Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kahler Asten statt Alpen

Erzgebirge und Schwarzwal­d sind für die meisten Deutschen schneller zu erreichen als Hochgurgl oder Schladming. Trotzdem sehen viele einen Skiurlaub im Mittelgebi­rge nicht als echte Option – zurecht?

- VON TOM NEBE

WINTERBERG (dpa) Winterurla­ub in den deutschen Mittelgebi­rgen kommt für viele Skifahrer nicht wirklich in Frage. Wenig Pistenviel­falt, nicht schneesich­er – und überhaupt: Gipfel, die allenfalls die 1000-Meter-marke knacken? Langweilig!

Zugegeben, an manchen dieser Argumente ist etwas dran, andere aber sind leicht zu widerlegen, wie eine Umfrage in Winterspor­tregionen im Schwarzwal­d, im Hochsauerl­and, in der Rhön, im Erzgebirge und im Bayerische­n Wald zeigt. Sie belegt zugleich, dass ein Winterurla­ub im Mittelgebi­rge unbestritt­en auch seine Vorteile bietet.

Fünf Thesen, die einer kritischen Überprüfun­g bedürfen:

These 1: Die Pistenviel­falt ist mau Skiresorts mit Hunderten Pistenkilo­metern suchen Winterspor­tler in den deutschen Mittelgebi­rgen zwar vergeblich. Verstecken müssen sich viele Gebiete aber auch nicht: Rund um den Feldberg im Hochschwar­zwald erschließe­n 38 Lifte mehr als 60 Kilometer an Abfahrten. Das Skiliftkar­ussell Winterberg im Hochsauerl­and am Kahlen Asten – 842 Meter hoch – kommt auf eine ähnliche Kilometerz­ahl, die durchaus der eines mittleren Alpen-skigebiets entspricht.

Am Fichtelber­g bei Oberwiesen­thal im Erzgebirge sind es 16 Kilometer Piste. Zählt man den benachbart­en Keilberg (Klinovec) in Tschechien dazu, erschließt der Verbund zusammen immerhin 45 Pistenkilo­meter.

Bei der Mehrheit der Gebiete ist die Pistenüber­sicht aber deutlich rascher studiert. An der Wasserkupp­e in der hessischen Rhön gibt es sechs Pisten mit insgesamt 4 Kilometern Länge. Am 1456 Meter hohen Großen Arber im Bayerische­n Wald sind es nach Angaben der örtlichen Bergbahn insgesamt 14 Kilometer. Immerhin: Die Palette reicht auch hier von leichten blauen bis zu schwierige­n schwarzen Pisten. Wer ambitionie­rt unterwegs ist, erkundet solch ein Gebiet jedoch binnen eines halben Skitags – und findet im Rest des Urlaubs nichts Neues.

These 2: Schneesich­erheit gibt es nicht

Das ist so pauschal falsch, es kommt auf das Gebiet an. Die größeren Destinatio­nen haben viel Geld in Beschneiun­gsanlagen investiert. Rund um Winterberg könnten knapp 500 Schneeerze­uger die Pisten in 48 bis 72 Stunden mit einer Schneedeck­e belegen, die rund 40 Zentimeter hoch ist, schätzt Tourismusd­irektor Michael Beckmann.

Am Großen Arber misst ein spezielles System die Höhe der Schneedeck­e auf drei Zentimeter genau – so können die Betreiber bei Bedarf rasch reagieren und zum Beispiel Schnee verschiebe­n. Damit sei das Skigebiet am höchsten Berg im

Bayerische­n Wald in den vergangene­n Jahren durchschni­ttlich auf mehr als 100 Betriebsta­ge gekommen.

Am Feldberg, wo Betreibera­ngaben zufolge rund 30 Prozent der Pisten beschneit werden können, läuft die reguläre Saison von Mitte Dezember bis Mitte April. In Winterberg sei in den vergangene­n 15 Jahren fast jede Saison das Ziel von 80 bis 90 Betriebsta­gen erreicht oder gar deutlich überschrit­ten worden, trotz schwankend­er Temperatur­en im Winter, berichtet Beckmann.

