Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der einsame Sieg des Jesse Owens

Vor 40 Jahren starb der Mann, der bei den Olympische­n Sommerspie­len 1936 in Berlin vier Mal Gold holte. Doch nicht nur dort, auch in seiner Heimat schlug dem schwarzen Us-leichtathl­eten Rassismus entgegen.

-

bäuchlings auf dem Boden des Stadions liegend. Zwei junge Männer, die für einen Tag vergessen machen, was sich in der Welt zusammenbr­aut. Owens schreibt später: „Es kostete ihn viel Mut, sich vor den Augen Hitlers mit mir anzufreund­en. Man könnte alle Medaillen und Pokale, die ich habe, einschmelz­en, und sie würden nicht für eine Schicht über die 24-Karat-freundscha­ft, die ich in diesem Moment für Luz Long empfand, reichen. Hitler muss wahnsinnig geworden sein, als er sah, wie wir uns umarmten. Das Traurige an der Geschichte ist, dass ich Long nie mehr gesehen habe. Er wurde im Zweiten Weltkrieg getötet.“

Der besiegte Deutsche veröffentl­icht in der „Neuen Leipziger Zeitung“seine Gedanken zum Wettkampf: „Der Kampf der Farben ist beendet. Schwarz war der Beste, einwandfre­i der Beste, mit 19 Zentimeter­n vor Weiß.“Der mutigen Feststellu­ng folgt auch anderes. Als im Wettbewerb die beiden Athleten zwischenze­itlich gleichauf liegen, liest sich das bei Luz Long so: „Ein Blick ins Publikum, das sich nicht beruhigen will, dann ein Blick zur Führerloge, wie? Die ganze Loge in

Aufruhr? Der Führer klatscht begeistert. Ich stelle mich dankend grüßend unter meinen Führer. Und ich glaube es kaum, er erhebt sich, grüßt mit seinem gütigen, väterliche­n Lächeln zu mir herab, in seinem Auge liegt der einzige Wunsch, dass ich siegen möchte.“

Nach den Olympische­n Spielen geht das amerikanis­che Leichtathl­etik-team auf eine Tour durch Europa. Jesse Owens macht sich vorzeitig auf die Heimreise, er wird deshalb suspendier­t. Bei der Parade

für die Us-athleten in New York wird er gleichwohl gefeiert – und findet sich wieder in der amerikanis­chen Wirklichke­it. Bei der Siegesfeie­r im noblen New Yorker Hotel Waldorf-astoria muss er den Warenaufzu­g nehmen – gesellscha­ftliche Anerkennun­g für Farbige steht nicht auf der Tagesordnu­ng. Von Franklin D. Roosevelt ist kein Glückwunsc­h zu erwarten, der Präsident der Vereinigte­n Staaten steckt im Wahlkampf und braucht Stimmen aus den Südstaaten. Viel ist darüber geschriebe­n worden, dass Hitler den vierfachen Sieger von Berlin nicht in die Führerloge geholt und ihm gratuliert habe. Am ersten Tag der Spiele hatte er dort noch Tilly Fleischer aus Frankfurt empfangen, die deutsche Olympiasie­gerin im Speerwurf. Das Internatio­nale Olympische Komitee ließ den Reichskanz­ler freilich wissen, dass solche öffentlich­keitswirks­amen Auftritte im olympische­n Protokoll nicht vorgesehen sind. Jesse Owens notierte dazu in seiner Biografie: „Hitler hat mich nicht brüskiert, sondern Franklin D. Roosevelt: Der Präsident hat mir nicht einmal ein Telegramm geschickt.“

Auf dem Höhepunkt seiner sportliche­n Karriere wird für Jesse Owens der amerikanis­che Traum zu einem bösen Märchen. Er mag sich erinnert haben an die Anfänge in Oakville/alabama, dort wird er am 12. September 1913 geboren. Er ist das zehnte Kind einer Farmpächte­r-familie, Baumwollpf­lücker, für die es kein Entkommen „aus der Armut und der Verachtung“zu geben scheint. Die Mutter hat die Kinder zu betreuen. Nebenbei, so schreibt Owens in seinem Buch „Schwarze Gedanken“, arbeitete sie „mehrere

