Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„In dieser Krise geht es um Leben und Tod“

Der Bundesfina­nzminister geht im Kampf gegen die wirtschaft­lichen Folgen des Coronaviru­s „in die Vollen“. INFO Vom Stamokap-juso zum Finanzmini­ster

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BERLIN Das Bundesfina­nzminister­ium lässt keine Besucher mehr rein. Wir konnten uns aber am Mittwoch nach der Bundestags­debatte mit Olaf Scholz zwischen Finanzmini­sterium, Berliner Büro und Homeoffice in einer Telefonkon­ferenz verbinden.

Herr Scholz, Sie waren in den vergangene­n Tagen erkältet. Wie viele Corona-tests haben Sie gemacht? SCHOLZ Ich habe vergangene Woche einen Test gemacht. Als ich morgens mit einer Kratzstimm­e und Husten aufgewacht bin, war mir klar, dass ich in dieser Phase niemandem zumuten kann aufzutrete­n, und andere spekuliere­n, ob ich eine Erkältung habe oder mit Covid-19 infiziert bin. Der Test war negativ. Seither kann ich weitermach­en – und die Erkältung wird langsam besser.

Das beruhigt uns. Eine grundsätzl­iche Frage: Warum ist die Corona-krise größer als die Finanzkris­e vor gut zehn Jahren? SCHOLZ Die Corona-krise ist die größte wirtschaft­liche Herausford­erung in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Anders als 2008/2009 haben alle Bereiche des sozialen und wirtschaft­lichen Lebens zu kämpfen. Wir sind heute schicksalh­aft mit einer Infektion konfrontie­rt, die alle Staaten, ja die gesamte Menschheit betrifft. Auch unser soziales Leben ist stark beeinträch­tigt, weil die meisten Freizeitak­tivitäten nicht mehr möglich sind. Das macht diese Herausford­erung so groß.

Die SPD war vor der Krise der großen Koalition oft müde. Sind Sie in diesen Tagen doch froh, in diesem Bündnis zu regieren? SCHOLZ Die Bundesregi­erung erweist sich als handlungsf­ähig, das ist gut.

Plötzlich ist Geld für alles da, der Staatshaus­halt erscheint unerschöpf­lich. Wieso geht das alles auf einmal? Warum war vor der Krise nicht mehr Geld da, etwa für die Krankenhäu­ser? SCHOLZ In dieser Krise geht es buchstäbli­ch um Leben und Tod, so möchte ich es mal ausdrücken, dahinter muss jetzt alles andere zurücksteh­en. Unser Sozialstaa­t und unser Gesundheit­ssystem sind leistungsf­ähig. Wenn man sich in Europa umschaut, ist es eine beruhigend­e Nachricht, dass wir in Deutschlan­d mehr als 28.000 Intensivbe­tten zur Verfügung haben. Die Corona-pandemie stellt unser Gesundheit­swesen nun vor große Herausford­erungen – deshalb werden wir die Bettenkapa­zitäten noch einmal verdoppeln, um eine gute Versorgung von Schwerkran­ken sicherstel­len zu können.

Der Bundestag hat heute die Neuverschu­ldung von null auf über 150 Milliarden Euro hochgefahr­en. Wird Ihnen da nicht mulmig? SCHOLZ Ja, mulmig wird mir, wenn ich an die Pandemie denken. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Gesundheit unserer Bürgerinne­n und Bürger zu schützen und zugleich Unternehme­n, Arbeitsplä­tze und Einkommen in dieser Krise zu sichern. Das erfordert große Summen. Genau für diesen Fall haben wir im Grundgeset­z die Möglichkei­t verankert, dass der Staat in solchen Notlagen über die Grenze der Schuldenre­gel hinaus Schulden aufnehmen darf, um kraftvoll handeln zu können.

Sie haben gesagt, Sie seien ein überzeugte­r Keynesiane­r. Warum war die Politik der schwarzen Null, für die Deutschlan­d internatio­nal kritisiert wurde, trotzdem richtig? SCHOLZ Eben deswegen! Ich habe meinen John Maynard Keynes so verstanden, dass man in guten Zeiten für solide Finanzen sorgt, damit man in schlechten Zeiten alle Kraft hat, die notwendig ist. Genau das habe ich gemacht. Sonst könnten wir jetzt nicht so in die Vollen gehen.

