Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Städte sollen mit ihrer Sicherheit werben
Die Statistik belegt, dass die Kriminalität abnimmt – nur empfinden das viele Bürger nicht so. Experten kritisieren daher, dass die Menschen zu oft mit Ängsten allein gelassen werden, und fordern, mehr das Positive herauszustellen.
ESSEN Wenn Thyssenkrupps Arbeitsdirektor Oliver Burkhard Fachpersonal aus China für den Standort Essen gewinnen will, muss er häufig Überzeugungsarbeit leisten. „Man muss ihnen sagen, dass Essen eine sichere Stadt ist. Denn im Internet lesen sie Berichte darüber, wie gefährlich es hier angeblich sein soll“, sagt er. Wer sich überzeugen lässt, möchte dennoch meist nicht in Essen wohnen. „Die leben dann lieber in Düsseldorf. Die Stadt hat einen besseren Ruf“, sagt Burkhard.
Wie viele Städte in Nordrhein-westfalen – insbesondere aber im Ruhrgebiet – leidet Essen unter einem negativen Image. Zwischen Rhein und Ruhr sorgen besonders Zuwanderung, unzureichende Integration, Radikalisierungen und Clan-kriminalität für wachsendes Unsicherheitsgefühl. „Wir sind aber die sicherste Großstadt in NRW. Und das trotz der ganzen Clans hier“, betonte Essens Polizeipräsident Frank Richter am Dienstag auf einer Sicherheitskonferenz in Essen, auf der hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Polizei darüber diskutierten, wie bedeutend Sicherheit für die Städte ist und wie man dem zunehmenden Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung begegnen kann. Denn obwohl die Kriminalität landesweit seit Jahren rückläufig ist, fühlen sich immer größere Teile der Bevölkerung nicht sicher.
Die Experten führen das unter anderem auf die sozialen Medien zurück. „Smartphones sind längst die fünfte Säule im Staat. Insbesondere über Whatsapp läuft die Kommunikation ab – und das an den öffentlichen Behörden vorbei“, sagt Münchens
Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, der für seine Öffentlichkeitsarbeit im Zuge des Amoklaufs in München vor drei Jahren bundesweit viel Lob erhalten hat.
Er kritisiert, dass die Bürger mit ihren Ängsten und Sorgen allein gelassen werden. „Nur einmal im Jahr bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik darüber zu berichten, dass es in Deutschland sicher ist, reicht nicht“, sagt er. Das sei viel zu wenig. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) bestätigt: „Dem Bürger ist es egal, was Statistiken sagen. Wir müssen die subjektive Angst ernst nehmen.“
Martins fordert die Städte und Behörden auf, deutlich offensiver mit dem Thema Sicherheit umzugehen, mehr auf PR und Werbung zu setzen. Er plädiert zum Beispiel für großflächige Werbeplakate an Flughäfen, auf denen die Reisenden begrüßt werden mit den Worten: „Willkommen in der sichersten Stadt.“Die Strategie müsste lauten, der Bevölkerung regelmäßig zu sagen, es ginge ihr gut.
Tatsächlich ist NRW laut Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2018 so sicher wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Demnach ist die Zahl der Straftaten im Vergleich zu 2017 um rund sieben Prozent gesunken und liegt nun bei knapp 1,3 Millionen Straftaten. Das ist der niedrigste Stand seit 1991.
Zentrale Bedeutung gewinnt auch die Kommunikation im Krisenfall – etwa bei einer Amoklage, einem Terroranschlag oder einer Umweltkatastrophe. Darauf seien viele Städte und Behörden allerdings nicht richtig vorbereitet, meinen die Experten. Selbst die Polizei kann im digitalen Zeitalter im Alarmfall anfangs zunächst nur reagieren – und zwar auf die vielen Handyvideos, die von den vermeintlichen Tatorten in Windeseile im Internet verbreitet werden. Manche städtischen und polizeilichen Behörden würden sich noch im Fax-zeitalter befinden.
„Es reicht nicht mehr aus, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen und die Menschen über die sozialen Medien wie Twitter und Facebook zu informieren“, sagt Martins. Die Informationen würden vielmehr über Whatsapp verbreitet. Das habe man in der Nachbereitung des Amoklaufs in München festgestellt. „Der O2-tower nahe des Tatorts war voll mit Menschen. Aus Sicherheitsgründen durfte keiner mehr raus. Wir wissen aber, was die Leute dort in der Zeit kommuniziert haben. Hätten wir ihnen während der Lage unsere Grundinformationen gegeben, wäre vieles in der öffentlichen Kommunikation besser gelaufen“, sagt Martins. So aber wurden viele Falschinformationen in die Welt gesetzt, die vielfach zu Verunsicherungen führten.
Thyssenkrupps Arbeitsdirektor Oliver Burkhard wies darauf hin, dass sich selbst weltweite Krisen und Kriege mittlerweile auch immer öfter direkt auf die hiesige Belegschaft auswirkten. „Als die Türkei in Syrien einmarschierte, gab es in unserem Werk in Duisburg viele Prügeleien zwischen den türkischund kurdischstämmigen Kollegen.“