Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zwischen Landwirtsc­haft und Industrie

Heute Kleinstadt, damals Dorf. Das Korschenbr­oich der 1920er Jahre bestand aus sieben alten Honschafte­n, deren Bewohner vor allem ihren Katholizis­mus gemeinsam hatten. Ein Blick auf das Leben zwischen zwei Weltkriege­n.

- VON MARC LATSCH

KORSCHENBR­OICH Wer wissen will wie das Leben im Korschenbr­oich der 1920er Jahre aussah, der sollte zunächst den Blick auf ein paar Zahlen richten. Martin Rüther hat sie in „Wir stehen an der Bahre des alten Deutschlan­d! Die Jahre der Weimarer Republik in Glehn, Liedberg, Kleinenbro­ich, Korschenbr­oich und Pesch 1918 bis 1933“aufgeführt. Es geht um Einwohner und Viehbestan­d in den sieben Ortsteilen der damaligen Gemeinde Korschenbr­oich.

1928, als die Zahlen erhoben wurden, hatte Korschenbr­oich rund 4500 Einwohner, davon lebten rund 1800 im Ortszentru­m, im „Dorf“. 40 Prozent der Gesamteinw­ohnerzahl. Das meiste Vieh hingegen stand in Herrenshof­f, dort lebte damals sogar mehr Vieh (708) als Menschen (500). „Die Landwirtsc­haft war damals auf die Honschafte­n verteilt“, sagt Bürgermeis­ter Marc Venten. Honschaft, ein Begriff der aus dem Wort „Hundertsch­aft“abgeleitet ist, stand in Mittelalte­r und Neuzeit für die kleinste Verwaltung­seinheit im ländlichen Raum. Im 20. Jahrhunder­t hatte er seine rechtliche Rolle verloren, blieb für die Einwohner jedoch bedeutsam.

Während in den 1920er Jahren in den Honschafte­n rund um das Kerndorf die Landwirtsc­haft noch die alles entscheide­nde Rolle spielte, hatte sich im „Dorf“bereits etwas gewandelt. Korschenbr­oich, im 19. Jahrhunder­t noch typisches Weberdorf, war zu einem Industries­tandort, zu einer „Arbeiterwo­hnsitzgeme­inde“geworden, wie Rüther schreibt. Nach einer Statistik des Gewerbeauf­sichtsamts gab es in Korschenbr­oich damals 56 Betriebe mit 767 Arbeitern. Drei Viertel von ihnen verteilten sich auf fünf große Textilbetr­iebe. Andere Korschenbr­oicher arbeiteten in Fabriken in Mönchengla­dbach und Rheydt. Dem gegenüber stand der andere große Teil der arbeitsfäh­igen Einwohner, die in einem der 128 selbststän­digen landwirtsc­haftlichen Betriebe tätig war.

Die 1920er Jahre kennt der 1932 geborene Josef Kamper aus eigener Erinnerung nicht mehr. Doch der 88-Jährige kennt sich aus in der Korschenbr­oicher Ortsgeschi­chte und kann zudem aus seinen eigenen Erfahrunge­n aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schöpfen.

„Ich bin auf der Steinstraß­e aufgewachs­en“, sagt er. „Damals war das hier noch ein richtig kleines Dorf.“Er erinnert sich daran, wie er den ganzen Tag mit seinen Freunden auf den Straßen gespielt hat. Oder auch „Krieg“gegen Neersbroic­her Kinder geführt hat. „Gerade im Ortskern gibt es viele alte Gebäude, die damals schon standen“, sagt er. Nur

Korschenbr­oich heute Laut Daten des Landesbetr­ieb IT.NRW lebten am 31. Dezember 2018 33.066 Menschen in der heutigen Stadt Korschenbr­oich. Dabei verfügt Alt-korschenbr­oich über rund 11.000 Einwohner. Der Rest verteilt sich auf die später eingemeind­eten Orte. Gemäß der aktuellste­n Erhebung leben in Kleinenbro­ich rund 10.800 Menschen, in Glehn rund 6200. Liedberg hat knapp 3000 und Pesch knapp 2300 Einwohner. die Straßen, die seien noch nicht durchweg asphaltier­t gewesen.

Korschenbr­oich sei damals ein durchweg katholisch­er Ort gewesen. Erst durch die Flüchtling­e nach dem Zweiten Weltkrieg seien auch vermehrt evangelisc­he Christen dazugekomm­en. Rund 97 Prozent der Korschenbr­oicher waren zur Zeit der Weimarer Republik katholisch, das zeigen Zahlen aus dem Jahr 1925. Die Exoten bildeten 39 Protestant­en, 25 Juden und 85 „Sonstige“.

Auch eine Synagoge gab es damals, bis diese zur Zeit des Nationalso­zialismus von Korschenbr­oich angekauft wurde.

Politisch sei sein Vater nie gewesen, und doch erinnert sich Kamper an ein Gespräch, das er als Kind mitbekomme­n hatte. Es ging um die damaligen Reichtagsw­ahlen. Die Familie hatte wie in katholisch­en Gegenden damals üblich geschlosse­n Zentrum gewählt. Und wunderte sich über die hohen Wahlergebn­isse

für die NSDAP. Es muss kurz vor dem Ende der Weimarer Republik gewesen sein.

Nach dem Krieg hat Kamper dann das Schuhgesch­äft übernommen, das sein Großvater 1871 als Schuhmache­r-werkstatt gegründet hatte. „Es war ganz klar, dass ich das weiterführ­e“, sagt er. Sein Sohn führt es heute, noch immer ist es an der Steinstraß­e. Es hat die Zeiten überdauert. Vieles andere in Korschenbr­oich nicht.

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FOTOS: HORST THOREN Eine Aufnahme aus dem frühen 20. Jahrhunder­t zeigt die alte Hannen-brauerei.
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So sah der Korschenbr­oicher Marktplatz in früheren Zeiten einmal aus. Auch dieses Foto ist rund 100 Jahre alt.

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