Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Vor Gericht wegen falschem Architekten
Vor zwei Jahren wollte die schwerkranke Venera Ohler das Haus ihres Sohnes umbauen. Stattdessen begann ein langer Rechtsstreit.
KORSCHENBROICH Zwei Jahre ist es her, da wollte Venera Ohler Umbauarbeiten in Auftrag geben. Am Haus hat sich seitdem nichts verändert. Stattdessen hatte Ohler Kontakt mit der Kriminalpolizei, mit der Staatsanwaltschaft und stand vor Gericht. Denn der „Architekt“, den Ohler beauftragt hatte, war gar keiner.
„Mein Sohn hat das Haus von seinem Vater geerbt“, sagt Ohler. Er ist 2012 im Alter von 42 Jahren gestorben. Sie selbst ist schwer krank, auf regelmäßige Dialyse angewiesen. Sie habe gewollt, dass ihr Sohn es in seinem Eigentum schön hat und daher den Umbau geplant. Doch irgendwann wurde sie misstrauisch. „Ich hatte bereits ein Formular unterschrieben, dann kamen weitere dazu“, sagt sie.
Ohler hat nun das Gefühl, dass irgendetwas mit dem „Architekten“nicht stimmt. Auch weil auf den neuen Unterlagen eine weitere Firma mit einem Frauennamen auftaucht. „Seine Lebensgefährtin“, sagt sie heute. Nachbarn der beiden hätten das ihr und ihrem Anwalt bestätigt. Doch trotz aller Zweifel: Ohler unterschreibt zunächst. Erst danach stellt sie Nachforschungen an und versucht von dem Vertrag zurückzutreten. 2800 Euro soll sie trotzdem zahlen. Ohler weigert sich, ein Rechtsstreit beginnt.
Der Name des „Architekten“ist unserer Redaktion bekannt. Er wohnt in Düsseldorf. Im Internet findet sich ein Artikel von einem Kostüm-verkauf, mit ihm und seiner „Lebensgefährtin“. So wird sie auch dort genannt. Auch eine Telefonnummer gibt es. „Da geht jedoch keiner ran“, sagt Ohler. Auch auf mehrfache Anrufe unserer Redaktion reagiert dort niemand. Auf den Anschreiben ist unter seinem Namen und „Dipl. Ing. Architekt“ ein Stempel der Dekra zu sehen. Daneben steht, klein gedruckt, „Sachverständiger für Immobilienbewertung“und „gültig bis 2/2012“.
Ein Sprecher der Dekra bestätigt die Echtheit des Stempels. Für diese Zertifizierung müsse zwar ein abgeschlossenes Studium im Bauwesen nachgewiesen werden, jedoch keines als Architekt. Ein 2012 abgelaufenes Logo noch Jahre später zu tragen, sei allerdings nicht in Ordnung. Die Architektenkammer NRW bestätigt auf Anfrage, dass ihnen kein Architekt mit entsprechendem Namen bekannt sei.
Ohler wendet sich an die Polizei. Im Mai und Juni 2018 erstattet sie zweimal Anzeige wegen Urkundenfälschung. Die Kripo Kaarst bestätigt die Anzeigen, verweist an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Dort heißt es auf Anfrage, zu dem Fall liege nichts vor.
Stattdessen wird Ohler selbst verklagt. Weil sie sich weigert zu zahlen. Im Juni 2019 verliert Ohler vor dem Amtsgericht Neuss. Nicht, weil die Richter der Argumentation der Klägerfirma gefolgt wären. Sondern weil Ohler schlichtweg nicht reagiert hatte. Ihr sei es damals gesundheitlich sehr schlecht gegangen, betont sie. „Versäumnisurteil“heißt das im deutschen Zivilprozessrecht. Da Ohler sich nicht zur Sache geäußert hatte, erwirkte die Klägerin ein Urteil nur auf Grundlage ihrer Klage.
Als es Ohler wieder etwas besser geht, nimmt sie sich einen Anwalt und legt Berufung ein. Für 27. Januar ist die Verhandlung angesetzt. Ohler ist aufgeregt. Sie kommt mit ihrem Sohn, will ihren „Architekten“und seine Lebensgefährtin konfrontieren. Doch auch an diesem Tag kommt es nicht zur Verhandlung.
Diesmal hatte sich die Gegenseite nicht zurückgemeldet. Auch vor Ort taucht niemand auf. Kein Anwalt, kein Architekt, keine Lebensgefährtin. Die zuständige Richterin nimmt die Personalien von Ohler und ihrem Anwalt auf und erlässt selbst ein Versäumnisurteil. Auch innerhalb der gesetzten Frist von zwei Wochen geht kein Einspruch ein. Das Urteil wird rechtskräftig, die Entscheidung aus Neuss aufgehoben. Ohler muss nicht zahlen.
Doch die Erfahrung hat Ohler nachhaltig verunsichert. Immer wieder, das wird auch während der Recherche deutlich, befürchtet sie eine Verschwörung gegen sich. Dass die Menschen ihr schaden möchten. „Dabei möchte ich doch nur, dass mein Sohn es einmal gut hat, wenn er auf sich alleine gestellt ist“, sagt sie.