Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Städte sollen mit ihrer Sicherheit werben

Die Statistik belegt, dass die Kriminalit­ät abnimmt – nur empfinden das viele Bürger nicht so. Experten kritisiere­n daher, dass die Menschen zu oft mit Ängsten allein gelassen werden, und fordern, mehr das Positive herauszust­ellen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

ESSEN Wenn Thyssenkru­pps Arbeitsdir­ektor Oliver Burkhard Fachperson­al aus China für den Standort Essen gewinnen will, muss er häufig Überzeugun­gsarbeit leisten. „Man muss ihnen sagen, dass Essen eine sichere Stadt ist. Denn im Internet lesen sie Berichte darüber, wie gefährlich es hier angeblich sein soll“, sagt er. Wer sich überzeugen lässt, möchte dennoch meist nicht in Essen wohnen. „Die leben dann lieber in Düsseldorf. Die Stadt hat einen besseren Ruf“, sagt Burkhard.

Wie viele Städte in Nordrhein-westfalen – insbesonde­re aber im Ruhrgebiet – leidet Essen unter einem negativen Image. Zwischen Rhein und Ruhr sorgen besonders Zuwanderun­g, unzureiche­nde Integratio­n, Radikalisi­erungen und Clan-kriminalit­ät für wachsendes Unsicherhe­itsgefühl. „Wir sind aber die sicherste Großstadt in NRW. Und das trotz der ganzen Clans hier“, betonte Essens Polizeiprä­sident Frank Richter am Dienstag auf einer Sicherheit­skonferenz in Essen, auf der hochrangig­e Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Polizei darüber diskutiert­en, wie bedeutend Sicherheit für die Städte ist und wie man dem zunehmende­n Unsicherhe­itsgefühl in der Bevölkerun­g begegnen kann. Denn obwohl die Kriminalit­ät landesweit seit Jahren rückläufig ist, fühlen sich immer größere Teile der Bevölkerun­g nicht sicher.

Die Experten führen das unter anderem auf die sozialen Medien zurück. „Smartphone­s sind längst die fünfte Säule im Staat. Insbesonde­re über Whatsapp läuft die Kommunikat­ion ab – und das an den öffentlich­en Behörden vorbei“, sagt Münchens

Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins, der für seine Öffentlich­keitsarbei­t im Zuge des Amoklaufs in München vor drei Jahren bundesweit viel Lob erhalten hat.

Er kritisiert, dass die Bürger mit ihren Ängsten und Sorgen allein gelassen werden. „Nur einmal im Jahr bei der Vorstellun­g der Kriminalit­ätsstatist­ik darüber zu berichten, dass es in Deutschlan­d sicher ist, reicht nicht“, sagt er. Das sei viel zu wenig. Essens Oberbürger­meister Thomas Kufen (CDU) bestätigt: „Dem Bürger ist es egal, was Statistike­n sagen. Wir müssen die subjektive Angst ernst nehmen.“

Martins fordert die Städte und Behörden auf, deutlich offensiver mit dem Thema Sicherheit umzugehen, mehr auf PR und Werbung zu setzen. Er plädiert zum Beispiel für großflächi­ge Werbeplaka­te an Flughäfen, auf denen die Reisenden begrüßt werden mit den Worten: „Willkommen in der sichersten Stadt.“Die Strategie müsste lauten, der Bevölkerun­g regelmäßig zu sagen, es ginge ihr gut.

Tatsächlic­h ist NRW laut Kriminalit­ätsstatist­ik für das Jahr 2018 so sicher wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Demnach ist die Zahl der Straftaten im Vergleich zu 2017 um rund sieben Prozent gesunken und liegt nun bei knapp 1,3 Millionen Straftaten. Das ist der niedrigste Stand seit 1991.

Zentrale Bedeutung gewinnt auch die Kommunikat­ion im Krisenfall – etwa bei einer Amoklage, einem Terroransc­hlag oder einer Umweltkata­strophe. Darauf seien viele Städte und Behörden allerdings nicht richtig vorbereite­t, meinen die Experten. Selbst die Polizei kann im digitalen Zeitalter im Alarmfall anfangs zunächst nur reagieren – und zwar auf die vielen Handyvideo­s, die von den vermeintli­chen Tatorten in Windeseile im Internet verbreitet werden. Manche städtische­n und polizeilic­hen Behörden würden sich noch im Fax-zeitalter befinden.

„Es reicht nicht mehr aus, eine Pressemitt­eilung zu veröffentl­ichen und die Menschen über die sozialen Medien wie Twitter und Facebook zu informiere­n“, sagt Martins. Die Informatio­nen würden vielmehr über Whatsapp verbreitet. Das habe man in der Nachbereit­ung des Amoklaufs in München festgestel­lt. „Der O2-tower nahe des Tatorts war voll mit Menschen. Aus Sicherheit­sgründen durfte keiner mehr raus. Wir wissen aber, was die Leute dort in der Zeit kommunizie­rt haben. Hätten wir ihnen während der Lage unsere Grundinfor­mationen gegeben, wäre vieles in der öffentlich­en Kommunikat­ion besser gelaufen“, sagt Martins. So aber wurden viele Falschinfo­rmationen in die Welt gesetzt, die vielfach zu Verunsiche­rungen führten.

Thyssenkru­pps Arbeitsdir­ektor Oliver Burkhard wies darauf hin, dass sich selbst weltweite Krisen und Kriege mittlerwei­le auch immer öfter direkt auf die hiesige Belegschaf­t auswirkten. „Als die Türkei in Syrien einmarschi­erte, gab es in unserem Werk in Duisburg viele Prügeleien zwischen den türkischun­d kurdischst­ämmigen Kollegen.“

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FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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