Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die wollen nur spielen

INFO Warum Kinder spielen müssen

- VON MARTIN BEWERUNGE

ANALYSE Deutschlan­d wird älter. Zugleich wächst der Wunsch, die Kindheit bis weit ins Erwachsene­nalter zu verlängern. Spiel und Spaß prägen eine Gesellscha­ft, die nach Ansicht von Kritikern Wesentlich­es aus den Augen zu verlieren droht.

Im Zelt schlafen, auf Bäume klettern und in den Wiesen toben – herrlich! Den ganzen Tag Bogenschie­ßen, Lego bauen und sich das Gesicht bunt anmalen – ein Traum! „Lass uns gemeinsam die Welt vergessen und glücklich herumpurze­ln“– welche Verheißung! Kinderherz­en schlagen jetzt höher.

Doch was ist das? Die Werbung für ein Ferienlage­r richtet sich gar nicht an die lieben Kleinen beziehungs­weise an deren zahlungskr­äftige Eltern. Zugang zum Camp irgendwo in Norddeutsc­hland haben ausschließ­lich Menschen, die mindestens 18 Jahre alt sind. „Älter werden müssen wir alle – erwachsen nicht unbedingt“, lautet das Motto für ein langes Wochenende, an dem Erwachsene „ihr inneres Kind leben lassen“sollen.

Bis weit ins nächste Jahr hinein sind Termine für einen Besuch im Spaßresort bereits ausgebucht. Nicht weiter schlimm: Es finden sich schließlic­h jede Menge lustiger Alternativ­en: Malbücher für Erwachsene boomen seit Jahren, Spielplätz­e zum Ü-18-toben auch. Die E-scooter, die jetzt die Innenstädt­e erobern, erinnern mehr an ein Spielzeug als an ein ernsthafte­s Fortbewegu­ngsmittel, und den Piloten darauf scheint genau das zu gefallen. Am Wochenende brechen Schatzsuch­er weit jenseits der Volljährig­keit mit Gps-geräten bewaffnet durchs Unterholz, um beim Geocaching Verstecke aufzuspüre­n.

Nicht zu vergessen jene Älteren, die sich bei „Paintball“mit farbigen Kugeln beschießen. Auch das beliebte Spiel „Escape Room“, bei dem eine Gruppe Rätsel lösen muss, um sich aus einem Zimmer zu befreien – es wurde nicht für einen Kindergebu­rtstag konzipiert. Für Kommentare jeglicher Art steht ein ganzes Arsenal an kindlichen Symbolen zur Verfügung: „Smily“, „Daumen hoch“oder doch lieber das Emoji mit den Herzchen im Gesicht, wo sonst die Augen sind? Schließlic­h: Das, was das Bürgertum einst als Privileg betrachtet­e, wird heute von Erwachsene­n in den sozialen Netzwerken mit geradezu kindlicher Naivität preisgegeb­en: das Private.

Dass die Alten die Jungen imitieren und nicht umgekehrt, bleibt ein relativ frisches Phänomen in der langen Geschichte der Menschheit. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts wird das Älterwerde­n in der westlichen Zivilisati­on stigmatisi­ert. Aus Leuten wurden Kinder – ein Trend, der sich verstetigt­e. Sagenhafte 35 Jahre beträgt die Altersspan­ne der für die Unterhaltu­ngsindustr­ie wichtigste­n Zielgruppe: von 14 bis 49.

Die Grenzen zwischen den Generation­en verschwimm­en auch deshalb dramatisch, weil anders als früher Eltern dazu neigen, Kinder als nahezu gleichwert­ige Partner betrachten. Das führt aktuell dazu, dass die Art und Weise, mit der Schüler für ein ernsthafte­s Anliegen – den Klimaschut­z – demonstrie­ren, nicht nur auf breite Akzeptanz stößt, sondern sogar Solidaritä­t hervorruft, obwohl das Verhalten der jungen Leute im Prinzip einer kindlichen Trotzreakt­ion gleicht: Wir gehen freitags solange nicht zur Schule, bis die da oben etwas tun.

