Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Die Schwächsten nicht vergessen“
Auch in Corona-zeiten werden Familien, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, engmaschig betreut.
Frau Klein, das gesellschaftliche Leben in Deutschland steht still. Schulen, Kindertagesstätten, Freizeiteinrichtungen, alles ist geschlossen. Familien hocken nun wochenlang aufeinander. Kinderschützer warnen jetzt davor, nicht die Schwächsten der Gesellschaft zu vergessen, die Kinder, die eh in schwierigen Familienverhältnissen leben. Wie sehen Sie das? Marion Klein Die Schwächsten in der Gesellschaft sollte niemand jemals vergessen. Nicht jetzt und auch sonst nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Jugendamtes halten zu allen Familien telefonisch Kontakt. Die Träger arbeiten weiter mit den Familien, beispielsweise über Videokonferenzen. Die Eltern werden zu Themen wie Tagesstruktur und dergleichen beraten. Die aktuelle Situation ist für alle Familien schwieriger als sonst und tatsächlich erst recht für Familien, die vielleicht nicht so viele Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung haben. Die Jugendämter kommen ihrem Wächteramt weiterhin nach. Wir sind aber in dieser speziellen Zeit alle gefragt, aufeinander Rücksicht zu nehmen und gegenseitige Hilfe anzubieten.
Wie kann vermieden werden, dass es nun in der sozialen Isolation zu Eskalationen kommt? Klein Wir bieten professionelle Gespräche an und kontrollieren dort, wo es notwendig ist. Darüber hinaus ist es wichtig den Familien aufzuzeigen, was auch in dieser Situation noch alles möglich ist. Spaziergänge als Familie, Natur anders erleben, gemeinsam kochen und so weiter. Diese Ideen werden zusammen mit Familien besprochen und auf deren Möglichkeiten hin überdacht. Das kann auch die Chance bieten, gemeinsame Aktivitäten neu schätzen zu lernen.
Welche Aufgaben kommen jetzt auf die Mitarbeiter der Jugendämter zu, die bereits auffällige Familien im Blick haben? Klein Die Aufgaben ändern sich grundsätzlich nicht. Es ist jetzt aber Flexibilität und Kreativität bei der Umsetzung gefragt. Die Familien sollen spüren, dass wir sie trotzdem begleiten und nicht aus dem Blick verlieren.
Müssten die, die aktuell noch hin und wieder Kontakt zu den Familien haben, wie vielleicht Postboten, Kassierer im Supermarkt, Paketzusteller, Nachbarn jetzt noch einmal besonders sensibilisiert werden? Klein Es sollte immer jeder sensibilisiert sein, der Kontakt zu Familien hat – jetzt in diesen Zeiten natürlich ganz besonders. Manchmal helfen ein offenes Ohr und ein Gesprächsangebot von Nachbarn da schon sehr. Bei Eskalationen sollte man immer das Jugendamt informieren. Auch wer sich Sorgen über andere Familien macht, kann sich vom Jugendamt beraten lassen. Es gibt viele Menschen, die selbst helfen möchten, aber nicht wirklich wissen, wie.
Welche Angebote könnten Eltern, die bekanntermaßen schon im „normalen“Alltag mit ihren Kindern überfordert sind, gemacht werden? Klein Wir gehen aktiv auf Eltern zu und besprechen, wie sie die Zeit nutzen und mit ihren Kindern gestalten können. Und natürlich beraten wir auch jederzeit bei Problemen.
Halten die Mitarbeiter des Jugendamtes jetzt den Kontakt mit Familien eher telefonisch, heißt, fallen Hausbesuche weg? Klein Hausbesuche fallen jetzt überwiegend weg, dies dient dem Infektionsschutz der Familien und darüber hinaus auch unserer Mitarbeiter. Bei Gefährdungsüberprüfungen
fahren wir aber natürlich weiter zu den Betroffenen. Ansonsten halten wir engmaschig telefonischen Kontakt.
Wird das Kreisjugendamt jetzt schon öfter angerufen und um Hilfe gebeten, weil Familien Fragen haben und Rat suchen, weil alle ständig zu Hause sind? Klein Derzeit kommen viele Familien noch sehr gut zurecht. Dabei hilft sicherlich das gute Wetter, vielleicht aber auch die Einsicht, dass diese spezielle Lage alle betrifft. Wir stellen fest, dass viele Familien verstanden haben, dass die Veränderungen ihrem Schutz dienen und versuchen der Situation positiv zu begegnen. Es ist wirklich bewundernswert, dass gerade sehr viele Familien erfolgreich ihre Ressourcen mobilisieren und dabei oft über sich hinaus wachsen. Allen anderen versuchen wir beizustehen.