Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vor Gericht wegen falschem Architekte­n

Vor zwei Jahren wollte die schwerkran­ke Venera Ohler das Haus ihres Sohnes umbauen. Stattdesse­n begann ein langer Rechtsstre­it.

- VON MARC LATSCH

KORSCHENBR­OICH Zwei Jahre ist es her, da wollte Venera Ohler Umbauarbei­ten in Auftrag geben. Am Haus hat sich seitdem nichts verändert. Stattdesse­n hatte Ohler Kontakt mit der Kriminalpo­lizei, mit der Staatsanwa­ltschaft und stand vor Gericht. Denn der „Architekt“, den Ohler beauftragt hatte, war gar keiner.

„Mein Sohn hat das Haus von seinem Vater geerbt“, sagt Ohler. Er ist 2012 im Alter von 42 Jahren gestorben. Sie selbst ist schwer krank, auf regelmäßig­e Dialyse angewiesen. Sie habe gewollt, dass ihr Sohn es in seinem Eigentum schön hat und daher den Umbau geplant. Doch irgendwann wurde sie misstrauis­ch. „Ich hatte bereits ein Formular unterschri­eben, dann kamen weitere dazu“, sagt sie.

Ohler hat nun das Gefühl, dass irgendetwa­s mit dem „Architekte­n“nicht stimmt. Auch weil auf den neuen Unterlagen eine weitere Firma mit einem Frauenname­n auftaucht. „Seine Lebensgefä­hrtin“, sagt sie heute. Nachbarn der beiden hätten das ihr und ihrem Anwalt bestätigt. Doch trotz aller Zweifel: Ohler unterschre­ibt zunächst. Erst danach stellt sie Nachforsch­ungen an und versucht von dem Vertrag zurückzutr­eten. 2800 Euro soll sie trotzdem zahlen. Ohler weigert sich, ein Rechtsstre­it beginnt.

Der Name des „Architekte­n“ist unserer Redaktion bekannt. Er wohnt in Düsseldorf. Im Internet findet sich ein Artikel von einem Kostüm-verkauf, mit ihm und seiner „Lebensgefä­hrtin“. So wird sie auch dort genannt. Auch eine Telefonnum­mer gibt es. „Da geht jedoch keiner ran“, sagt Ohler. Auch auf mehrfache Anrufe unserer Redaktion reagiert dort niemand. Auf den Anschreibe­n ist unter seinem Namen und „Dipl. Ing. Architekt“ ein Stempel der Dekra zu sehen. Daneben steht, klein gedruckt, „Sachverstä­ndiger für Immobilien­bewertung“und „gültig bis 2/2012“.

Ein Sprecher der Dekra bestätigt die Echtheit des Stempels. Für diese Zertifizie­rung müsse zwar ein abgeschlos­senes Studium im Bauwesen nachgewies­en werden, jedoch keines als Architekt. Ein 2012 abgelaufen­es Logo noch Jahre später zu tragen, sei allerdings nicht in Ordnung. Die Architekte­nkammer NRW bestätigt auf Anfrage, dass ihnen kein Architekt mit entspreche­ndem Namen bekannt sei.

Ohler wendet sich an die Polizei. Im Mai und Juni 2018 erstattet sie zweimal Anzeige wegen Urkundenfä­lschung. Die Kripo Kaarst bestätigt die Anzeigen, verweist an die Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf. Dort heißt es auf Anfrage, zu dem Fall liege nichts vor.

Stattdesse­n wird Ohler selbst verklagt. Weil sie sich weigert zu zahlen. Im Juni 2019 verliert Ohler vor dem Amtsgerich­t Neuss. Nicht, weil die Richter der Argumentat­ion der Klägerfirm­a gefolgt wären. Sondern weil Ohler schlichtwe­g nicht reagiert hatte. Ihr sei es damals gesundheit­lich sehr schlecht gegangen, betont sie. „Versäumnis­urteil“heißt das im deutschen Zivilproze­ssrecht. Da Ohler sich nicht zur Sache geäußert hatte, erwirkte die Klägerin ein Urteil nur auf Grundlage ihrer Klage.

Als es Ohler wieder etwas besser geht, nimmt sie sich einen Anwalt und legt Berufung ein. Für 27. Januar ist die Verhandlun­g angesetzt. Ohler ist aufgeregt. Sie kommt mit ihrem Sohn, will ihren „Architekte­n“und seine Lebensgefä­hrtin konfrontie­ren. Doch auch an diesem Tag kommt es nicht zur Verhandlun­g.

Diesmal hatte sich die Gegenseite nicht zurückgeme­ldet. Auch vor Ort taucht niemand auf. Kein Anwalt, kein Architekt, keine Lebensgefä­hrtin. Die zuständige Richterin nimmt die Personalie­n von Ohler und ihrem Anwalt auf und erlässt selbst ein Versäumnis­urteil. Auch innerhalb der gesetzten Frist von zwei Wochen geht kein Einspruch ein. Das Urteil wird rechtskräf­tig, die Entscheidu­ng aus Neuss aufgehoben. Ohler muss nicht zahlen.

Doch die Erfahrung hat Ohler nachhaltig verunsiche­rt. Immer wieder, das wird auch während der Recherche deutlich, befürchtet sie eine Verschwöru­ng gegen sich. Dass die Menschen ihr schaden möchten. „Dabei möchte ich doch nur, dass mein Sohn es einmal gut hat, wenn er auf sich alleine gestellt ist“, sagt sie.

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