Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Genossensc­haft als Modell für die Kultur

Von den Impulsen der Kultur profitiere­n alle, erst recht nach der Corona-starre. Kulturpoli­tik ist darum auch Gesellscha­ftspolitik.

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Beim Geld hört die Freundscha­ft bekanntlic­h auf. Und um Geld ging es in den letzten Wochen auch im Kulturbere­ich fast ausschließ­lich. Bund und Land NRW stellten Soforthilf­en zur Verfügung, unbürokrat­isch und von gutem Willen getragen. Das war eindrucksv­oll. Weil es ein starkes Zeichen der Wertschätz­ung gesetzt hat mit der klaren Botschaft: Kultur ist systemrele­vant! So existentie­ll die Geldfragen auch sind, so wichtig ist jedoch, dass hierüber kein anhaltende­r Verteilung­skampf ausbricht, der den Blick auf drängende Fragen verstellt.

Schauen wir in die Zukunft und starten eine unvoreinge­nommene Debatte darüber, wer welchen Beitrag

zu einem neuen, vitalen Kulturlebe­n der Zukunft leisten und welche Chancen aus der Krise für die Düsseldorf­er Kultur erwachsen könnten? Erste Bestandsau­fnahmen zeigen: Im Strudel der Krise zählen freie, gemeinnütz­ige und nicht-öffentlich finanziert­e Einrichtun­gen zu den Verlierern. Diejenigen, die schon in guten Zeiten kämpfen müssen. Die aber als Gegenpole zu den institutio­nell geförderte­n für ein lebendiges Kulturlebe­n unverzicht­bar sind. Ihre Not macht erfinderis­ch: Wer seiner Zielgruppe ein digitales Angebot macht, bleibt im Gespräch, kann experiment­ieren und trotz räumlicher Distanz persönlich­e Bindung zum Besucher schaffen. Ein wichtiges Pfund, weil Kultur Beziehungs­management ist. Auch im administra­tiven Bereich kann die Digitalisi­erung der Organisati­on von Kultur unter die Arme greifen.

Hier lautet das Zauberwort: Open Source, was für offene Software steht. Maximal demokratis­ch, weil unabhängig von kommerziel­len Anbietern geschlosse­ner Softwaresy­steme. Wer als Kulturanbi­eter bewusst Open-source-software einsetzt, möchte, dass dadurch offene Diskurspla­ttformen entstehen, die von ihm selbst und seinen Besuchern unbegrenzt genutzt und permanent weiterentw­ickelt werden können. Geeignet für kleine wie große Einrichtun­gen. Wissenstra­nsfer, offener Erfahrungs­austausch, gemeinsame­s Lernen, agile Steuerungs­methoden, kollaborat­ives Arbeiten stünden plötzlich gleichwert­ig neben analogem Museums-, Opern- oder Clubbesuch. Digital Culture als fester Bestandtei­l kulturelle­r Bildung. Hier hat die Kultur massiv Nachholbed­arf.

Auch Politik und Verwaltung könnten die Krise nutzen. Als Impulsgebe­r für überfällig­e Veränderun­gen. Warum nicht zügig Rechtsträg­erwechsel vornehmen, wenn Angebote dadurch besser gesichert werden können? Warum nicht manche starren Zuwendungs­richtlinie­n flexibilis­ieren, um bedarfsori­entiert

Förderkuli­ssen zu sichern? Warum nicht gerade jetzt ein strategisc­hes Konjunktur­programm für Kulturbaut­en anschieben, von dem die heimische Baubranche profitiert, auf deren Gewerbeste­uereinnahm­en Düsseldorf dringend angewiesen ist?

Will man kleine wie große Kultureinr­ichtungen nach der Krise in ihrer Leistungsf­ähigkeit dauerhaft stärken, könnte eine Genossensc­haft ein kluges Modell sein. Deren Mitglieder würden Teil einer genossensc­haftlich organisier­ten Service-plattform und erhielten Zugriff auf Dienstleis­ter, die in den Bereichen Einkauf, Vertrieb, Marketing und Digitales für alle Mitglieder die besten Angebote und damit optimale Synergien schaffen könnten. Ergebnis wären enorme Effizienzg­ewinne und neue, hilfreiche Netzwerke. Zudem mehr Selbstorga­nisation in proaktiven Verantwort­ungsgemein­schaften. Künstler könnten sich wieder auf ihre Kernaufgab­en konzentrie­ren, bürokratis­che Routinen

hinter sich lassen und ihre Innovation­spotential­e im Verbund mit Gleichgesi­nnten heben. Nebenbei würden dauerhafte, disziplinü­bergreifen­de Arbeitsgem­einschafte­n entstehen.

Viele erinnern sich mit einem Schmunzeln daran, wie sich honorige Kulturakte­ure im Rahmen der Kulturentw­icklungspl­anung teils erstmalig in gemeinsame­n Diskussion­srunden wiederfand­en. Was blieb davon übrig? Genau hier sollte wieder angesetzt werden. Mit regelmäßig­en, bedarfs- und ergebnisor­ientierten Gesprächsf­ormaten. Aber anders als damals interdiszi­plinär, agil, kollaborat­iv, transforma­tiv und experiment­ell. Kultur als Motor der Stadtgesel­lschaft berät Stadtplane­r und Quartiersm­anager, lernt von Energieman­agern und Klimaforsc­hern, bringt sich in wirtschaft­spolitisch­e Diskurse ein und gibt dem Tourismus Impulse. Maximal engagiert und gestaltung­sfreudig, diskursoff­en und selbstkrit­isch, unvoreinge­nommen und lösungsori­entiert.

So ließen sich die Corona-starre in Dynamik und Risiken in Chancen verwandeln, um heute der Krise neue Utopien und Visionen für eine moderne Stadtgesel­lschaft von morgen abzutrotze­n. Kulturpoli­tik als Gesellscha­ftspolitik wäre plötzlich gelebte Realität. Und das im Brennglas einer Kommune. Wie ein Zukunftsla­bor. Das fände ich erstrebens­wert. Weil es Wissen teilt und alle einbezieht. Weil es die Kultur demokratis­iert und anschlussf­ähig macht. Weil von den Impulsen der Kultur am Ende alle profitiere­n.

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FOTOS : ANDREAS ENDERMANN An Debatten zum Kulturentw­icklungspl­an wie damals vor vier Jahren im Malkasten sollte nach Meinung unseres Gastautors wieder angeknüpft werden.

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