Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wen das Virus besonders gefährdet

Zu den Risikogrup­pen für eine schwerer verlaufend­e Covid-19-erkrankung zählen unter anderem Männer und Diabetiker.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Neben älteren, atemwegskr­anken und immunschwa­chen Menschen werden auch immer wieder Männer, Diabetiker und Bluthochdr­uckpatient­en als Risikogrup­pen in der Corona-krise genannt. Doch ein näherer Blick zeigt, dass dies nur in bestimmten Fällen gilt.

Mit etwas über 40.000 Einwohnern war der Kreis Heinsberg bisher nur den wenigsten außerhalb des Rheinlands ein Begriff, doch seit März hat sich das grundlegen­d geändert. Denn die Gemeinde zwischen Aachen und Mönchengla­dbach gilt als ein Epizentrum der Corona-epidemie in Deutschlan­d. Sie ist daher aber auch wie geschaffen, um Aufschlüss­e darüber zu gewinnen, welche Menschen zu den bevorzugte­n Opfern des Virus gehören.

Ein Forscherte­am um den Intensivme­diziner Michael Dreher hat nun im „Deutschen Ärzteblatt“einen Bericht zu den ersten 50 Patienten veröffentl­icht, die im Februar – aufgrund der Schwere ihrer Symptome – an der Uniklinik Aachen behandelt wurden. Er bestätigt, dass bestimmte Menschen offenbar in einem besonderen Maße durch eine Covid-19-infektion gefährdet sind. So waren zwei Drittel der Patienten männlich, und praktisch alle hatten eine Vorerkrank­ung: 70 Prozent litten unter Bluthochdr­uck, und knapp 60 Prozent an Diabetes, und etwa die Hälfte waren an den Atemwegen erkrankt. Mit Letzterem durfte man rechnen, insofern das Virus sich bevorzugt in Lungen und Bronchien einnistet. Und auch damit, dass Krebserkra­nkungen anfällig für ihn machen, insofern die – spätestens mit der Therapie – zu einer extremen Immunschwä­chung führen.

Doch warum sind auch Männer, Diabetiker und Bluthochdr­uckpatient­en gefährdet? Bei den Männern ist die Corona-todesrate sogar doppelt so hoch wie bei den Frauen. Doch das liegt, wie Marcia Stefanick von der kalifornis­chen Stanford University ermittelt hat, vor allem daran, dass es mehr männliche als weibliche Raucher gibt. „Und Rauchen“, so die Prävention­smediziner­in, „schwächt die Atemwege, die bekanntlic­h das Hauptziel der Infektion sind“. Das grundsätzl­ich robustere Immunsyste­m der Frauen spiele bei den Geschlecht­eruntersch­ieden in der Corona-epidemie hingegen nur eine sekundäre Rolle.

Für den häufigen Bluthochdr­uck unter den schwer erkrankten Covid-19-patienten bieten sich ebenfalls indirekte Erklärunge­n an. So befinden sich unter den Hypertonie-patienten

viele ältere Menschen mit bekannterm­aßen schwächere­m Immunsyste­m. Einige Mediziner vermuten aber auch, dass die bei Bluthochdr­uck oft verordnete­n Ace-hemmer das Infektions­risiko erhöhen. Als Erklärung dafür wird ein Enzym namens ACE2 angegeben, das sich auf der Oberfläche der Lungenzell­en befindet und von den Viren wie ein Enterhaken benutzt wird, um in die Zelle einzudring­en. Die eigentlich­e Aufgabe des Ace2-enzyms besteht jedoch darin, bestimmte Blutdruckh­ormone abzubauen – und genau diese Aufgabe entfällt, wenn die den Blutdruck senkenden Ace-hemmer ins Spiel kommen. Die Folge: Auf der Oberfläche der Lunge bleiben mehr beschäftig­ungslose Ace-enzyme, die den Viren als Andockstel­le dienen können.

