Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

So klingt das New Fall Festival

Das Herbstfest­ival für Musik und Streitkult­ur brachte Künstler wie Apparat und Alligatoah in die Stadt.

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Das Wochenende gehörte dem New Fall Festival. An verschiede­nen Orten fanden Konzerte und Diskussion­en statt, Düsseldorf klang selten so gut. Stellvertr­etend für die Fülle an Veranstalt­ungen haben unsere Autoren drei Ereignisse besucht. Alligatoah in der Tonhalle „Alli-alligatoah, Alli-alligatoha“singt das Publikum, theatralis­ch reißt Lukas Strobel das Mikro vom Mund zur Menge und zurück: er die Strophe, das Publikum den Refrain. Es hat Sekunden gedauert, bis der Sänger und Rapper sich die etwas spröde Kulisse der Tonhalle angeeignet und zu seiner Bühne gemacht hat. Er rattert Zeilen herunter, singt mit Schmelz und ohne Kitsch und geht auf in seiner Kunstfigur, der nichts hinzuzufüg­en ist – außer Applaus. Den bekommt Alligatoah reichlich: vor, nach und zwischen den Liedern. Als er aus Versehen seinen Hocker umkippt. Als er das Gregor-schwellenb­ach-sextett vorstellt, indem er erklärt, in welche Mülltonne die jeweiligen Instrument­e gehören. Es ist alles ein bisschen wie bei Helge Schneider, wie Strobel sich durch die Show hangelt, wie gekonnt hilflos er sich bewegt, und kein bisschen weniger sympathisc­h. Noch bevor er sein erstes Wort sagen kann, muss das Publikum lachen; und jeder weiß, dass das kein Auslachen ist, sondern – man muss es so sagen – Liebe. Und wie könnte man Lieder nicht mögen, die so wunderbar ehrlich sind wie „Du bist schön“(„aber dafür kannst du nichts“), provokant wie „Willst du“(„mit mir Drogen nehmen“) und kritisch wie „Wo kann man das kaufen“? Sie sind einer zurückhalt­enden Instrument­ierung zu hören, das Sextett umspielt Strobels Stimme, die so gut zur Geltung kommt. Er tanzt, er swingt, er schwelgt, und am Ende will man nur noch weg – weg aus der realen Welt, hinein in die von Alligatoah, in der Mitgefühl, Humor und Ehrlichkei­t regieren. Oliver Burwig Podiumsdis­kussion im Nrw-forum Das ganze Festival-wochenende über ist das Foyer des Nrw-forums Ort politische­r Diskussion­en über die Zukunft der Gesellscha­ft. Festivalma­cher Hamed Shahi will mit dem New-fall-forum einen Dialog starten und über Fragen wie Heimat, Pop und Politik und Werte im Hiphop erörtern. Er hat dafür durchaus streitbare Teilnehmer eingeladen. So stockt der Dialog bereits am ersten Abend. Die „Taz“-redakteuri­n und Schriftste­llerin Fatma Aydemir sagt ihren Auftritt bei der Diskussion­srunde zum Thema Heimat kurzerhand per Twitter ab, da sie erst kurz zuvor aus dem Programm entnommen habe, dass auch „Focus“-journalist Jan Fleischhau­er auf dem Podium sitze. Ihrer Meinung nach gibt es „mit rechten Hunden keine Gesprächsg­rundlage“. Sehr viel gesitteter geht es am Freitagabe­nd in der anderthalb­stündigen, gut besuchten Runde zum Thema „Politik in der Popmusik“. Mit dabei sind die Sängerinne­n Antje Schomaker und Mine sowie der Pop-autor Jens Balzer. Alle drei üben sich brav im Konsens, dass Pop Politik ist, Xavier Naidoo boykottier­t gehört – genauso wie Farid Bang und Kollegah. Zum Glück ist mit Fuat Ergin ein Mann mit einer konträren Meinung eingeladen worden, der vor allem die verbale Grenzübers­chreitung als integralen Teil der Hiphop-kultur verteidigt. Der in Deutschlan­d aufgewachs­ene Rapper lebt seit 2004 in der Türkei, wo seine politische­n Apparat im Schumann-saal Der Ehrenhof wirkt in einer in den Herbst vertagten Spätsommer­nacht belebt. Draußen wird zu elektronis­chen Klängen von Lucas Croon (BAR) gegroovt, während drinnen die Blicke auf Sascha Ring ruhen, der mit seinem Projekt Apparat samt vierköpfig­er Band den Schumann-saal bespielt. Der Abend steht im Zeichen sphärische­r Sounds. Diese mäandern, begleitet von Cello und Geige, über die Köpfe des Publikums. Nachdruck verleiht eine Posaune, die ansonsten angeleucht­et wie Excalibur mittig auf der Bühne thront. Apparat bewegt sich zunächst an der Schnittste­lle von Avantgarde und Pop. Das Zusammensp­iel besticht durch improvisie­rte Einlagen in älteren und neuen Stücken. Das Konzert als ein einziges Überraschu­ngsmoment. Erst in den 20 Minuten vor Schluss verdichtet sich der Sound, die Stücke werden kürzer und eingängige­r. So haftet dem Gros des Auftritts eine Unmittelba­rkeit an, wie das nur wenigen Popkonzert­en gelingt. Das kommt auch beim Publikum an. Der Abend sei sehr emotional gewesen, bekundet ein Fan am Ende. Chris Hegholtz

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FOTO:RAINER PFISTERER/NFF Elektronis­che Sphärenklä­nge im Schumann-saal: Sascha Ring alias Apparat mit Band beim New Fall Festival.

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