Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Geschichte der Bienen
Frühjahrszwiebeln und Knollen für die Haustreiberei gab es hingegen nach wie vor. Genau genommen war die Auswahl nicht einmal schlecht, und es war ein gutes Gefühl, die Ware zu befühlen, als würde man einem alten Freund die Hand geben. Doch leider war das Jahr für sie wohl schon zu weit fortgeschritten, jedenfalls war es zu spät, um sie im Haus zu kultivieren, und wenn man sie direkt in die Erde setzte, würden sie nicht eher blühen, als bis der Frost nachts schon wieder in den Boden kroch.
Gleichwohl musste ich den Laden öffnen und versuchen, das wenige, was ich noch hatte, zu verkaufen. Ich musste Thilda zeigen, dass ich mich wenigstens bemühte, um ihrem ewigen Genörgel Einhalt zu gebieten, wenn auch nur für ein paar Tage.
Um Punkt acht öffnete ich die Türen und ließ die Sonne in den Laden.
Vor die Tür stellte ich zwei Töpfe mit Dahlien, die ich zu Hause im Garten aus einem Beet ausgegraben hatte. Sie nickten leicht im Wind und ließen den ganzen Straßenabschnitt in Rot, Rosa und Gelb erstrahlen.
Ich blieb in der Tür stehen, das Geschäft lag hell und einladend hinter mir. Ich streckte den Rücken. Wie sehr hatte ich mich dagegen gesträubt, wieder hierherzukommen, in diesen Laden, der mir stets eine solche Last gewesen war, der zu verspannten Schultern und dunklen Augenringen geführt hatte. Doch jetzt war er sauber und einladend, genauso rein, wie auch ich selbst mich fühlte. Der Laden war bereit, und ich war bereit, wieder dem Dorf zu begegnen und der Welt in die Augen zu sehen. Jetzt konnten sie ruhig kommen. Es bildete sich eine Schlange. Anscheinend hatte das ganze Dorf mitbekommen, dass ich von den Toten auferstanden war, und plötzlich wollten alle meine verstaubten Kräuter und vertrockneten Blumenzwiebeln kaufen. Ich hatte wohlweislich schon in den frühen Morgenstunden einige Bestellungen aufgegeben, doch noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, blieb für nichts anderes mehr Zeit, als die Kunden zu bedienen. Vermutlich hatte es nur diese wenigen Stunden gebraucht, bis alle es wussten. Nicht zum ersten Mal war ich schockiert, wie schnell sich der Tratsch in diesem kleinen Ort verbreitete, als würde er von einer steifen Brise beschleunigt, jedenfalls immer dann, wenn etwas Großes geschehen war. Und das schien jetzt der Fall zu sein. Der Menschenmenge nach zu urteilen, hatte meine Rückkehr denselben Sensationswert wie die Auferstehung Jesu.
Ich hörte die Leute über mich tuscheln, doch es störte mich erstaunlich wenig. Denn diesmal begegneten sie mir nicht mit höhnischem Lächeln oder spitzen Kommentaren wie nach meinem Vortrag über Swammerdam, sondern vielmehr mit offenen Blicken, gesenkten Köpfen, in ehrfurchtsvoller Neugier ausgestreckten Händen. Als ich mein Spiegelbild flüchtig in einem der Fenster sah, wurde mir auch wieder bewusst, warum. Mein neues Aussehen passte perfekt ins Bild. Ich sah nicht länger aus wie ein konturloser Krämer. Das Mollige, Weichliche, war verschwunden. Dieser markante, schlanke Mann flößte den Leuten Respekt ein. Er war faszinierend, etwas Besonde- res, keiner von ihnen. Die wenigsten wussten mit Sicherheit, was mir gefehlt hatte, und wenn sie einen Verdacht gehabt hatten, waren sie jetzt eher mit Ehrfurcht denn mit Hohn erfüllt. Schließlich hatte ich dem Tod ins Auge geblickt, aber ich hatte gekämpft und war wiederauferstanden.
Ich war in meinem Element. Das Geld strömte in meine Hände. Ich rechnete und zählte in einem ungeheuren Tempo und plauderte gleichzeitig mit allen und jedem und achtete darauf, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ist die Ehe ihrer Tochter, Victoria – hieß sie nicht so –, denn mit Nachwuchs gesegnet worden? Wie steht es um den Hof? Wie viele Fohlen, sagten Sie? Phantastisch! Und die Ernte? Was meinen Sie, können wir einem fruchtbaren Herbst entgegensehen? Der kleine Benjamin, nein, ist er wirklich schon zehn, und pfiffig wie eh und je. Aus dem Jungen wird noch etwas Großes werden.
Als ich am Abend die Tür abschloss, tat ich es mit einer leichten, präzisen Bewegung. In der Hand hielt ich einen prall gefüllten Geldbeutel. Und obwohl meine Füße weiß Gott müde waren, machte es mir nicht die geringste Beschwer, den halben Kilometer nach Hause zu laufen. Dort warteten die Bücher, ich würde bis Mitternacht arbeiten, denn ich war kein bisschen müde, hatte im Gegenteil umso mehr Kräfte gesammelt. Ich hatte geglaubt, mich entscheiden zu müssen, aber ich konnte beides in Einklang bringen, das Leben und die Leidenschaft.
Tao Es war Nacht, und ich war wieder wach. Es war sinnlos, jetzt zu schlafen, so sinnlos, wie mir auch alles andere erschien. Ich stand im Wohnzimmer an die Wand gelehnt, senkte den Kopf und blickte auf meine Hände, presste die Fingerkuppen beider Hände gegeneinander, meine Nägel waren zu lang, ich schob sie untereinander, bis es wehtat, und überlegte, wie lange ich sie ineinanderbohren musste, bis sie bluteten.
Ich hatte es ertragen, dass Mama verschwunden war. Sie war krank und alt gewesen. Es hatte so gewirkt, als wäre sie an einen schönen Ort gekommen, in diesem Film hatte er jedenfalls schön ausgesehen, ein Hort der Geborgenheit. Aber Wei-wen… Die Tränen brannten in meiner Brust und schnürten mir den Hals zu, sie schmerzten so sehr, dass ich kaum noch Luft bekam. Aber ich ließ sie nicht hinaus.
Niemand verlangte von uns, dass wir arbeiteten. Der Führer meines Arbeitstrupps tauchte am Tag nach unserer Heimkehr zusammen mit Kuans Führer auf. Sie waren beide informiert worden. Von wem, sagten sie nicht, und ich vergaß zu fragen. Stammelnd standen sie vor unserer Tür, sie wollten nicht hereinkommen und sagten, wir sollten uns alle Zeit nehmen, die wir brauchten.
Wie lange sie uns tatsächlich in Ruhe lassen würden, wussten wir nicht.
In den ersten Tagen legte man uns Gaben vor die Tür. Vor allem Essen. Konservendosen. Eine Flasche echten Ketchup. Sogar eine Kiwi. Ich hatte nicht gewusst, dass Kiwis überhaupt noch produziert wurden. Aber sie schmeckte nach nichts. Irgendjemand hatte auch unsere Sachen eingesammelt und sie uns gebracht. Alles war dabei, sogar die leere Pflaumendose. Von ihrem Geruch wurde mir übel.