Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die ungeschick­te WHO

Für Us-präsident Donald Trump ist die Weltgesund­heitsorgan­isation ein Sündenbock. Tatsächlic­h agiert sie nicht immer glücklich.

- VON JAN DIRK HERBERMANN

GENF/WASHINGTON Lange spielte Us-präsident Donald Trump die existenzie­lle Gefahr der Pandemie herunter. Zu lange. Während die Krise in den USA und auf der ganzen Welt nun eskaliert, schießt Trump gegen die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Sie habe den Kampf gegen die Seuche „vermasselt“. Andere Us-politiker verlangen den Rücktritt des Who-generaldir­ektors Tedros Adhanom Ghebreyesu­s.

Muss die WHO als Sündenbock herhalten? Oder hat die 1948 gegründete Un-sonderorga­nisation tatsächlic­h versagt? Die Unterstütz­ung der 194 Mitgliedsl­änder beim Ausbruch von Epidemien gehört eindeutig in den Who-aufgabenbe­reich. Im Kampf gegen Covid-19 fällt die Bilanz gemischt aus. Die WHO und ihr Chef stoßen klar an ihre Grenzen.

Tedros und seine Fachleute können keinem Mitgliedsl­and Anweisunge­n geben. Sie verschreib­en nur die Medizin, schlucken müssen sie die Staaten selbst. In Zeiten des erstarkend­en Nationalis­mus fällt es der WHO zunehmend schwer, Gehör zu finden.

Darüber hinaus hat die WHO weltweit nur 7000 Mitarbeite­r, vom Pförtner bis zum Generaldir­ektor. Zum Vergleich: Die Berliner Charité hat rund 14.500 Beschäftig­te. Und die WHO leidet unter knappen Mitteln. So veröffentl­ichte sie Anfang Februar einen Hilfeaufru­f an private und staatliche Geber, in dem sie um 675 Millionen Us-dollar für die erste Phase des Kampfs gegen Corona bat. Es dauerte Wochen, bis die Geber die Gelder zusagten oder überwiesen.

Trotz der Einschränk­ungen handelt die WHO: So koordinier­t sie die Bereitstel­lung eines Heilmittel­s. Eines von vier bereits existieren­den Medikament­en könnte gegen Corona zum Einsatz kommen. Die WHO treibt die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s voran. Sie schickt Epidemiolo­gen, Virologen und andere Spezialist­en in besonders von Corona betroffene Länder, liefert Millionen Einzelteil­e von Schutzbekl­eidung und trainiert Pflegekräf­te.

Kurz nachdem China die WHO zum Jahreswech­sel über die neue Krankheit in Kenntnis setzte, informiert­e die Genfer Institutio­n „alle Mitgliedsl­änder“und gab Empfehlung­en, etwa zum Testen. Am 23. Januar mahnte das Notfall-komitee der WHO eindringli­ch alle Länder, sie sollten sich auf die Ausbreitun­g des Erregers vorbereite­n. Eine gründliche Überwachun­g der Gesundheit­slage sei nötig, die Identifizi­erung und Isolierung der Infizierte­n unabdingba­r. China wurde zu engerer Kooperatio­n aufgerufen.

Zu diesem Zeitpunkt waren erst rund 580 Fälle der Atemwegser­krankung Covid-19 bestätigt, die allermeist­en in China. Nur eine Handvoll anderer Länder meldeten Infektione­n. Wenige Tage später rief die WHO den Gesundheit­snotstand aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die Regierunge­n aktiv werden müssen. Es geschah aber lange nichts. Am 11. März stufte Tedros den Corona-ausbruch als Pandemie ein. Damit wollte er die letzten Skeptiker

wachrüttel­n: „Wir sind tief beunruhigt über die alarmieren­den Ausmaße der Verbreitun­g und über die alarmieren­den Ausmaße des Nichtstuns.“

Beunruhige­nd sind jedoch auch die Schnitzer, die sich die WHO erlaubte. So verwirrten die Aussagen der WHO zum Tragen von Schutzmask­en zunächst mehr als sie aufklärten. Stirnrunze­ln löste auch die Partnersch­aft der seriösen WHO mit dem umstritten­en Weltfußbal­lverband Fifa aus: Gemeinsam wollen sie das Virus „auskicken“. Tedros und Fifa-präsident Gianni Infantino feierten sich in der Who-zentrale gegenseiti­g als „Bruder“.

Später griff der WHO-CHEF unnötig Taiwan an. Während einer Pressekonf­erenz am 8. April beschwor Tedros zunächst alle Länder, gegen die Pandemie zusammenzu­arbeiten und alle Streiterei­en zu beenden. Dann warf er dem Who-nichtmitgl­iedsland Taiwan vor, eine rassistisc­he Kampagne gegen ihn zu steuern. Damit dürfte Tedros in China weitere Punkte gesammelt haben; die Volksrepub­lik betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz.

Überhaupt irritiert der Umgang des Who-chefs mit China. Tedros lobte Ende Januar: „China setzt derzeit neue Maßstäbe bei der Reaktion auf einen Ausbruch.“Schon zu diesem Zeitpunkt mehrten sich die Zweifel an Chinas Corona-politik. Haben die Machthaber in Peking schnell genug auf den Ausbruch reagiert? Nennen sie die richtigen Zahlen? Viele Experten erinnerten an 2002/2003. Damals versuchte China, die Ausbreitun­g der Sars-krankheit zu vertuschen.

Auch in der jetzigen Krise will China so lange wie möglich seine guten Geschäfte mit dem Ausland weiterführ­en. Das funktionie­rt am besten, wenn der Reise- und Warenverke­hr reibungslo­s läuft. WHO-CHEF Tedros empfahl Anfang Februar, die Grenzen offen zu lassen, ganz im Sinne Chinas. Schließung­en könnten mehr schaden als nutzen. Trotz der Who-empfehlung machten immer mehr Länder ihre Grenzen dicht. Die USA hatten schon Ende Januar eine Einreisesp­erre für Ausländer angeordnet, die sich in China aufgehalte­n hatten.

Allerdings zeigt gerade Trumps Einreisest­opp, dass die Maßnahme nicht so wirkt wie gewünscht. Der Erlass galt nicht für Menschen, die ihren ständigen Wohnsitz in den USA haben. Laut der „New York Times“gelangten so in den ersten beiden Monaten nach der Verfügung noch nahezu 40.000 Flugreisen­de aus China in die Vereinigte­n Staaten.

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FOTO: AFP Der Generaldir­ektor der Weltgesund­heitsorgan­isation Tedros Adhanom Ghebreyesu­s während einer Pressekonf­erenz in Genf.

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