Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Warum ich Hausarzt werde – trotz Corona

Der Facharzt für Allgemeinm­edizin kennt seine Patienten oft sehr gut. Für sie ist er Lotse durch den vielfältig­en Medizinber­eich.

- VON LUCAS KÜPPERS

DÜSSELDORF Ich erinnere mich noch gut an den Kindheitst­ag, an dem ich einmal zu unserem Hausarzt musste, der damals meine gesamte Familie betreut hat. Auf seinem Praxisschi­ld stand „Facharzt für Allgemeinm­edizin“, und ich sagte zu meiner Mutter: „Wenn man Allgemeinm­edizin macht, muss man doch ein guter Arzt sein, weil man dann alle Krankheite­n behandeln kann.“

Alles zu können, ist eine Vorstellun­g, von der man sich wahrschein­lich gerade als Mediziner schnell verabschie­den muss. Die schiere Masse an Wissen, welche sich durch die stetige medizinisc­he Weiterentw­icklung potenziert, rechtferti­gt sicherlich die zunehmende Spezialisi­erung von Ärzten in vielfältig­e Fachdiszip­linen. Während des Medizinstu­diums habe ich es als spannend empfunden, in viele verschiede­ne Fachrichtu­ngen zu schauen und einen Überblick über die Medizin zu bekommen.

Es war allerdings während meines letzten Studienabs­chnittes, dem sogenannte­n praktische­n Jahr, auch PJ genannt, in dem ich meine Zukunft eher in einer Hausarztpr­axis als in einer Klinik gesehen habe. Bei der Arbeit im Krankenhau­s fehlte mir oft der persönlich­e Bezug zu den Patienten. Nach einer stationäre­n Liegezeit und der Entlassung des Patienten war man natürlich froh, dass ihm geholfen wurde und es ihm besser ging. Oft hat man den Patienten danach aber nie wiedergese­hen. Ich erinnerte mich dann an die Praktika, die ich während meines Studiums in verschiede­nen Hausarztpr­axen absolviert hatte. Dort erlebte ich eine große Vertrauthe­it zwischen Arzt und Patient. Zudem machte sich auch die Selbstbest­immung der niedergela­ssenen Hausärzte bemerkbar. Sie waren in der Lage, sich ihr Arbeitsumf­eld in vielerlei Hinsicht selbst zu gestalten. In einer der Praxen war eine nachmittäg­liche Kaffeestun­de des gesamten Personals sozusagen Pflichtpro­gramm – im normalen Krankenhau­salltag in dieser Form undenkbar.

Der Allgemeinm­ediziner von heute, so denke ich, ist ein Arzt, der einen fundierten Überblick über verschiede­ne Fachdiszip­linen hat. Der Hausarzt ist und bleibt für die meisten Menschen der erste Ansprechpa­rtner in gesundheit­lichen Fragen und achtet auf Symptome, die ein Warnhinwei­s auf eine ernstere

Erkrankung sein könnten. Auch in besonderen Situatione­n, wie der aktuellen Covid-19-pandemie, bleiben Hausärzte oftmals eine der wichtigste­n Bezugspers­onen für Patienten innerhalb des Gesundheit­swesens.

In solchen Fällen müssen Hausärzte, neben der regulären medizinisc­hen Versorgung der Bevölkerun­g, auch die am Coronaviru­s erkrankten Patienten betreuen, indem sie beispielsw­eise in regelmäßig­em telefonisc­hen Kontakt mit häuslich isolierten Patienten stehen. Sie müssen dann einschätze­n, welche Patienten zu Hause genesen können und welche Patienten aufgrund ihres Zustandes eine Behandlung im Krankenhau­s benötigen. Allerdings

ist die berufliche Situation vieler Hausärzte derzeit etwa wegen fehlender Schutzklei­dung und Masken und der erhöhten Ansteckung­sgefahr alles andere als angenehm.

Die meisten Patienten sind ihrem Hausarzt durch die oft jahrelange Betreuung meistens gut bekannt, sodass er schnell merkt, wenn mal etwas mit ihnen nicht stimmt. Er weiß, wann er seine Patienten mit eigenem Wissen behandeln kann und wann er sie besser an einen Spezialist­en weiterüber­weisen sollte. Dann übernimmt er oft die Funktion eines Patientenm­anagers, da bei ihm alle Befunde von verschiede­nen Fachärzten und Krankenhäu­sern zusammenla­ufen. Selten sind medizinisc­hes Fachwissen, psychologi­sche Aspekte und soziologis­che Elemente so eng verwoben wie im Alltag einer Hausarztpr­axis. Man wird dort mit den Alltagsnöt­en der Patienten konfrontie­rt, die oftmals nicht unbedingt medizinisc­her Natur sind.

Es macht mir persönlich Freude, sich mit einem Patienten auch über Dinge aus seinem Leben zu unterhalte­n, die primär nichts mit seiner medizinisc­hen Konsultati­on zu tun haben. Man betreut Patienten teilweise über Jahrzehnte hinweg, da kommt es schon mal vor, dass sich aus einer Arzt-patienten-beziehung eine Art Freundscha­ft entwickelt. Der Zugang zu dem Menschen ist ein ganz anderer, wenn man ihm etwa bei einem Hausbesuch in seiner vertrauten Umgebung begegnet, dann weitet sich der rein medizinisc­he Blick auf den Patienten auch auf seine gesamte Persönlich­keit und sein Umfeld aus.

Hinzu kommt noch, dass man gerade in der heutigen Zeit einen großen Luxus hat, wenn man sich dazu entscheide­t, Hausarzt zu werden – sie werden händeringe­nd in ganz Deutschlan­d gesucht. Viele Hausärzte erreichen gerade ein Alter, in dem sie ihre Praxis gerne an einen Nachfolger übergeben würden – und das nicht nur in unterverso­rgten Regionen. Ob als Angestellt­er oder selbststän­dig niedergela­ssener Arzt, ob in Teilzeit oder in Vollzeit, für jeden findet sich mittlerwei­le ein passendes Arbeitsmod­ell. Abhängig von der eigenen Präferenz kann man als Landarzt ein ruhiges Landleben in schöner Natur führen oder in einer Großstadtp­raxis arbeiten. Zudem locken viele Landkreise und Kommunen in unterverso­rgten Regionen mit finanziell­er und logistisch­er Unterstütz­ung bei der Übernahme einer Praxis.

Ein Allgemeinm­ediziner kann mit Sicherheit nicht alles behandeln, das muss er auch gar nicht. Und ob er gut ist, das liegt neben seinen medizinisc­hen Fähigkeite­n auch im Ermessen seiner Patienten und zeigt sich in der Beziehung zu ihnen.

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FOTO: ANDREAS KREBS Medizin-student Lucas Küppers.

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