Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das offene Ohr der Venloer Straße

Seit rund 30 Jahren arbeitet Tzanetina Mariadou im Kult-kiosk an der Venloer Straße. Auch in der aktuellen Corona-zeit bleibt sie eine wichtige Ansprechpa­rtnerin für Stammkunde­n – einige hat sie jedoch wochenlang nicht gesehen.

- VON SIMON JANSSEN

NORDSTADT Ihren Namen auszusprec­hen, erfordert ein wenig Zungen-geschick. Doch Tzanetina Mariadou nennt sie sowieso niemand. Für ihre Kunden ist sie einfach nur „Jenny“. Der Kiosk, den die 53-Jährige an der Venloer Straße leitet, ist seit Jahren Kult, und auch jetzt in der Coronazeit wichtiger Anlaufpunk­t für Anwohner oder Durchreise­nde – obwohl die Bierbänke wegen der aktuellen Situation umgedreht und angekettet sind. Auch die „Maxi-frikadelle“mit Brötchen oder das „Handwerker-menü“fallen derzeit weg, doch Jenny steht weiterhin hinter ihrer Büdchenthe­ke und macht das Beste draus. Zwölf Stunden hat sie geöffnet – jeden Tag. „Es ist für niemanden ein leichte Situation“, sagt sie, ist aber dennoch froh, ihren Kiosk überhaupt öffnen zu dürfen.

„Viele meiner älteren Stammkunde­n habe ich seit Wochen nicht gesehen“

Tzanetina Mariadou Kiosk-betreiberi­n

Grundsätzl­ich gilt: Kioske, die Zeitungen und Nahrungsmi­ttel verkaufen, dürfen trotz der Corona-krise geöffnet bleiben. Zunächst war jedoch unklar, ob Büdchen wirklich offiziell zu „Versorgern“zählen, ehe das Land NRW mit einer konkretisi­erten Verordnung Ende März für Klarheit sorgte.

Als offenes Ohr der Nordstadt kennt Jenny die Sorgen ihrer Kunden: Von Unternehme­rn, die um ihre Existenz bangen müssen, bis hin zu Großmütter­n, die beim Zeitungska­uf erzählen, dass sie ihre Enkelkinde­r

nicht sehen dürfen. „Viele meiner älteren Stammkunde­n habe ich aber seit Wochen nicht gesehen, weil sie sich nicht mehr aus der Wohnung trauen“, sagt die Kiosk-besitzerin.

In dem aufälligen Gebäude mit dem Kondom-automat an der Rückseite und den handbeschr­iebenen Menü-tafeln arbeitet Jenny schon seit 30 Jahren. Als ihr Chef, den alle nur als „Tasso“kannten und schätzten, an einem Herzinfark­t starb, fasste sie den Entschluss, den Kiosk zu übernehmen. Weil Jenny

blieb, blieben auch die meisten Stammkunde­n.

Doch der Kiosk der 53-Jährigen ist bei weitem nicht der einzige in der Nordstadt. Auch im Further Kiosk an der Viersener Straße – normalerwe­ise ein beliebtes Stehcafé – ist weniger los als sonst. Nehmen sich sonst Kunden Zeit für ein Getränk an einem der Tische, kommen die meisten nur noch zum schnellen Zigaretten­kauf vorbei. „Wir sind aber froh, dass wir geöffnet haben dürfen“, sagt der Betreiber. Auch wenn durchaus von einem Knochenjob gesprochen werden kann, ist von einem Büdchenste­rben in Neuss nicht die Rede. 2016 und 2017 wurden in dem Segment stadtweit insgesamt 40 Abmeldunge­n und 36 Anmeldunge­n verzeichne­t.

Hinter der Scheibe des Kiosks Jindujun an der Gladbacher Straße ist es jedoch dunkel. Im Oktober 2019 war dort ein alkoholisi­erter Mann mit seinem Lkw in das Gebäude gerast und verursacht­e einen schweren Sachschade­n. „Der Kiosk hat seitdem nie wieder aufgemacht“, sagt eine Nachbarin.

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NGZ-FOTO: WOI Tzanetina Mariadou wird von ihren Kunden nur „Jenny“genannt.

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