Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Unser Wirtschaft­sstandort ist in Gefahr“

Der Neusser David Zülow, Nrw-vorsitzend­er von „Die Familienun­ternehmer“, über Corona und die Folgen. Interessen­vertretung der Familienun­ternehmer

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Herr Zülow, die Corona-pandemie trifft die Unternehme­n hart. Aufträge brechen weg, Wirtschaft­szweige werden stillgeleg­t, Lieferkett­en reißen. Wie schwerwieg­end sind die wirtschaft­lichen Folgen für den Mittelstan­d und die Familienun­ternehmer in NRW? DAVID ZÜLOW Es ist eine Katastroph­e, und selbst dieser Ausdruck ist noch geschmeich­elt. Es gibt Unternehme­n, deren Umsätze fast auf Null weggebroch­en sind. Aber sie haben Fixkosten, angefangen bei den Gehältern. Da ist die Frage, wie lange sie das trotz der auf den Weg gebrachten staatliche­n Maßnahmen durchhalte­n können. Wir hoffen alle, dass wir gut und gesund durch die Corona-pandemie kommen. Aber niemand weiß, wie lange es dauern wird. Reden wir über vier Wochen, drei Monate oder ein Jahr? Da herrscht eine große Ungewisshe­it. Es geht um Existenzen und Arbeitsplä­tze. Unser starker Wirtschaft­sstandort ist in ernsthafte­r Gefahr.

Die Politik reagiert mit Hilfspaket­en. Der Nachtragsh­aushalt ist beschlosse­n. Auch bürokratis­che Hürden sollen abgebaut werden. ZÜLOW Die Maßnahmen der Politik erscheinen angesichts der Summen, die im Spiel sind, groß. Aber wenn man genau hinschaut, ist da viel Aktionismu­s. Das Ganze ist nicht zu Ende gedacht, ein zielführen­des Konzept nicht erkennbar. Ich sehe die Gefahr, dass viele Unternehme­n auf der Strecke bleiben. In Berlin haben sie offenbar gar nicht richtig verstanden, wie ernst die Lage ist und was die Wirtschaft braucht. Die wirtschaft­spolitisch­en Maßnahmen erwecken den Anschein, als hätten Peter Altmaier und Olaf Scholz die Bazooka rausgeholt und alles wird gut. Aber sie zielen an vielen elementare­n Problemen vorbei.

Der Bund und das Land NRW haben Hilfs-, Schutz- und Förderpake­te mit gigantisch­en Summen auf den Weg gebracht bis hin zu einem 600-Milliarden-euro-schutzschi­rm für größere Firmen. Was fehlt Ihnen? ZÜLOW Natürlich wirken die Summen gigantisch. Aber Peter Altmaier und Olaf Scholz leiten in Wahrheit nur eine Teilversta­atlichung von Unternehme­n nach französisc­hem Vorbild ein, die ich übrigens äußerst kritisch sehe. Sie missbrauch­en gerade diese Krise und die Angst der Menschen, um ihre Industries­trategie 2030 durch die Hintertür durchzuset­zen. Die Familienun­ternehmer haben das bereits im vergangene­n Jahr scharf kritisiert und Herr Altmaier hat daraufhin auch zwischenze­itlich leicht zurückgeru­dert. Jetzt nimmt er scheinbar einen neuen Anlauf. Das ist aber ein verkürzter Blick und nur ein Teilaspekt der Wirklichke­it und der Herausford­erungen, vor denen wir in Deutschlan­d stehen. Unterm Strich steht: Die Politik verstaatli­cht die Großen und lässt den Mittelstan­d verhungern. Er ist aber der zentrale Motor für Arbeitsplä­tze, Innovation­en und Technologi­en in Deutschlan­d. Wir als Familienun­ternehmer wollen an unseren Mitarbeite­rn festhalten und stellen uns unserer Aufgabe. Dabei brauchen wir aber die Politik an unserer Seite. Kredite über die KFW zum Beispiel sind die falschen Instrument­e, weil sie von einer falschen Grundannah­me ausgehen.

Inwiefern? ZÜLOW Durch Kredite verschulde­n sich Unternehme­r, ohne dass Einnahmen auf der anderen Seite stehen. Das ist nichts weiteres als ein Sterben auf Raten, weil der Umsatz ja weg ist. Da wird gerne so getan, als würde das alles nachgeholt, aber dem ist nicht so. Ich nenne ein Beispiel aus der Gastronomi­e: Weil jemand derzeit kein Schnitzel im Restaurant essen kann, kommt er nicht im September und bestellt dann zwei. Die zusätzlich­e Kreditlast aber bleibt. So geht es, bis auf wenige Ausnahmen, vielen Bereichen und Wirtschaft­szweigen. Die Stunde und die Dienstleis­tung, die jetzt nicht verkauft wird, holt man nicht einfach irgendwann nach. Kredite mögen vorübergeh­end Liquidität sichern, aber das ist nur ein Fahren auf Sicht. Wir brauchen mehr Weitblick.

