Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Menschen in der Zelle: Perceval inszeniert O’neill
KÖLN Familienleben als Isolationshaft. So kann man das großartige Bühnenbild von Philip Bußmann in Luk Percevals Inszenierung von Eugene O’neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“am Schauspiel Köln lesen. Jedes Mitglied der Familie Tyrone hat in dieser Guckkasten-zeile seine eigene, fahlweiße Zelle, aus der es agiert.
Ein in seiner Einfachheit, aber genialer Kunstgriff ist Percevals Umgang mit O’neills Regieanweisungen. Sie bilden im dramatischen Text einen Prosatext eigener Kategorie, der oft vernachlässigt wird: Der Autor charakterisiert seine Figuren mit einem realistischen Blick. Die Genauigkeit und Lebendigkeit der Beschreibungen erinnern an den Schriftsteller Sherwood Anderson; Maria Schulga spricht ihn in ihrer Rolle als traumwandlerisch abwesendes Dienstmädchen Cathleen. Die anderen Schauspieler verharren dann kurz in ihren Rollen während man erfährt, dass zum Beispiel die Finger der von Morphium abhängigen Mutter Mary Tyrone nervös auf die Sofakante klopfen.
Das Bild dieser gebrochenen Frau entsteht so wesentlich intensiver, als wenn sie es wirklich täte. Umso augenfälliger wird das, wenn Astrid Meyerfeldt nach der Pause tatsächlich viel darstellerische Energie darauf verwendet, um die Mutter als doppelgesichtigen, von zwiespältigen Gefühlen zerrissenen Charakter zu entwerfen, der säuselt, röchelt und schreit. Das geht nicht wirklich nah und bricht die schematische Kühle der Bühnen-ästhetik genauso merkwürdig auf wie der letzte Auftritt von Sean Mcdonagh als Jamie Tyrone, der alkoholisiert eine Treppe hinabstürzt und sich die Seele aus dem Leib brüllt.
Die Treppe in der ganz linken Zelle im Bühnenbild kann man gleichzeitig als Symbol für den erhofften Aufstieg ins Reich des Todes wie den Abstieg der Familienmitglieder deuten. Das Festhalten an falschen Träumen und den Illusionen des Schauspieler-vaters hat sie niedergestreckt. André Jung muss als Patriarch James Tyrone nicht mehr laut sein. Der Zeitpunkt, aus seinem Macht-bereich zu gelangen, ist für die anderen offenbar lange vorbei. In den stillen Momenten wie dem nächtlichen Gespräch zwischen ihm und seinem schwerkranken Sohn Edmund (Nikolay Sidorenko) kommt die Inszenierung stimmig zu sich selbst. Dann gesellt sich Percevals sezierender Blick zu dem Eugene O’neills, der mit diesem Theater-dauerbrenner kurz vor seinem Tod gewagt hat, schonungslos die eigene Geschichte zu verarbeiten. www.schauspiel.koeln