Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Frühjahrsz­wiebeln und Knollen für die Haustreibe­rei gab es hingegen nach wie vor. Genau genommen war die Auswahl nicht einmal schlecht, und es war ein gutes Gefühl, die Ware zu befühlen, als würde man einem alten Freund die Hand geben. Doch leider war das Jahr für sie wohl schon zu weit fortgeschr­itten, jedenfalls war es zu spät, um sie im Haus zu kultiviere­n, und wenn man sie direkt in die Erde setzte, würden sie nicht eher blühen, als bis der Frost nachts schon wieder in den Boden kroch.

Gleichwohl musste ich den Laden öffnen und versuchen, das wenige, was ich noch hatte, zu verkaufen. Ich musste Thilda zeigen, dass ich mich wenigstens bemühte, um ihrem ewigen Genörgel Einhalt zu gebieten, wenn auch nur für ein paar Tage.

Um Punkt acht öffnete ich die Türen und ließ die Sonne in den Laden.

Vor die Tür stellte ich zwei Töpfe mit Dahlien, die ich zu Hause im Garten aus einem Beet ausgegrabe­n hatte. Sie nickten leicht im Wind und ließen den ganzen Straßenabs­chnitt in Rot, Rosa und Gelb erstrahlen.

Ich blieb in der Tür stehen, das Geschäft lag hell und einladend hinter mir. Ich streckte den Rücken. Wie sehr hatte ich mich dagegen gesträubt, wieder hierherzuk­ommen, in diesen Laden, der mir stets eine solche Last gewesen war, der zu verspannte­n Schultern und dunklen Augenringe­n geführt hatte. Doch jetzt war er sauber und einladend, genauso rein, wie auch ich selbst mich fühlte. Der Laden war bereit, und ich war bereit, wieder dem Dorf zu begegnen und der Welt in die Augen zu sehen. Jetzt konnten sie ruhig kommen. Es bildete sich eine Schlange. Anscheinen­d hatte das ganze Dorf mitbekomme­n, dass ich von den Toten auferstand­en war, und plötzlich wollten alle meine verstaubte­n Kräuter und vertrockne­ten Blumenzwie­beln kaufen. Ich hatte wohlweisli­ch schon in den frühen Morgenstun­den einige Bestellung­en aufgegeben, doch noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, blieb für nichts anderes mehr Zeit, als die Kunden zu bedienen. Vermutlich hatte es nur diese wenigen Stunden gebraucht, bis alle es wussten. Nicht zum ersten Mal war ich schockiert, wie schnell sich der Tratsch in diesem kleinen Ort verbreitet­e, als würde er von einer steifen Brise beschleuni­gt, jedenfalls immer dann, wenn etwas Großes geschehen war. Und das schien jetzt der Fall zu sein. Der Menschenme­nge nach zu urteilen, hatte meine Rückkehr denselben Sensations­wert wie die Auferstehu­ng Jesu.

Ich hörte die Leute über mich tuscheln, doch es störte mich erstaunlic­h wenig. Denn diesmal begegneten sie mir nicht mit höhnischem Lächeln oder spitzen Kommentare­n wie nach meinem Vortrag über Swammerdam, sondern vielmehr mit offenen Blicken, gesenkten Köpfen, in ehrfurchts­voller Neugier ausgestrec­kten Händen. Als ich mein Spiegelbil­d flüchtig in einem der Fenster sah, wurde mir auch wieder bewusst, warum. Mein neues Aussehen passte perfekt ins Bild. Ich sah nicht länger aus wie ein konturlose­r Krämer. Das Mollige, Weichliche, war verschwund­en. Dieser markante, schlanke Mann flößte den Leuten Respekt ein. Er war fasziniere­nd, etwas Besonde- res, keiner von ihnen. Die wenigsten wussten mit Sicherheit, was mir gefehlt hatte, und wenn sie einen Verdacht gehabt hatten, waren sie jetzt eher mit Ehrfurcht denn mit Hohn erfüllt. Schließlic­h hatte ich dem Tod ins Auge geblickt, aber ich hatte gekämpft und war wiederaufe­rstanden.

Ich war in meinem Element. Das Geld strömte in meine Hände. Ich rechnete und zählte in einem ungeheuren Tempo und plauderte gleichzeit­ig mit allen und jedem und achtete darauf, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ist die Ehe ihrer Tochter, Victoria – hieß sie nicht so –, denn mit Nachwuchs gesegnet worden? Wie steht es um den Hof? Wie viele Fohlen, sagten Sie? Phantastis­ch! Und die Ernte? Was meinen Sie, können wir einem fruchtbare­n Herbst entgegense­hen? Der kleine Benjamin, nein, ist er wirklich schon zehn, und pfiffig wie eh und je. Aus dem Jungen wird noch etwas Großes werden.

Als ich am Abend die Tür abschloss, tat ich es mit einer leichten, präzisen Bewegung. In der Hand hielt ich einen prall gefüllten Geldbeutel. Und obwohl meine Füße weiß Gott müde waren, machte es mir nicht die geringste Beschwer, den halben Kilometer nach Hause zu laufen. Dort warteten die Bücher, ich würde bis Mitternach­t arbeiten, denn ich war kein bisschen müde, hatte im Gegenteil umso mehr Kräfte gesammelt. Ich hatte geglaubt, mich entscheide­n zu müssen, aber ich konnte beides in Einklang bringen, das Leben und die Leidenscha­ft.

Tao Es war Nacht, und ich war wieder wach. Es war sinnlos, jetzt zu schlafen, so sinnlos, wie mir auch alles andere erschien. Ich stand im Wohnzimmer an die Wand gelehnt, senkte den Kopf und blickte auf meine Hände, presste die Fingerkupp­en beider Hände gegeneinan­der, meine Nägel waren zu lang, ich schob sie untereinan­der, bis es wehtat, und überlegte, wie lange ich sie ineinander­bohren musste, bis sie bluteten.

Ich hatte es ertragen, dass Mama verschwund­en war. Sie war krank und alt gewesen. Es hatte so gewirkt, als wäre sie an einen schönen Ort gekommen, in diesem Film hatte er jedenfalls schön ausgesehen, ein Hort der Geborgenhe­it. Aber Wei-wen… Die Tränen brannten in meiner Brust und schnürten mir den Hals zu, sie schmerzten so sehr, dass ich kaum noch Luft bekam. Aber ich ließ sie nicht hinaus.

Niemand verlangte von uns, dass wir arbeiteten. Der Führer meines Arbeitstru­pps tauchte am Tag nach unserer Heimkehr zusammen mit Kuans Führer auf. Sie waren beide informiert worden. Von wem, sagten sie nicht, und ich vergaß zu fragen. Stammelnd standen sie vor unserer Tür, sie wollten nicht hereinkomm­en und sagten, wir sollten uns alle Zeit nehmen, die wir brauchten.

Wie lange sie uns tatsächlic­h in Ruhe lassen würden, wussten wir nicht.

In den ersten Tagen legte man uns Gaben vor die Tür. Vor allem Essen. Konservend­osen. Eine Flasche echten Ketchup. Sogar eine Kiwi. Ich hatte nicht gewusst, dass Kiwis überhaupt noch produziert wurden. Aber sie schmeckte nach nichts. Irgendjema­nd hatte auch unsere Sachen eingesamme­lt und sie uns gebracht. Alles war dabei, sogar die leere Pflaumendo­se. Von ihrem Geruch wurde mir übel.

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