Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Politische­r Neuanfang nach dem Weltkrieg

Nach der Besetzung der Stadt im März 1945 durch amerikanis­che Truppen regte sich schnell wieder politische­s Leben in Neuss.

- VON BEATE BERRISCHEN

NEUSS „Am 1. März 1945 war Neuss parteifrei“, so schilderte Harry Arns, langjährig­er Beigeordne­ter und Stadtdirek­tor, in einem Interview die Lage in der Quirinusst­adt, wenige Stunden vor dem Einzug der Amerikaner gegen Ende des Zweiten Weltkriege­s. Die letzten „Parteibonz­en“der NSDAP waren über den Rhein geflohen. Andere Parteien gab es zu diesem Zeitpunkt in Neuss nicht. Eine politische Stunde Null hat es trotzdem – streng genommen – nicht gegeben.

Auch Nazis lebten nach wie vor in der Stadt. „Die waren – bis auf einige – in allen Positionen, in denen sie vorher auch gewesen waren“, so die Tochter des späteren Bürgermeis­ters Josef Schmitz. Tatsächlic­h galten 15 Prozent der städtische­n Bedienstet­en als nicht entnazifiz­iert, berichtet Jens Metzdorf, Leiter des Neusser Stadtarchi­vs. Auch Werner T. Schaurte, unter den Nationalso­zialisten Wehrwirtsc­haftsführe­r, durfte unter den Briten wieder die Leitung seiner Firma übernehmen und wurde sogar Vizepräsid­ent der Wirtschaft­skammer. „Der Aufbau der Wirtschaft hatte Vorrang“, erklärt Metzdorf die Entscheidu­ng.

In Neuss regten sich schnell wieder Sozialiste­n und Kommuniste­n, deren Parteien in der Ns-zeit verboten waren. Nur Tage nach der Besatzung durch die Amerikaner trafen sie sich in Privatwohn­ungen oder „bei unauffälli­gen Spaziergän­gen auf dem Hauptfried­hof“, wie es in den Dokumenten des Stadtarchi­vs steht, um den Wiederaufb­au ihrer Parteien zu planen. Ein klarer Verstoß gegen die Auflagen der Militärver­waltung: Politische Zusammenkü­nfte waren noch verboten.

Auch ehemalige Zentrums-mitglieder setzten sich über dieses Verbot hinweg und planten die Gründung einer neuen Partei. Sie sollte auf christlich­en Werten beruhen, aber Katholiken und Protestant­en eine politische Heimat geben. „Nach der Existenz so vieler Parteien vor 1933 und angesichts der Ohnmacht aller damaligen Parteien gegenüber Radikalen“, so Zeitzeuge Heinz-günther Hüsch, habe die Überzeugun­g gesiegt, dass nur eine starke christlich­e Partei gegründet werden sollte.

Mit dem Potsdamer Abkommen vom August 1945 war diese Gründung auch erlaubt. Und keine vier Wochen später gab es in Neuss wieder eine SPD und eine KPD. Im November 1945 folgte die Gründung der CDU Neuss. Hüsch, damals 16 Jahre alt und zu jung für einen Parteieint­ritt, war bei dieser Sitzung dabei. „Zwei Schulfreun­de und ich hatten uns schon während des Krieges gesagt, dass – wenn der Krieg einmal zu Ende sei – etwas anderes kommen muss, und dieses andere schien jetzt zu beginnen“, so Hüsch.

Die erste freie Wahl fand aber erst am 13. Oktober 1946 statt: die Wahl der Stadtvertr­etung.

Ein solches Gremium gab es allerdings schon ab Juli 1945: Oberbürger­meister Josef Nagel berief 25 Neusser Männer in den sogenannte­n Bürgerauss­chuss, der ihm beratend zur Seite stehen sollte. „Zum 1.

Januar 1946 wurde dieser Ausschuss dann von der Stadtvertr­etung ersetzt, die aber noch von der Militärver­waltung ernannt worden war“, berichtet Metzdorf. Damit verbunden war auch die Einführung der „Doppelspit­ze“. Josef Nagel wurde zum ersten Oberstadtd­irektor ernannt, der Arzt Josef Schmitz zum

Bürgermeis­ter – gegen den Wunsch von SPD und KPD, die sich von der Militärreg­ierung benachteil­igt fühlten. Ihre Parteien waren im Bürgerauss­chuss kaum vertreten.

Nach der ersten freien Wahl zeigte sich jedoch ein ähnliches Bild. „Durch das Mehrheitsw­ahlrecht, das damals galt, gingen alle 24 Wahlkreise der Stadt direkt an die CDU“, berichtet Metzdorf. Die SPD dagegen konnte nur vier Genossen über die Reservelis­te in das Neusser Gremium schicken, die KPD ein Mitglied. Trotz dieser klaren Mehrheit wurde aber mit Josef Schmitz ein SPD-MANN zum Stellvertr­eter von Oberbürger­meister Alfons Frings ernannt – gute Zusammenar­beit war gewünscht. „Oberstes Ziel war es, das Land wieder ans Laufen zu bringen“, erklärt Metzdorf. Diese Einigkeit war von Dauer: Bis 1956 verabschie­dete die „Neusser Fraktion“alle Haushalte einstimmig.

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Major Kerr von der britischen Militärver­waltung vereidigte 1945 den Arzt Josef Schmitz im Raum des Gerichtsho­fes als Oberbürger­meister der Stadt .
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Bei dieser Rede im Stadion ging es 1946 um den politische­n Neuanfang.

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