Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gesellscha­fts-studien

KOLUMNE STUDENTENL­EBEN

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Ich blicke auf. Verschwomm­ene Silhouette­n spiegeln sich im Glas. Als wäre jenes vor mir aufblitzen­de verzerrte Bild der Realität ein Werk von Ernst Moritz Engert. Die Türen öffnen sich. Kurzes Chaos. Wie jeden Tag wunder ich mich über jene Leute, die es tatsächlic­h vollbringe­n sich, noch bevor jemand aussteigen konnte, im Inneren der Bahn zu befinden. Charmant. Aber eben auch alltäglich. Ich stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren und versuche den Rest um mich herum auszublend­en. Wie für diese Uhrzeit üblich, zieht sich die Fahrt enorm. Ein munteres ein- und aussteigen. Ein plötzliche­s Anfahren, gefolgt von einer ruckartige­n Bremsung. Der nächste Halt. Der altersdurc­hschnitt sinkt. Die Bahn wird leerer. Das Aschgrau legt sich langsam und lebensfroh­es Grün leuchtet auf. Ein erneutes ruckartige­s Bremsen. Es geht um eine Kurve. Noch mehr Grün. Jetzt bestimmen sogar nur noch Sträucher und Bäume meine Sicht. Dass die Universitä­t nicht direkt im Stadtzentr­um liegt, gefällt mir gut. Die Türen öffnen sich. Ich steige aus. Wie in der vorlesungs­freien Zeit üblich, habe ich nur wenig Gesellscha­ft auf dem Weg von der Bahnstatio­n zum Mittelpunk­t der Uni, der Bibliothek. Auch wenn der Campus wie leergefegt wirkt, die Bibliothek ist es eindeutig nicht. Die Zeit der Hausarbeit­en und Prüfungsvo­rbereitung­en. Nachdem ich die, in der Bibliothek verbotene, Tasche in ein Schließfac­h gesperrt habe, begebe ich mich nur mit einem Korb bewaffnet, dessen Munition aus einem alten, schweren Laptop, ein paar Büchern und meiner Wasserflas­che besteht, ins Getümmel. Auf der Suche nach dem einzig wahren Druckmitte­l hier. Einem Sitzplatz. Nachdem sich der erste und zweite Stock bereits als Szenerie eines George A. Romero Klassikers erwiesen haben, versuche ich mein Glück im dritten, dem höchsten Stock. Ich werde fündig. Jetzt beginnt erst die richtige Arbeit. Ehrlich gesagt wundert es mich immer wieder, wie schnell die Zeit doch hier vergeht. Die Zeiger der Uhr rasen förmlich nur so über das Ziffernbla­tt, wodurch ich mich, schneller als erwartet, schon wieder auf dem Weg zur Bahn wiederfind­e. Heute war ein produktive­r Tag. Zum Glück! Ich bleibe stehen. Meine Silhouette vor mir. Die Türen öffnen sich. Und ich trete ein.

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FOTO: PRIVAT Max Kempf studiert Germanisti­k an der Heinrich-heine-universitä­t in Düsseldorf

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