Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Ewigen

Die Klub-urgesteine Tony Jantschke, Thomas Müller, Philipp Bargfrede und Lars Bender stärken die Bindung zu den Fans.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Im Jahr 2000 gurkte sich die deutsche Nationalma­nnschaft auf dem Höhepunkt des sprichwört­lichen Rumpelfußb­alls in der Vorrunde mit einem schlappen Törchen aus der Europameis­terschaft. Bayern München schickte sich an, am Ende der Saison die Champions League zu gewinnen und zum Leidwesen der Schalker Meister der Herzen auch den Titel in der Bundesliga. Und in der D-jugend der Münchner lief ab dieser Spielzeit ein schlaksige­s Kerlchen aus dem oberbayeri­schen Weilheim auf. Das Kerlchen war Thomas Müller.

Vor Ostern hat der immer noch schlaksige, inzwischen aber 1,86 Meter große Kerl seinen Vertrag für die Profimanns­chaft bis 2023 verlängert. Der ewige Müller bleibt das Stück Bayern in der Fußballfir­ma FCB, das Stück Heimat für die Fans. Er ist das Bindemitte­l zwischen Kurve und Profiteam. Vor ihm waren das Bastian Schweinste­iger und Philipp Lahm. Sie verorteten den Klub als landsmanns­chaftliche Größe. Und sie standen für das große Wort Treue in einer Zeit, die vom beständige­n Wechsel eben auch der Vereine bestimmt ist.

Die Corona-krise hat viele Sicherheit­en von heute auf morgen aufgelöst, deshalb ist die natürlich abstrakte Form von Zusammenge­hörigkeit mit den Fans ein wichtiger Halt. Für alle übrigens. Auch die Klubs haben auf diese Weise ein Gesicht, und sie sind froh über die Identifika­tionsfigur­en, die Nähe vermarktba­r machen.

Verträge vergeben sie dennoch nicht, indem sie die Anzahl der Jahre im Verein zum Maßstab erklären. Das hat ein anderer Ewiger nüchtern erkannt. Tony Jantschke, der mit 16 Jahren zu Borussia Mönchengla­dbach in die Jugendabte­ilung kam, sagt: „Loyalität und Vereinstre­ue sind ja keine Einbahnstr­aßen. Es ist schwierig zu bleiben, wenn man nicht bereit ist, auch mal eine Nebenrolle einzunehme­n.“Jantschke hat diese Bereitscha­ft gezeigt. Er stand gelegentli­ch sogar in der dritten Reihe, doch die Fans haben ihm trotzdem das Adelsprädi­kat „Fußballgot­t“verliehen.

Ob Thomas Müller auf Dauer mit einer Nebenrolle als Vereinsmas­kottchen

mit passender Mundart und Mutterwitz parallel zur sportliche­n Bedeutungs­losigkeit als einer von vielen klarkommen würde, ist eher unwahrsche­inlich. Es grummelte ordentlich, bis Hansi Flick Müller wieder zum Stammspiel­er machte. Er kann in München werden, was Francesco Totti bei AS Rom und Paolo Maldini bei AC Mailand waren – Ikonen, ohne die der Verein gar nicht gedacht werden kann.

Fußballgot­t Jantschke geht viel bescheiden­er an die Sache heran. Er macht sich keine Illusionen über das Leistungsp­rinzip in der Fußballges­ellschaft, das auch den treuesten Spieler irgendwann vor die Wahl stellen kann: Wechsel oder Karriere-ende. Aber bei ihm würde es dauern, bis er selbst den Schritt weg von Borussia Mönchengla­dbach ginge. Über die Beziehung zu den Fans sagt er: „Das wegzuwerfe­n, würde mir sehr schwer fallen.“

So etwas würde Müller auch versichern – glaubwürdi­g. Er wohnt allerdings eine Etage höher bei den schillernd­en Wesen der Fußballwel­t, die ohne das große Scheinwerf­erlicht so schlecht leben können. Selbst einer wie er, der mit dem Reiterhof in Otterfing südlich von München und der Familie ganz in der Nähe so fest mit Bayern verbunden scheint wie die Zwiebeltür­me der Dorfkirche­n, würde in die weite Welt hinauszieh­en, wenn beim Verein auf Sicht die Ersatzbank droht.

Die Vereinstre­ue hat eben ihre Bedingunge­n. Da sind die 2020er Jahre ein bisschen anders als die goldenen Gründerzei­ten der Bundesliga. Uwe Seeler widerstand dem Liebeswerb­en der Italiener und blieb ein Fußballleb­en lang beim Hamburger

Sportverei­n. Die Mönchengla­dbacher Verteidige­r-legende Berti Vogts spielte ihre gesamte Profilaufb­ahn bei der niederrhei­nischen Borussia. Selbst den großen Franz Beckenbaue­r trieben erst das neugierige Finanzamt und nachlassen­de Form nach 18 Jahren bei den Bayern zu Cosmos New York. Das ist längst anders. Und man muss sich schon ein bisschen umschauen, um die Vereinstre­uen zu finden. Aber es gibt sie. Lars Bender in Leverkusen zum Beispiel, der einmal in seinem Leben wechselte, von München 60 unters Bayer-kreuz. Oder Philipp Bargfrede, der 2004 als Jugendspie­ler zu Werder Bremen kam. Oder Niko Bungert, der seit zwölf Jahren für Mainz 05 spielt. Sie bilden das Verlässlic­he in ihren Vereinen ab.

Vielleicht bekommt die Vereinstre­ue in naher Zukunft wieder eine größere Bedeutung. Es ist ja sicher, dass die Corona-krise das Transferwe­sen im Fußball verändern wird. Vielen Klubs wird schlicht das Geld fürs Wettbieten um Spieler ausgehen. Doch auch in dieser Hinsicht wird die Vereinstre­ue im Berufsspor­t eine Angelegenh­eit von Angebot und Nachfrage bleiben.

Das Verhältnis zwischen Anhängern und Fußballman­nschaften kann sich dennoch verändern. Viele Klubs werden in der Nachwirkun­g der Corona-krise auf jene Athleten setzen müssen, die sie selbst herangezog­en haben. Und über die urteilt der Fachmann Jantschke: „Was immer gut ankommt, sind Spieler, die im Verein ausgebilde­t werden.“Solche wie er, wie Müller oder wie Bargfrede. Möglicherw­eise werden es bald ein paar mehr. Schlimm wäre das jedenfalls nicht.

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FOTOS: DPA (2), IMAGO IMAGES

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