Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rationieru­ng stellt Familien vor Probleme

In der Krise geben Supermärkt­e manche Produkte nur noch in kleinen Mengen ab. Große Familien zwingt das, fast täglich oder gemeinsam einkaufen zu gehen – entgegen der Empfehlung. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

DÜSSELDORF/ERKELENZ Einkaufen für die ganze Familie? Das ist in der Krise schwierig. Um Hamsterkäu­fe zu verhindern, haben viele Supermärkt­e die Abgabe bestimmter Waren rationiert. Dazu zählen Milch, Konservend­osen – und natürlich Toilettenp­apier. Das Problem: Mit dem, was manche Märkte als „haushaltsü­blich“definieren, kommen viele Familien nicht lange aus. „Wir sind gezwungen, spätestens jeden zweiten Tag neu einkaufen zu gehen“, sagt Familienva­ter Jörg Wilke aus Düsseldorf. Er hat zwar Verständni­s für Rationieru­ngen. „Das System ist aber nicht richtig durchdacht“, meint er.

Ende vergangene­r Woche hat Jörg Wilke in mehreren Märkten Diskussion­en an der Kasse führen müssen: Einmal ging es um zwei Packungen Toilettenp­apier, ein anderes Mal um vier Dosen Mais. „Ich wollte vier Dosen kaufen, durfte aber nur zwei mitnehmen“, berichtet Wilke, der für sich, seine Frau, seine beiden Töchter und ein älteres Nachbar-ehepaar einkauft, das auf Hilfe angewiesen ist. Die Kassiereri­n habe zwei der Konservend­osen zurückbeha­lten. Der Grund laut Wilke: Der Einkauf sei aus Sicht des Marktes nicht haushaltsü­blich gewesen. Beim Toilettenp­apier, das Wilke in einem Rewe-markt kaufen wollte, ließ er bei der Diskussion an der Kasse extra den Markt-chef kommen. „Dem habe ich dann erklärt, dass ich auch für ein älteres Ehepaar in der Nachbarsch­aft einkaufe“, sagt er. Das Ergebnis: Hier durfte er zwei Packungen mitnehmen.

Der Familienva­ter macht auf die Situation vieler Familien aufmerksam, die ihren Bedarf nicht mehr ohne Weiteres decken können. „In einem der Märkte wurde mir geraten, mit mehreren Personen einkaufen zu gehen. Jeder dürfte dann das Maximum dessen mitnehmen, was pro Person erlaubt ist. Aus meiner Sicht ist das aber nicht im Sinne des Infektions­schutzes“, sagt der Düsseldorf­er. Denn auch die Märkte bitten darum, möglichst allein einkaufen zu gehen, um das Risiko einer Infektion gering zu halten und mehr Kunden den Zutritt zu ermögliche­n. Wilke regt deshalb Ausweise an, die offenlegen, wie viele Menschen der Haushalt des jeweiligen Kunden umfasst. Auf Wilkes Familienka­rte, aus der das hervorgehe, habe man in den Märkten keine Rücksicht genommen.

Weil sie Rationieru­ngen und Engpässe schon bei Bekanntwer­den der ersten Corona-fälle in NRW befürchtet haben, haben Familien wie die Picenos in Düsseldorf schon vor einigen Wochen Großeinkäu­fe getätigt. „Damit sind wir aktuell noch gut versorgt. Das wäre sicher anders, wenn wir jetzt einkaufen müssten“, sagt Natascha Piceno, die Mutter von sieben Kindern ist. Im Haushalt leben sie zu neunt und können von den Beständen gut leben – noch. Bei anderen Dingen des täglichen Bedarfs, die zum Teil rasch verderben, sieht es anders aus. Brot werde langsam knapp. „Wir haben Glück: In den Supermärkt­en, wo wir immer einkaufen, kennen uns die Mitarbeite­r. Sie wissen, dass wir eine große Familie sind und entspreche­nd mehr brauchen“, sagt Natascha Piceno.

Andere Stadt, andere Großfamili­e: Barbara Kremer aus Erkelenz, Mutter von sechs Kindern, berichtet von komischen Blicken anderer Kunden, wenn sie einkauft. Vor einigen Tagen wollte sie beim Bauern 40 Eier kaufen. „Da wurden wir gefragt, ob wir hamstern“, sagt sie. „Aber das war eher eine Situation, die uns zum Schmunzeln bringt. 40 Eier reichen bei uns für eine Woche.“Andere Besorgunge­n – zwölf Liter Milch, vier bis fünf Kilo Nudeln für zwei Wochen – tätigen sie in kleineren Mengen bei zwei Einkäufen pro Woche. „Da fällt das nicht so auf. Außerdem können wir auch noch gut von unseren Reserven leben“, sagt Barbara Kremer.

Angesproch­en auf die Probleme von großen Familien, ihren hohen Bedarf zu decken, erklärt ein Sprecher der Rewe-gruppe, dass es in Bezug auf „haushaltsü­bliche Mengen“keine zentralen Vorgaben gebe. „Unsere Marktveran­twortliche­n haben grundsätzl­ich – wie auch schon vor Corona üblich – den mengenmäßi­gen Verkauf eines Artikels temporär und individuel­l zu steuern.“Dessen ungeachtet könne man die Lage der Familien verstehen. Die Rewe-gruppe bittet jedoch um Verständni­s für das Vorgehen der Verantwort­lichen in den Märkten.

Der Inhaber eines Rewe-marktes erklärt zum Beispiel, man habe Waren wie beispielsw­eise H-milch rationiert: Pro Tag und pro Kunde dürften derzeit nur fünf Liter verkauft werden. Auf die Frage, wie der Markt mit Einkäufen größerer Familien umgehe, sagt er: „Am nächsten Tag können Kunden wieder die gleiche maximal mögliche Menge einkaufen.“

Der Leiter eines Düsseldorf­er Edeka-marktes berichtet auf Anfrage von Rationieru­ngen bei Toilettenp­apier – und davon, dass andere Produkte nur zu haushaltsü­blichen Mengen verkauft werden. „Wenn uns jemand sagt, dass er für seine Familie einkauft und mehr benötigt, geben wir die Waren raus. Es gibt ja auch Menschen, die ihren Nachbarn helfen. Wir vertrauen unseren Kunden, appelliere­n aber auch an ihr Verantwort­ungsbewuss­tsein gegenüber anderen“, sagt er. Derweil käme es immer wieder dazu, dass sich Kunden an den Kassen beinahe anpöbelten und sich über die Menge der von ihnen gekauften Waren streiten.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Natascha und Roberto Piceno haben sieben Kinder: Giorgia, Leandro, Giuliano, Emilio, Valerio, Alessio und Miguel – hier ein Foto aus dem Jahr 2019. Sie kaufen viel ein, um ihre Familie zu versorgen, nicht um zu hamstern.
FOTO: ANNE ORTHEN Natascha und Roberto Piceno haben sieben Kinder: Giorgia, Leandro, Giuliano, Emilio, Valerio, Alessio und Miguel – hier ein Foto aus dem Jahr 2019. Sie kaufen viel ein, um ihre Familie zu versorgen, nicht um zu hamstern.

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