infantilisierung Leute zunehmend dazu erzogen werden, sich nur noch um das zu kümmern, was sie persönlich betrifft, dann ist eine Voraussetzung von Demokratie zerstört“, so Pfaller in der „taz“.
Von wegen also, die wollen nur spielen? Robert Harrison Literaturprofessor Für Kinder ist Spielen von fundamentaler Bedeutung. Es geht um nichts weniger als um die Weichenstellung für das spätere Leben. Selbstbewusstsein Spielen versetzt Kinder in die Lage, die Welt buchstäblich zu „begreifen“. Schon früh suchen sie sich beim Spielen immer neue Herausforderungen. Erfolgserlebnisse steigern das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Kinder werden auf diese Weise ermutigt, sich auch als Erwachsene neuen Aufgaben und Schwierigkeiten zu stellen.
„Verjüngung scheint heutzutage mit dem Auslöschen der Erinnerung einherzugehen“
Grenzerfahrung Besonders im Zusammenspiel mit anderen Kindern ist der Lerneffekt sehr hoch. Kinder lernen dabei nicht nur den Umgang mit eigenen Gefühlen, etwa Aggressivität, sondern können sowohl ihre eigenen Grenzen wie auch die von anderen Kindern erproben. So entwickeln sie eine hohe emotionale Intelligenz. Auch das Spielen innerhalb der Familie fördert den Zusammenhalt. Problembewältigung Kinder brauchen das Spiel auch, um Probleme zu verarbeiten, da ihnen andere Möglichkeiten der Bewältigung noch fehlen. Besonders im Rollenspiel ahmen sie Erlebtes nach und können es auf diese Weise begreifen. in Köln. Sie machen auf etwas aufmerksam, was mich bewegt. Diese Fotos erzählen davon, dass Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, ihr Zuhause in der Hand und im Herzen tragen, obwohl sie dieses vielleicht nie wiedersehen werden. Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg, und bis heute treiben Kriege mit ihren katastrophalen Folgen überall auf der Welt Menschen in die Flucht. Die Schlüssel in ihren Händen machen deutlich: Keiner von ihnen wurde freiwillig Flüchtling. Jeder kann seine Geschichte von Vertreibung, Not und Angst erzählen, die ihn zwang, die Wohnungstür ein letztes Mal zuzuschließen. „Mein ganzes Leben ist in meinem Haus“, so empfindet es Yusuf, 33 Jahre, ebenfalls aus Homs. Und Nagura, 45 Jahre, aus Harasta, spricht vielen aus dem Herzen: „Ich habe den Haustürschlüssel behalten, weil ich hoffe, irgendwann zurückkehren zu können.“Diese Schicksale zeigen, wie wichtig es ist, Flüchtlingen mit großem Respekt zu begegnen und in dem Bewusstsein: Vielleicht halten wir mit unserem Verhalten den Schlüssel für die Zukunft dieser Menschen in der Hand. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki schreibt hier an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de