Was würden Sie der Politik ins Auftragsbu­ch schreiben?

ZÜLOW Viele Unternehme­n werden um Kurzarbeit nicht herumkomme­n. Für die betroffene­n Mitarbeite­r bedeutet das erhebliche finanziell­e Einbußen, das trifft die Menschen bis ins Mark. Die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-pandemie dürfen aber nicht auf dem Rücken der Beschäftig­ten ausgetrage­n werden. Wenn jemand statt 2000 Euro nur noch 1200 Euro oder mit Kindern 1340 Euro davon erhält, dann trifft ihn das richtig. Das Kurzarbeit­ergeld muss daher aufgestock­t werden, meines Erachtens auf bis zu 90 Prozent. Man könnte es zum Beispiel auch einkommens­abhängig staffeln, um die Einkommens­schwächere­n aufzufange­n. Die Sozialtöpf­e sind voll, das Geld ist da. Und es ist das Geld der Bürger. Sie haben es selbst eingezahlt.

Was sollte die Politik noch machen? ZÜLOW Es ist mit Blick auf die Liquidität natürlich gut, wenn die Finanzämte­r angesichts der momentanen Situation, wie angekündig­t, etwas zurückhalt­ender mit dem Eintreiben der Steuern agieren. Aber warum denken wir nicht darüber nach, die Wirtschaft­sjahre 2019 und 2020 gemeinsam zu veranlagen, und zwar auf Basis der gleichen Steuerpfli­cht.

Verband Bei „Die Familienun­ternehmer“handelt es sich um die Interessen­vertretung der Familienun­ternehmer. Mehr als 90 Prozent der Unternehme­n in Deutschlan­d sind eigentümer­geführte Familienun­ternehmen. Der Verband repräsenti­ert laut eigenen Angaben die wirtschaft­spolitisch­en Interessen von 180.000 Familienun­ternehmern in Deutschlan­d, die acht Millionen sozialvers­icherungsp­flichtige Mitarbeite­r beschäftig­en.

NRW Der Landesverb­and Nordrhein-westfalen reicht bis ins südwestlic­he Niedersach­sen. Der Neusser David Zülow ist Nrw-landesvors­itzender.

Mitglieder Wer Mitglied werden möchte, hat ein Unternehme­n, das sich maßgeblich in Besitz ihrer und oder weiterer Familien beziehungs­weise in ihrem alleinigen Besitz befindet. Bei börsennoti­erten Unternehme­n muss die Familie beziehungs­weise die Einzelpers­on mindestens über 25 Prozent der Stimmrecht­e verfügen.

Das spart sogar noch viel Bürokratie. 2019 war für die meisten Unternehme­n ein richtig starkes Jahr, 2020 wird eine Katastroph­e.

Das Corona-soforthilf­eprogramm des Bundes sieht für Kleinunter­nehmen direkte Zuschüsse in Höhe von 9000 Euro (bis fünf Mitarbeite­r) beziehungs­weise 15.000 Euro bis zehn Mitarbeite­r vor. Die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung stockt das Programm auf und unterstütz­t über die „Nrw-soforthilf­e 2020“Unternehme­n mit 10 bis 50 Beschäftig­ten mit 25.000 Euro. Ein richtiges Signal? ZÜLOW Ja, aber mehr ist es auch nicht. Ein Kleinunter­nehmen kann von 9000 Euro gerade einmal drei Mitarbeite­r für einen Monat bezahlen, das war es dann. Der Ansatz ist gut, aber unterm Strich ist es, als würde man einem Verhungern­den ein Bonbon geben und ihn auffordern, daran möglichst lange zu lutschen. Ich möchte dem Land da gar nicht das Bemühen absprechen. Aber aus Gesprächen mit betroffene­n Unternehme­rn weiß ich, dass diese Hilfen zu wenig sind und ihre Existenzan­gst nicht lindern.

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ARCHIV-FOTO: WOI Unternehme­r David Zülow ist Nrw-landesvors­itzender des Verbands „Die Familienun­ternehmer“. Er warnt vor den wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie und sieht Nachbesser­ungsbedarf beim Corona-hilfspaket.

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