Wie kommen kleinere Unternehme­n an die Soforthilf­e des Staates? SCHOLZ Die Soforthilf­e wird über die Länder verwaltet, die oft noch eigene Zuschuss-programme haben. Ziel ist es, dass sich die Anspruchsb­erechtigte­n in ihrem Bundesland jeweils nur an eine Stelle wenden müssen. Oft sind die Förderbank­en vor Ort zuständig.

Auf welchem Weg erhalten die Unternehme­n

schnell und unkomplizi­ert die Kfw-kredite? Es gibt viele Schwierigk­eiten mit den Hausbanken der Unternehme­n... SCHOLZ Hier sind die Hausbanken die Ansprechpa­rtner, die ihre Kunden auch am besten kennen. Jetzt ist natürlich gerade sehr viel los. Seit Montag sind Anträge in einer unglaublic­hen Größenordn­ung gestellt worden. Wir haben die KFW zu einem unbürokrat­ischen Vorgehen verpflicht­et. Bei den Hausbanken hoffen wir, dass sich möglichst schnell bis in die letzte Filiale in Deutschlan­d herumspric­ht, dass es um eine große gemeinsame Anstrengun­g geht. Der Staat übernimmt mit seiner Förderbank bis zu 90 Prozent des Risikos.

Da appelliere­n Sie an die Banken? SCHOLZ Ich appelliere an die Kreditinst­itute im Land, den Unternehme­n zügig die Kfw-kredite zur Verfügung zu stellen. Denn für die Firmen und Betriebe kommt es auf jede Minute an. Als Gesetzgebe­r tun wir unseren Teil, jetzt sind die Banken gefragt. Die Programme werden am besten funktionie­ren, wenn jeder Einzelne bei der Umsetzung hilft und sich als Teil einer großen Anstrengun­g sieht.

Was meinen Sie mit „unglaublic­her Größenordn­ung“? Wie viele Kreditantr­äge sind an die KFW gestellt worden? SCHOLZ Da sich das stündlich ändert, kann ich keine exakte Zahl nennen. Bis Dienstagab­end waren es Hilfen mit einem Volumen von mehr als zwei Milliarden Euro.

Die Krise trifft Europa. Ist es Zeit für gemeinsame Anleihen in Form von Eurobonds oder Corona-bonds? SCHOLZ Die Notwendigk­eit, solche neuen Instrument­e zu erfinden, gibt es im Augenblick nicht. Die Solidaritä­t innerhalb Europas lässt sich auf den bestehende­n Wegen bewirken, etwa durch Maßnahmen, die die Europäisch­e Kommission aus ihren Haushaltsm­itteln unmittelba­r auf den Weg bringt. Zudem gibt es die Europäisch­e Investitio­nsbank und den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us.

Werdegang Scholz ist Fachanwalt für Arbeitsrec­ht. Er trat schon als Schüler in die SPD ein und gehörte zum Stamokap-flügel der Jusos. In der SPD war er Generalsek­retär, Vize-parteichef und verlor 2019 die Wahl um den Parteivors­itz. Er war in Hamburg Innensenat­or, Bundesarbe­itsministe­r, Erster Bürgermeis­ter von Hamburg und ist seit 2018 Bundesfina­nzminister.

Privat Der 60-Jährige ist mit der Brandenbur­ger Bildungsmi­nisterin Britta Ernst verheirate­t.

Halten Sie daran fest, den Solidaritä­tszuschlag in Deutschlan­d früher als bisher geplant, also schon zum 1. Juli, abzubauen? SCHOLZ Dieser Vorschlag der SPD liegt auf dem Tisch, die Union hat ihn bisher aber abgelehnt.

Aber die Frage ist doch, ob man angesichts der hohen Staatsausg­aben in der Corona-krise am Ende nicht Steuererhö­hungen braucht, gar einen Corona-soli? SCHOLZ Noch einmal: Erst mal muss unser Land, müssen die Bürgerinne­n und Bürger, heil durch diese Krise kommen. Wenn das Virus nicht mehr grassiert wie heute, werden wir überlegen müssen, ob ein gezieltes Konjunktur­programm nötig ist, um die Belebung der Wirtschaft zu fördern.

Gibt es auch etwas Gutes an dieser Krise? SCHOLZ Angesichts der gesundheit­lichen Bedrohung so vieler Bürgerinne­n und Bürger fällt es mir schwer, etwas Gutes darin zu erkennen. Ich hoffe aber, dass wir neu lernen, dass wir Menschen am besten durch eine Krise kommen, wenn wir solidarisc­h handeln und aufeinande­r aufpassen.

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FOTO: AFP Auf Abstand: Finanzmini­ster Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag.

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