Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Prügelt sie mal ordentlich durch!“

Vor 75 Jahren, am Ende des Zweiten Weltkriegs, vernichten alliierte Bomber eine deutsche Stadt nach der anderen. Der Luftkrieg folgt rationalem Kalkül, artet aber immer mehr aus. Er erweist sich als moralische Katastroph­e und militärisc­her Fehlschlag.

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nehmen heute eine Gesamtopfe­rzahl des Bombenkrie­gs in Deutschlan­d von 350.000 bis 380.000 an – alte Schätzunge­n von mehr als 600.000 gelten als unhaltbar. Allein in Dresden sterben 25.000; in Hamburg waren es im Juli 1943 mehr als 30.000. Beide Male gelingt es den Angreifern, einen Feuersturm zu erzeugen, einen Kamineffek­t, der alle Löschversu­che unmöglich macht und ganze Stadtteile vernichtet. So ein Brand endet erst, wenn nichts Brennbares mehr da ist.

Dass das „morale bombing“der Innenstädt­e auch nach dem Rechtsstan­d von 1939 nicht legitim ist, wissen die Deutschen wie die Alliierten; aber die Hemmungen fallen schnell. Am ehesten versuchen noch die Amerikaner, punktgenau Industrieu­nd Verkehrsan­lagen, also militärisc­h unmittelba­r bedeutsame Ziele, zu bombardier­en, aber auch sie müssen das am Ende mit der Definition bemänteln, militärisc­h sei „jedes Ziel, dessen Weiterbest­ehen materiell der Fähigkeit des Feindes zur Kriegführu­ng nützt“. Das sind Waffenfabr­iken, aber auch Menschen. Eine moralische Bankrotter­klärung. Der Bombenkrie­g ist Sinnbild der Entgrenzun­g des Krieges zwischen 1939 bis 1945, im Umfang wie im Ansatz: „Unverkennb­ar strafend und maßlos“, schreibt der

britische Histoovesi­nd riker Richard ry. Auch Zivilisten jetzt Teil und Ziel des Krieges. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sind die grauenvoll­e, aber logische Konsequenz.

Unabhängig von seiner moralider schen Beurteilun­g erweist sich Bombenkrie­g insgesamt als Fehlbomdas schlag. Das „strategisc­he“bardieren ist ungenauer als „taktische“, das Eingreifen der Luftstreit­kräfte auf dem Schlachtfe­ld. Die deutsche Rüstung erreicht ihren höchsten Ausstoß 1944, vier volle Jahre nach Beginn der Luftangrif­fe.

Vor allem aber bricht das nationicht nalsoziali­stische Regime eben von innen zusammen. Zwar hätten die Bombardeme­nts „den einigerleb­enszerschl­awird“, maßen normal gewesenen ablauf in einem Ausmaß gen, dass es für jeden spürbar berichtet der Sicherheit­sdienst der SS Ende März 1945, aber die Menund schen bewiesen „Treue, Geduld Opferberei­tschaft“: „Das deutsche Volk ist an Disziplin gewöhnt.“Zieht man die Ns-rhetorik ab, bleibt als Wirkung: Apathie. Zugleich wächst die äußere Abhängigke­it von Staat und Partei, weil nur von dort Hilfe zu erhoffen ist.

Ob der Luftkrieg sogar den Zusammenha­lt zwischen Volk und Führung gestärkt hat, statt ihn zu brechen, darüber streiten die Historiker bis heute. Die Erwartunge­n seiner Urheber hat der Bombenkrie­g jedenfalls nicht erfüllt. Wesel ist bei Kriegsende zu 97 Prozent zerstört. In Köln leben noch 20.000 Menschen; sechs Jahre zuvor waren es 770.000. Als endlich Frieden wird, sind die deutschen Mittel- und Großstädte mehrheitli­ch Trümmerfel­der.

Viele Städte, nicht nur Dresden, kämpfen heute darum, das Gedenken an ihre Zerstörung nicht denen zu überlassen, die damit neuen Hass säen wollen. Versöhnung ist vielerorts die segensreic­he Devise. Dafür steht zum Beispiel das Nagelkreuz aus Coventry, das Reverend Arthur Wales 1940 aus drei Zimmermann­snägeln der zerbombten Kathedrale zusammenfü­gte. Nachbildun­gen stehen heute allein in Deutschlan­d an 72 Orten. Hamburg und Dresden gehören dazu, aber auch Mönchengla­dbach, Wuppertal und Kranenburg. Bomben sind fast überall gefallen.

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