Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Anschwärzen zur Angstbewältigung
Jeder vierte Anruf zu Corona-verstößen fällt in die Kategorie „Denunziation“.
GREVENBROICH Ausnahme-tage für Grevenbroich und das Rathaus: Das Coronavirus erfordert alle Aufmerksamkeit, eine hohe Sorgfalt und obendrein Schnelligkeit zugleich. Nichts ist mehr, wie es vor zwei Wochen war. Rund 40 Mitarbeiter sind aus anderen Behördenbereichen dem Ordnungsamt zugeteilt worden – größtenteils für den Innendienst. Manche von Ihnen unterstützen aber auch die uniformierten Osdler bei ihren Streifen in den Straßen von Grevenbroich. Dabei gingen sie in der zurückliegenden Woche auch rund 120 Hinweisen aus der Bevölkerung nach. Bürger meldeten Verstöße gegen das Kontaktverbot, hatten Menschenansammlungen oder Gruppen beobachtet und sorgten sich um die Gesundheit der anderen.
„Natürlich verfolgen wir jeden dieser Hinweise“, sagt Sozialdezernent Claus Ropertz, der aus dem Verwaltungsvorstand die Arbeitsgruppen zum Coronavirus koordiniert. In der Mehrzahl waren es tatsächlich wichtige, sachdienliche Hinweise. Etwa 30 Anrufe aber fielen aus Sicht der Stadt in die Kategorie „Da will jemand seinen Nachbarn anschwärzen“. Eigentlich ist Ropertz so lange im Geschäft, dass er so etwas mit einem Achselzucken quittiert. Wenn jedoch – wie aktuell – ohnehin zu wenige Leute zu viel zu tun haben, dann sind solche Zwischenmenschlichkeiten besonders ärgerlich.
Was bringt manche Mitbürger dazu, in Zeiten von Corona andere anzuschwärzen – manchmal sogar aus Sicht der alarmierten Ordnungskräfte grundlos? Nadine Robertz beschäftigt sich als psychologische Psychotherapeutin in Grevenbroich unter anderem mit Ängsten, Phobien und Mobbing. Sie vermutet aus der Distanz heraus und ohne Kenntnis von Einzelfällen, „dass Tipp-geber, die andere anschwärzen, damit ihre eigene Angst kompensieren wollen.“
Immerhin handele es sich bei dem Coronavirus um eine unsichtbare Gefahr. Das Virus greife tief in alle Bereiche des Lebens ein. Und derzeit könne sich der Einzelne zwar an die Regeln halten, häufig die Hände waschen, Abstand wahren – „doch insgesamt stehen wir der augenblicklichen Situation ziemlich machtlos gegenüber“, sagt Psychotherapeutin Robertz. Indem manche nun Mitmenschen bei den Behörden anschwärzten, „gewinnen sie subjektiv ihre Handlungsfähigkeit zurück.“Die Denunzierer haben aus ihrer Sicht aktiv etwas getan, um die Situation zu verbessern. Und sie glauben, damit der Gesellschaft gedient zu haben. Dass sie damit Ordnungskräfte und Polizisten sinnlos durch die Gegend schicken – das sähen die Denunzierenden demgegenüber nicht.