Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Leid der Bedürftige­n

Die Corona-pandemie trifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch diejenigen, die ohnehin mit finanziell­en Problemen kämpfen. Vor den Spendenaus­gaben bilden sich lange Schlangen. Eine Mutter berichtet über ihre Erfahrunge­n.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Es war ein trauriger Rekord, der vor der „Offenen Tür Barbaravie­rtel“jetzt gebrochen wurde. Rund 250 bedürftige Personen mussten am Standort an der Heerdter Straße versorgt werden – an nur einem Tag. In der Einrichtun­g im Neusser Norden können sich Menschen, die finanziell nicht über die Runden kommen, mit Produkten des täglichen Bedarfs eindecken. Lange Schlangen gibt es derzeit vor allem auch, weil Bedürftige nicht mehr zur Tafel gehen können, die wegen der Corona-pandemie geschlosse­n ist. Die Schicksale, die den täglichen Dienst in Anspruch nehmen, sind breit gefächert: Vom Hartz-iv-empfänger bis hin zum Kurzarbeit­er, der durch das abgespeckt­e Gehalt nun ebenfalls Hilfe in Anspruch nehmen muss: Lebenseins­chnitte, die in der aktuellen Diskussion um medizinisc­he Versorgung, Kontaktspe­rren und drohende Insolvenze­n von Unternehme­n unterzugeh­en scheinen. „Bei uns wird niemand abgelehnt“, sagt Einrichtun­gsleiter Niels Elsässer. Dennoch fühlen sich viele seiner „Klienten“allein gelassen.

Wie es sich anfühlt, wenn die Corona-pandemie die eigene Grundverso­rgung so stark einschränk­t, dass es ohne Hilfs-initiative­n einfach nicht funktionie­ren würde, hat eine Neusserin jetzt im Gespräch mit unserer Redaktion berichtet. Die alleinerzi­ehende Mutter eines zweieinhal­b Jahre alten Sohnes fand nach einem Burnout nie wieder richtig ins Berufslebe­n zurück, muss mittlerwei­le Arbeitslos­engeld II beziehen. Die ohnehin knapp bemessene finanziell­e Unterstütz­ung entwickle sich durch das Coronaviru­s zu einem noch größeren Problem. So seien viele günstige Lebensmitt­el und Hygieneart­ikel in vielen Läden nicht mehr erhältlich. „Für mich macht es aber einen Unterschie­d, ob ich eine Packung Nudeln für 40 Cent oder für 1,29 Euro kaufe“, sagt die Mutter, die anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt). Beim Jobcenter habe sie bereits um ein Darlehen gebeten, um die erhöhten Kosten abfedern zu können. „Der wurde jedoch abgelehnt, mir wurde gesagt, dass das Arbeitslos­engeld II ausreiche“, sagt die Neusserin. Die Folge: Ihre letzte Stromrechn­ung konnte sie nur zum Teil bezahlen und ihre Handyrechn­ung gar nicht. „Zum Glück werden derzeit keine Mahngebühr­en erhoben“, sagt die Mutter.

Eine Sprecherin des Jobcenters teilt auf Nachfrage mit, dass die Gewährung eines Darlehens an rechtliche Vorgaben gebunden ist. Bei der alleinerzi­ehenden Mutter aus Neuss sei die Absage wohl darin begründet, dass die gesetzlich­en Voraussetz­ungen nicht gänzlich erfüllt wurden. „Selbstvers­tändlich hat die betroffene Kundin die Möglichkei­t, die Entscheidu­ng mittels eines Widerspruc­hs überprüfen zu lassen“, so die Sprecherin.

Die Mutter würde sich auch mehr Hilfe von der Stadt wünschen, doch die hat beim Thema Finanzen keine

Handhabe, wie Michael Theven, Leiter des Neusser Sozialamte­s, erklärt. Man verweise jedoch intensiv an die verschiede­nen Hilfsangeb­ote und Initiative­n. Die Stadt hat zum Beispiel auch eine Hotline eingericht­et, unter der sich ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrank­ungen

melden können, wenn sie etwa bei Einkäufen oder Apothekeng­ängen Hilfe benötigen. Auch für die Gruppe der Wohnungslo­sen haben die Sozialverw­altung der Stadt und die Caritas ein Versorgung­snetz geknüpft. Gute Nachrichte­n für Bedürftige: Laut Theven wird die Neusser Tafel am 21. April wieder öffnen.

Der Neusser Rechtsanwa­lt Roland Sperling, der eine Kanzlei in Düsseldorf hat, kennt die Leiden von Hartz-iv-empfängern gut. Auch einige seiner Klienten würden dieselben Befürchtun­gen äußern wie die alleinerzi­ehende Mutter aus Neuss: „Ich habe auch von Fällen gehört, in denen versucht wurde, per Eilverfahr­en einen Härtefallz­uschlag vom Jobcenter zu erhalten – ohne Erfolg.“Erleichter­ungen gebe es derzeit aber unter anderem für Personen, die wegen akuter Existenz-not Hartz IV beantragen müssen. So werde das eigene Vermögen für einen Zeitraum von sechs Monaten bei dem Antrag nicht berücksich­tigt, und ebenfalls für ein halbes Jahr erfolge keine Aufforderu­ng, die Wohnkosten zu senken. „Dies wird nach Ablauf der Frist allerdings nachgeholt“, sagt Sperling.

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FOTOS (2): WOI Im Offenen Treff Barbaravie­rtel wird bei der Lebensmitt­elausgabe wegen der Corona-pandemie mit Mundschutz gearbeitet. Die Nachfrage nach Hilfe ist groß.
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Lange Schlange: Vor der Lebensmitt­elausgabe ist Geduld gefragt.

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