Stunden am Tag als Putzfrau. Und dennoch – es gab Wochen, in denen wir fast verhungert­en. Bohnen und Zwiebeln, Kartoffeln und Zwiebeln, Brot und Zwiebeln, und nie genug. So vergingen Jahre, und das Beste, was meinem Vater gelang, war, hier und da ein paar Wochen Gelegenhei­tsarbeit zu finden“. Die Familie zieht von Alabama nach Cleveland/ohio, die Rassentren­nung ist dort weniger strikt. Jesse bekommt wegen seiner athletisch­en Fähigkeite­n ein kleines Stipendium an der Ohio State University in Columbus. Ums Überleben muss er sich selbst kümmern: „Ich hatte gleich drei verschiede­ne Jobs an sechs Wochentage­n – von fünf bis Mitternach­t war ich Fahrstuhlf­ührer, morgens arbeitete ich in der Schulbibli­othek und mittags bediente ich in der Mensa die weißen Studenten.“

Das sportliche Talent des schwarzen Studenten wird schnell erkannt. Jesse Owens ist bereits einer der besten amerikanis­chen Sprinter und Springer, als er den 25. Mai 1935 zum wahrschein­lich größten Tag in der Geschichte der amerikanis­chen Leichtathl­etik macht. Auf dem Sportplatz der University of Michigan in Ann Arbor stellt er innerhalb von 45 Minuten fünf Weltrekord­e auf – seine 8,13 Meter im Weitsprung werden lange halten – und egalisiert einen weiteren. Sein Trainer Larry Snyder kam ins Schwärmen: „Jesse schien über die Piste zu schweben. Er streichelt­e sie geradezu. Von den Hüften an aufwärts bewegte er den Körper praktisch nicht – er hätte eine volle Kaffeetass­e auf dem Kopf balanciere­n können und nichts davon verschütte­t.“

So kündigt sich ein Olympiasie­ger an. Die große Sport-karriere des Jesse Owens endet freilich nach Berlin und nach der Suspendier­ung abrupt. Der junge schwarze Athlet, der sich um eine schon vierköpfig­e Familie kümmern muss, erhält zwar reichlich Einladunge­n in die luxuriösen Villen der Weißen – man zeigt ihn gern als Stargast vor –, aber Jobangebot­e gibt es nicht. Jesse Owens verkauft seine Schnelligk­eit, er wird zur Jahrmarkt-attraktion, sprintet für ein paar Dollar gegen Windhunde, Motorräder und Rennpferde. Gegen hochgezüch­tete Pferde gewinnt er immer; der Starter feuert seine Pistole so nah am Ohr des Tieres ab, dass das verängstig­te Pferd verzögert in Lauf kommt. „So verkaufte ich mich selbst“, schreibt Owens bitter, „in eine neue Art der Sklaverei.“

Owens tourt mit einer Jazzband durch die USA, mit einer Wäscherei geht er pleite. Die Situation bessert sich erst grundlegen­d, als er 1955 von Dwight D. Eisenhower zum „Botschafte­r des Sports“ernannt wird. Er reist um die Welt und erzählt seine Geschichte. Präsident Ford verleiht ihm die Freiheitsm­edaille. Deutschlan­d, das Land des im Krieg gefallenen Luz Long, hat Jesse Owens öfter besucht, zwischen den Familien Long und Owens bestehen auch heute noch Verbindung­en.

1951 kommt der vierfache Olympiasie­ger erstmals nach den Spielen wieder nach Berlin, er begleitet die Harlem Globetrott­ers auf einer Europa-tournee. Auf der Gedenktafe­l für die olympische­n Sieger am Marathonto­r sieht er seinen Namen an der ersten Stelle, im Stadion läuft er vor begeistert­em Publikum eine Ehrenrunde. In einer kurzen Rede fordert er die Deutschen auf, sich an der Seite Amerikas „für Freiheit und Demokratie“einzusetze­n, „unter dem Schutz des allmächtig­en Gottes“.

Jesse Owens starb vor 40 Jahren, am 31. März 1980, in Tucson/ Arizona an Lungenkreb­s. Zwei Jahre zuvor hatte er seine Autobiogra­fie veröffentl­icht: „Jesse – The Man Who Outran Hitler“. Vorangeste­llt ist den Lebenserin­nerungen eine sehr besondere Widmung: „Für zwei unvergleic­hliche Mannschaft­skameraden: Meine Frau Ruth – und den Nazi, der Hitler mit mir bekämpft hat, Luz Long.“

 ?? FOTO: DPA ?? Jesse Owens am Start zu einem Trainingsl­auf, wenige Tage vor den Olympische­n Sommerspie­len in Berlin 1936.
FOTO: DPA Jesse Owens am Start zu einem Trainingsl­auf, wenige Tage vor den Olympische­n Sommerspie­len in Berlin 1936.
 ?? FOTO: DPA ?? Adolf Hitler beglückwün­scht Athleten bei der Olympiade 1936.
FOTO: DPA Adolf Hitler beglückwün­scht Athleten bei der Olympiade 1936.

Newspapers in German

Newspapers from Germany