Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neue Ohrwürmer für den Kindergart­en

Die Band Deine Freunde versorgt Vier- bis Achtjährig­e mit Pophits, über die sich auch Eltern freuen. Nun erscheint ihr neues Album.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

HAMBURG Eine der schlimmste­n Situatione­n im Leben von Eltern ist diese: Du kommst abends von der Arbeit in den Kindergart­en. Du setzt dich auf einen dieser winzigen Stühle, und du merkst, dass das hier länger dauert als erwartet, weil alle nach dem letzten Tagesordnu­ngspunkt noch Grundsätzl­iches zu besprechen haben: Sollen die Kleinen den Fußgänger-führersche­in nun machen oder nicht? Und wie kam das eigentlich, dass das Essen letztens nicht vegan war? In diesem Moment wird vielen künftig ein

Lied durch den Kopf gehen, das sie schmunzeln lässt, und es klingt so: „Du kannst dich nicht verstecken / Du kannst noch nicht nach Hause gehen / Elternspre­cherwahl in der Kita: / Einmal, nie wieder! / Ich bleib zuhause / Ich hab Fieber“.

Die Band Deine Freunde singt dieses Lied auf ihrem neuen Album „Helikopter“, das am Freitag erscheint. Deine Freunde kennt fast jeder, der Kinder im Alter zwischen vier und acht hat, und wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Die Texte dieser Gruppe beeinfluss­en den Alltag in deutschen Familien stärker als so manche Entscheidu­ng des zuständige­n Bundesmini­steriums. Viele Verse sind geflügelte Worte und haben Eingang gefunden in den Familiensc­hatz. Diese hier zum Beispiel: „Räum doch selber auf / Ich bin halt nicht so ordentlich drauf / Ihr Großen müsst ja hier nicht ständig rein.“Und diese: „Ich stell sie so gut ich kann ganz weit hinten an, mach später irgendwann: / Hausaufgab­en!“

Deine Freunde wenden sich an Kinder, und sie zwinkern Erwachsene­n dabei zu, was geschäftst­üchtig und fürsorglic­h zugleich ist, denn die müssen die Platten ja nicht bloß kaufen, sondern auch mitanhören. Der Kindermusi­k-markt war lange aufgeteilt zwischen Helden wie Rolf Zuckowski und Volker Rosin, und deshalb dachte sich Florian Sump irgendwann: Ich mach jetzt selbst ein Lied. Sump war Schlagzeug­er der Band Echt, deren Hit „Du trägst keine Liebe in dir“noch viele kennen dürften. Nach der Pop-karriere arbeitete er als Erzieher in einer Kindertage­sstätte in Hamburg, und da wollte er zu Songs tanzen, die er nicht schon eine Million Mal gehört hatte und die nicht nur mit Musik untermalte Didaktik waren.

Also ging Sump ins Studio von Markus Pauli, der auch als Tour-dj für Fettes Brot arbeitet. Und weil die beiden merkten, dass sie da aus Beats und Reimen etwas Gutes zusammenrü­hrten, holten sie Lukas Nimscheck dazu, zwischenze­itlich Moderator im „Tigerenten Club“der ARD. Sie wollten sich zunächst Rolf Zuckopfnic­ks nennen, und weil der Namenspatr­on nicht sauer sein sollte, schrieben sie ihn an. Zuckowski rief rasch zurück: Er fand sie toll und vermittelt­e sie an die Plattenfir­ma Universal. Er hatte nur eine Bitte: Nennt euch lieber Deine Freunde.

Wovon singt eine Band, deren Publikum den Musikern bis zu den Knien reicht? „Von Sex, Drugs and Rock ‚n’ Roll bleibt bei uns nur der Rock ‚n’ Roll“, sagt Lukas Nimscheck. Ihre Texte handeln vom Aufschiebe­n der Hausaufgab­en, dem schönen Gefühl, das man in den Ferien hat und vom Aufessen-müssen. Recherche geht bei ihnen so: „Wir tippen immer in die Notizfunkt­ion unserer Handys“, sagt Lukas Nimscheck. Zumeist Erinnerung­en an die eigene Jugend. So stark habe sich dieses Gefühl nämlich nicht verändert: „Wir machen keine Songs über die ipad-zeit oder die Tiktok-app.“

Florian Sump ist der einzige Vater in der Band. Und der weiß, dass man ganze Songs auch mal an einem einzigen Satz aufhängen kann. „Das Lied vom Abholen“etwa besteht im Grunde nur aus diesem Vers: „Wollen wir dann mal langsam los?“Sie möchten Eltern als ironiefähi­ge Wesen ansprechen, sagt Nimscheck. Man erkennt sich denn auch rasch in dem Stück „Cheese“wieder, das aus Sicht der Kinder die Fotografie­rsucht der Eltern beschreibt: „Ich wurde nie gefragt, wäre ja eigentlich mal nett, denn vielleicht fühl ich mich ja gerade mies – Cheese!“

Erlebt haben sollte man Konzerte der Band. „Wir dachten am Anfang, das geht so Ikea-mäßig“, sagt Lukas. „Kinder werden bei uns abgegeben und irgendwann wieder abgeholt.“Aber so lief das nicht, die Eltern blieben nämlich im Konzert und hörten zu. Nun stehen die Kinder in einem abgetrennt­en Bereich vor der Bühne, sie tragen am Handgelenk Bändchen mit der Handynumme­r der Eltern – falls sie mal verlorenge­hen. Erwachsene stehen im Bereich dahinter. 80 Prozent der Texte singt das Publikum mit. Deine Freunde mischen Hiphop und Pop, sie klingen wie Deichkind oder wie Fettes Brot.

Ist der Band bewusst, dass sie für viele Hörer eine Rampe in die Popkultur bildet? „Wir sind die Übergangsl­ösung zwischen Rolf Zuckowski und Capital Bra“, sagt Nimscheck. „Ohne uns würden sie direkt zum Gangsta-rap wechseln.“

Doppelt gut, dass es Deine Freunde gibt.

Die Band ist die Übergangsl­ösung zwischen Rolf Zuckowski und Capital Bra

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FOTO: LABEL Ihre Texte gehen ein in den Familienwo­rtschatz: Deine Freunde sind (v.l.) Florian Sump (38), Markus Pauli (41) und Lukas Nimscheck (31).

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