Mittlerwei­le sprechen Wissenscha­ftler von der Infantilis­ierung der Gesellscha­ft – und warnen vor den Folgen: Jugendwahn, Körperkult, Narzissmus und einer sinkenden Bereitscha­ft, Bindungen einzugehen oder Verantwort­ung zu übernehmen. Der österreich­ische Philosophi­e-professor Robert Pfaller zieht gar eine Parallele zwischen der allgemeine­n Infantilis­ierung der Menschen und der Erosion von Demokratie: „Demokratie beruht auf dem Prinzip, dass alle sich um das kümmern, was alle angeht. Wenn durch Infantilis­ierung Leute zunehmend dazu erzogen werden, sich nur noch um das zu kümmern, was sie persönlich betrifft, dann ist eine Voraussetz­ung von Demokratie zerstört“, so Pfaller in der „taz“.

Von wegen also, die wollen nur spielen? Robert Harrison Literaturp­rofessor Für Kinder ist Spielen von fundamenta­ler Bedeutung. Es geht um nichts weniger als um die Weichenste­llung für das spätere Leben. Selbstbewu­sstsein Spielen versetzt Kinder in die Lage, die Welt buchstäbli­ch zu „begreifen“. Schon früh suchen sie sich beim Spielen immer neue Herausford­erungen. Erfolgserl­ebnisse steigern das Selbstbewu­sstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeite­n. Kinder werden auf diese Weise ermutigt, sich auch als Erwachsene neuen Aufgaben und Schwierigk­eiten zu stellen.

„Verjüngung scheint heutzutage mit dem Auslöschen der Erinnerung einherzuge­hen“

Grenzerfah­rung Besonders im Zusammensp­iel mit anderen Kindern ist der Lerneffekt sehr hoch. Kinder lernen dabei nicht nur den Umgang mit eigenen Gefühlen, etwa Aggressivi­tät, sondern können sowohl ihre eigenen Grenzen wie auch die von anderen Kindern erproben. So entwickeln sie eine hohe emotionale Intelligen­z. Auch das Spielen innerhalb der Familie fördert den Zusammenha­lt. Problembew­ältigung Kinder brauchen das Spiel auch, um Probleme zu verarbeite­n, da ihnen andere Möglichkei­ten der Bewältigun­g noch fehlen. Besonders im Rollenspie­l ahmen sie Erlebtes nach und können es auf diese Weise begreifen. in Köln. Sie machen auf etwas aufmerksam, was mich bewegt. Diese Fotos erzählen davon, dass Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, ihr Zuhause in der Hand und im Herzen tragen, obwohl sie dieses vielleicht nie wiedersehe­n werden. Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg, und bis heute treiben Kriege mit ihren katastroph­alen Folgen überall auf der Welt Menschen in die Flucht. Die Schlüssel in ihren Händen machen deutlich: Keiner von ihnen wurde freiwillig Flüchtling. Jeder kann seine Geschichte von Vertreibun­g, Not und Angst erzählen, die ihn zwang, die Wohnungstü­r ein letztes Mal zuzuschlie­ßen. „Mein ganzes Leben ist in meinem Haus“, so empfindet es Yusuf, 33 Jahre, ebenfalls aus Homs. Und Nagura, 45 Jahre, aus Harasta, spricht vielen aus dem Herzen: „Ich habe den Haustürsch­lüssel behalten, weil ich hoffe, irgendwann zurückkehr­en zu können.“Diese Schicksale zeigen, wie wichtig es ist, Flüchtling­en mit großem Respekt zu begegnen und in dem Bewusstsei­n: Vielleicht halten wir mit unserem Verhalten den Schlüssel für die Zukunft dieser Menschen in der Hand. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki schreibt hier an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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FOTO: DPA Im Bällebad haben auch manche Erwachsene Spaß.

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