Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wie im Film
Hollywood-filme über Seuchen werden derzeit viel gestreamt. Sie scheinen unsere Gegenwart vorwegzunehmen. Und ihre Bilder sind bisweilen stärker als wissenschaftliche Empfehlungen des Robert-koch-instituts. Doch nützen sie auch?
DÜSSELDORF Gut gemeinter Rat: Wer sich den Film „Contagion“ansehen möchte, sollte das nicht vor dem Schlafengehen tun. Die Produktion von Steven Soderbergh stammt zwar aus dem Jahr 2011, mutet aber an wie eine Gegenwartsbeschreibung. Eine Fledermaus wird aufgescheucht, sie lässt das Stückchen Banane fallen, das sie im Maul hatte, ein Schwein frisst die Banane, es wird geschlachtet und an ein Restaurant in Asien geliefert, wo ein Koch es verarbeitet. Und weil gerade ein besonderer Gast angekommen ist, wischt der Koch sich rasch die Finger an der Schürze ab und gibt der Besucherin die Hand. Die Besucherin ist Gwyneth Paltrow, am nächsten Tag geht es ihr nicht gut, Husten, Fieber, zwei Tage später ist sie tot. Da hat sie das neuartige Virus, das von der Fledermaus übertragen wurde, bereits verteilt: auf Gläser, in der Erdnussschale im Flughafen-bistro, daheim in Amerika. Eine Pandemie bedroht die Weltgesellschaft, einen Impfstoff gibt es nicht.
Der Film steht gerade hoch in den Streaming-charts, ebenso wie Titel mit vergleichbaren Themen: „Outbreak“, „World War Z“, „I Am Legend“. Das sind Produktionen, in denen eine Befürchtung Realität wird. Die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn zitiert in ihrem Essay „Zukunft als Katastrophe“aus einem Strategiepapier der Rückversicherung Swiss Re. Dort steht: „Zukunft ist keine Frage der zeitlichen Ferne. Zukunft ist das, was sich radikal von der Gegenwart unterscheiden wird.“Genau davon handeln diese Filme, sie rücken die Zukunft näher an uns heran. Und sie anzusehen, ist umso unheimlicher in einer Zeit, die wirkt, als sei die fiktive Zukunft tatsächlich Wirklichkeit geworden.
In dieser unerwarteten Wirklichkeit hängen wir an den Szenen aus Hollywood. Die Historikerin Katharina Wolff arbeitete als medizinisch-technische Assistentin, bevor sie im Exzellenzcluster „Religion und Politik“in Münster über Seuchenkatastrophen forschte. Ihre Dissertation schrieb sie über historische Seuchen, über die reale Ausbreitung von Pest und Ebola ebenso wie über Inszenierungen in der Populärkultur. Sie sagt: „Die Bilder aus Katastrophenfilmen sind stärker als wissenschaftliche Empfehlungen des Robert-koch-instituts.“Sie triggerten die schlimmsten Befürchtungen. Und dass jetzt so viele Menschen hamsterten und Toilettenpapier horteten, habe mit der Übermacht der Bilder zu tun.
Mit dem Film „Outbreak“, in dem ein Virus die Welt bedroht, habe 1995 eine neu Ära begonnen, was die Verarbeitung von dräuender Angst in der globalisierten Welt betreffe, sagt Wolff. Ein ganzes Genre habe sich herausgebildet, den sogenannten „Survival Horror“gebe es auch bei Spielen und Serien. „Outbreak“wirke wie der Spiegel des neuen Bewusstseins, dass da eine neue Bedrohung komme, sagt Wolff. Die unsichtbare Bedrohung folgt den Lebenden auf Schritt und Tritt. Die Weiterentwicklung in Filmen wie „World War Z“sei der Zombie:
durch Ansteckung willenlos gemachte Menschen.
Solche Filme sind „Versuchsanordnungen“(Eva Horn), die zum einen greifbar machen, was wir geahnt, aber bislang übersehen und verkannt haben: Unsere Lebensweise
in der Weltrisikogesellschaft wird nicht ohne Folgen bleiben. Zum anderen strukturieren sie das kollektive Imaginäre in Bezug auf die Art und Weise, wie wir Zukünftiges planen. Der erste Impuls, wenn sich die Wirklichkeit diesen Hollywood-szenarien annähre, sei dann eben das Raffen und Horten, sagt Katharina Wolff. „Das ist so gelernt, das passiert unbewusst.“Es sei dann egal, um welchen Erreger es sich handele und wie hoch die Sterberaten seien. Und daran, dass die Zivilisiertheit bei so vielen am Klopapier hänge, erkenne man, was für ein dünnes Tuch die Zivilisation sei. „Man muss aufpassen, dass keine Löcher hineinkommen.“
Die realen Seuchen wirkten hingegen immer auch als Katalysator, sagt Wolff. „Krankheiten befallen Individuen, Seuchen Gesellschaften.“Sie wirkten als Stresstest, bei dem Manches überdacht und verbessert werde. Was zum Beispiel? Das Infektionsschutzgesetz, überhaupt die Gesetzgebung werden nach der Corona-krise angepasst, schätzt sie, Produktionsstätten für medizinische Ausrüstung und Schutzkleidung zurück ins Inland verlagert, das Gemeinwesen neu sortiert. Überhaupt die global ausgreifend und klimafeindliche Art zu leben reflektiert.
Wolff erklärt es mit einem Bild aus dem Science-fiction-klassiker „Die Zeitmaschine“von H.G. Wells: „Wir haben uns bisher gefühlt wie die Eloi. Wir wiegten uns in Sicherheit, außer der Grippe hat kaum jemand von uns eine Seuche erlebt. Wir dachten, wir hätten die Mikrobiologie im Griff. Deshalb empfanden wir häufiges Händewaschen zunächst als Zumutung, deshalb wollen viele noch immer nicht aufs Hinausgehen verzichten.“Viele Menschen können es zunächst nicht fassen, dass nun tatsächlich passiert, was so oft durchspielt wurde. Im zweiten Schritt wollen sie es nicht wahrhaben; sie versuchen, es zu verdrängen. „Realitätsknick“, nennt Wolff das Muster.
Als die europäischen Städte alle zehn bis zwölf Jahre von der Pest heimgesucht wurden, bildeten sich Routinen aus, die die Menschen schützten, sagt Wolff. In Hongkong und Taiwan etwa sei die Zahl der Corona-infizierten niedriger als anderswo. Das habe auch damit zu tun, dass die Menschen an diesen Orten sich gut an die Sars-epidemie erinnerten und deshalb rascher und rigoroser reagiert wurde. Sie hätten gesehen, wie lange es dauern kann, einen Impfstoff herzustellen und massenhaft zu verbreiten.
Bloß nicht verrückt machen lassen, sagt Wolff. Sie rät, „Contagion“oder „I Am Legend“nur zu gucken, wenn man starke Nerven hat. Im letztgenannten Film ist Will Smith nach einer Epidemie der letzte Mensch auf Erden. „Wir sind aber noch da“, sagt Wolff. Und vor allem: handlungsfähig.
Zukunft ist keine Frage der zeitlichen Ferne.