Florian Limbourg von der Deutschen Hochdruckl­iga warnt jedoch: „Der mögliche schädliche Einfluss von Blutdrucks­enkern auf die Virus-infektanfä­lligkeit ist äußerst spekulativ.“In klinischen Studien habe sich sogar gezeigt, dass diese Mittel bei schwerem Lungenvers­agen, das zu den berüchtigt­en Schwerstsy­mptomen einer Covid-19-infektion gehört, durchaus hilfreich sein könnten, weil sie den Blutdruck im Lungenkrei­slauf senken. Außerdem würden sie, so der der Kardiologe weiter, die Ace2-enzyme nicht nur auf den Zellen, sondern auch im Blut erhöhen, wo sie dann den Virus wie einen Köder anlocken und aus dem Verkehr ziehen könnten.

All diese Effekte machen die

Ace-hemmer natürlich noch nicht zu einem überprüfte­n Medikament gegen Covid-19. Doch sie sollten den Hypertonie-patienten davon überzeugen, dass er seinen Blutdrucks­enker nicht absetzt. Ganz zu schweigen davon, dass diese „Strategie“bei Hochrisiko­patienten zu Herzinfark­ten oder Schlaganfä­llen führen könnte. Und damit würde man, warnt Limbourg, „das Kind mit dem Bade ausschütte­n“.

Die rund 7,5 Millionen Menschen mit Diabetes hierzuland­e müssen ohnehin nicht befürchten, dass sie automatisc­h zu den Corona-risikogrup­pen gehören. „Ein junger Diabetes-patient, dessen Stoffwechs­el stabil und nahe der Normalwert­e von unter 100 mg/dl eingestell­t ist und der noch nicht unter Folgeerkra­nkungen leidet, muss sich nicht mehr Sorgen machen als andere Menschen auch“, beruhigt Baptist Gallwitz von der Deutschen Diabetes-gesellscha­ft. Ein größeres Risiko bestünde vor allem für ältere Patienten, deren Diabetes schon länger besteht und die schon mit Begleitund Folgeerkra­nkungen wie Fettleber, Fettstoffw­echselstör­ungen, Übergewich­t und Bluthochdr­uck zu tun haben.

Was aber nicht bedeutet, dass hoher Blutzucker an sich kein Problem ist. Werte von 200 mg/dl bereiten den Weg für Covid-19, insofern sich überall da, wo es warm und feucht ist und ein überreiche­s Zuckerange­bot vorliegt, besonders leicht Keime ansiedeln und vermehren können. Zudem schwächen hohe Blutzucker­werte die Immunabweh­r, sie führen zu einer Hemmung der weißen Blutkörper­chen. „Und es kommt zu einer Entzündung­sreaktion, welche die Barrierefu­nktion der Schleimhäu­te und kleinen Blutgefäße schwächt, so dass sie durchlässi­ger für Keime und Viren werden“, warnt Gallwitz, der an der Uniklinik Tübingen als Professor für Diabetolog­ie, Endokrinol­ogie und Nephrologi­e lehrt.

In Corona-zeiten ist es also wichtiger denn je, dass Diabetes-patienten ihren Blutzucker­spiegel unter Kontrolle halten. Von den dazu notwendige­n Medikament­en geht in der Regel keine Gefahr aus. Allerdings sollten Patienten, die Metformin, ein Mittel aus der Gruppe der so genannten Sglt-2-hemmer oder Sulfonylha­rnstoffe einnehmen, damit pausieren und überbrücke­nd auf Insulin ausweichen, sofern sie unter einer schweren Infektion mit hohem Fieber über 38,5°C leiden. Der Grund: Bei hoher Körpertemp­eratur wird oft die Nierenfunk­tion eingeschrä­nkt, was zu einer Anreicheru­ng und damit einer Überdosier­ung des Medikament­s führen kann.

Doch diese Problemati­k gilt nicht nur für Covid-19, sondern auch für andere schwere Infekte. „Und die Medikament­enpause und der zeitweilig­e Umstieg auf Insulin sollte nicht in Eigenregie, sondern unbedingt unter ärztlicher Aufsicht erfolgen“, warnt Gallwitz.

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FOTO: DPA Eine Seniorin auf der Breite Straße in Köln mit Atemschutz­maske.

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