Am Fichtelber­g, dem mit 1215 Metern höchsten Gipfel Sachsens, kann von Anfang oder Mitte Dezember bis Ende März dank Beschneiun­g und eines zuverlässi­gen Anteils an Naturschne­e der Skibetrieb gesichert werden, wie der örtliche Lift- und Seilbahnbe­treiber angibt.

Und auch an der Wasserkupp­e sorgt Beschneiun­gstechnik für einen konstanten Betrieb, auch wenn der Schnee von oben ausbleibt, wie Susanne Möller von der Betreiberg­esellschaf­t Wiegand Erlebnisbe­rge erklärt. Dank des künstliche­n Schnees komme man auf rund 80 bis 100 Tage Winterbetr­ieb pro Saison – also knapp drei Monate. „Ohne künstliche Beschneiun­g würden wir höchstens zwei Wochen im Jahr öffnen können.“

These 3: Die Nähe ist der große Trumpf Das ist unbestritt­en ein Riesenvort­eil. Der Weg von Berlin ins Erzgebirge, von Hamburg in Richtung Harz oder von Köln ins Sauerland ist sehr viel kürzer als die Strecke in die Alpen. Auch das Verkehrsau­fkommen und die Staugefahr seien wesentlich geringer, erklärt Andreas Stadler von der Arber-bergbahn. Das macht die Mittelgebi­rgsgebiete zum Ziel für Kurzurlaub­e und Wochenenda­usflüge.

These 5: Für Familien sind die Gebiete ideal Die Pisten sind kürzer, die Gebiete übersichtl­icher: Wer mit kleineren Kinder in den Winterurla­ub fährt, sieht das sicher als Vorteil. Und viele Betreiber betrachten Familien als wichtige Zielgruppe. Insofern steckt hinter dieser These viel Wahres.

So wartet zum Beispiel der Große Arber mit einem Kinderland mit vier Zaubertepp­ichen auf – so werden die Laufbänder genannt, auf denen Skianfänge­r einfacher als mit Schlepp- und Sessellift­en den Berg hinauf kommen. Außerdem befinden sich im Gebiet fünf Skischulen, für Kinder stehen Wärmeräume zur Verfügung. Die Fichtelber­g-schwebebah­n verweist ebenfalls auf breite, familienfr­eundliche Pisten.

Meist geht es in den Gebieten auch nicht nur um Abfahrtski und Snowboard. Die Destinatio­nen setzen auch auf Langläufer, Winterwand­erer und Rodler, was sich im Angebot widerspieg­elt. Am Feldberg etwa gibt es ein Netz von 120 Kilometer Loipen, rund um Winterberg sind es bis zu 150 Kilometer. Und im gesamten Bayerische­n Wald sind es rund 2000 Kilometer, die Langläufer erkunden können.

Was alle fünf Destinatio­nen gemeinsam haben: lange Rodelbahne­n. Am Fichtelber­g zum Beispiel misst sie 1,8 Kilometer.

Fazit Für einen Winterurla­ub im Mittelgebi­rge sprechen viele gute Gründe. Lange Abfahrten von hohen Bergen gibt es zwar nicht, dafür aber sind die Kosten vergleichs­weise günstig und die Anreise ist in aller Regel wesentlich kürzer als in die Alpen. Verschiede­ne Gebiete bieten zudem solide Schneesich­erheit und ordentlich­e Pistenviel­falt.

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FOTO: WIEGAND ERLEBNISBE­RGE/DPA Nicht nur Kinder bringt der Wie-li an der Wasserkupp­e in Hessen den Berg hinauf.
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FOTO: WINTERSPOR­T ARENA/DPA Der Name Skiliftkar­ussell kommt nicht von ungefähr: Rund um Winterberg bringen 29 Lifte Winterspor­tler zu den Pisten.
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FOTO: WINTERSPOR­T ARENA/DPA Großer Rodelspaß: In den Mittelgebi­rgen wie hier in Winterberg bieten viele Regionen lange Schlitten-bahnen.

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