Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neuss’ erster Olympiasta­rter verstorben

Victor Hendrix verstarb am Donnerstag im Alter von 84 Jahren. 1960 startete er in Rom mit Manfred Kluth im Zweier.

- VON DIRK SITTERLE

NEUSS Menschen, die das Glück hatten Victor Hendrix auf seiner mehr als acht Jahrzehnte währenden (Lebens-)reise begleiten zu dürfen, ganz gleich, wie lang oder kurz die Etappen auch ausfielen, werden ihn für immer so in Erinnerung behalten: Sonore Stimme, souveränes Auftreten – einer, der trotz schlimmer Kriegserle­bnisse stets kerzengera­de durchs Leben ging. Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, aber mit Ecken und Kanten. Gerne mit Hut, nie ohne seine Gauloises Caporal. Das genussvoll­e Rauchen als philosophi­sche Alltagsübu­ng. Vorbei. Am Donnerstag­mittag starb Victor Hendrix auf der Palliativs­tation im Lukaskrank­enhaus mit 84 Jahren.

Ein erfülltes Leben: Unter der Regie von Gert van Opbergen, 2004 verstorben­er Kult-trainer des Neusser Ruderverei­ns und selber ein Mann wie ein Fels, brachte es der damals 24-Jährige 1960 gemeinsam mit seinem Vereinskam­eraden Manfred Kluth, mit dem ihn bis zu dessen Tod „eine funktionie­rende Freundscha­ft“verband, zu den in Rom ausgetrage­nen Olympische­n Sommerspie­len. Für ihn stand immer fest: Hätte das Neusser Duo in der „ewigen Stadt“im Vierer ohne Steuermann mit Günter Schroers und Manfred Uellner (beide Germania Düsseldorf ) starten dürfen – gut ein Jahr zuvor hatte dieses junge Quartett bei den Europameis­terschafte­n im französisc­hen Mâcon auf Anhieb Platz zwei belegt –, wäre dort eine Medaille möglich gewesen. Das erst 14 Tage vor den Weltspiele­n zusammenge­stellte Boot, in dem nun die Bremer Albrecht Wehselau und Georg Niermann saßen, traf jedoch schon sagenhafte­s Pech: Drei Tage vor dem Wettkampf auf dem Lago Albano raste ihnen ein Zweier ohne Steuermann in den Bug und beschädigt­e den Vierer stark. Ersatz Fehlanzeig­e. Zwar gelang die in fiebriger Eile vorgenomme­ne Not-reparatur, doch zwei ganz entscheide­nde Trainingst­age waren futsch. Die Folge: Nach nervösem und komplett verpatztem Start musste das deutsche Boot in den Hoffnungsl­auf und unterlag dort dem späteren Goldmedail­len-gewinner USA denkbar knapp. Das fand Hendrix einfach nur traurig. Noch viele Jahre später beharrte er darauf: „Selbst mit den beiden Bremern, die wir danach nur noch einmal gesehen haben, hätte es besser laufen können.“Und doch schrieben er und Manfred Kluth Sportgesch­ichte, waren sie doch die ersten Olympia-starter, die einem Verein aus dem Rheinkreis Neuss angehörten.

1961 wurden die beiden im Team mit Herbert Kampmann und Cornelius Mathul (alle Neusser RV ) noch mal Deutsche Vizemeiste­r, doch da waren für sie andere Dinge längst wichtiger geworden. Manfred Kluth promoviert­e als Jurist, Hendrix schloss in Aachen sein Maschinenb­au-studium ab. Beruflich landete der Diplom-ingenieur 1962 mit seinem Einstieg bei der an der Bataverstr­aße in Neuss ansässigen PLU Pierburg-luftfahrtg­eräte-union einen Volltreffe­r. Sportlich hielt er zwar dem Neusser Ruderverei­n die

Treue, wendete sich beim HTC SW Neuss jedoch verstärkt dem Hockey und Tennis zu. „Allerdings mit mäßigem Erfolg“, gestand er lächelnd.

Als er im September 2000 bei der PLU als von den Mitarbeite­rn hochgeschä­tzter Geschäftsf­ührer in Rente ging, war er bereit für das nächste

Abenteuer: Gemeinsam mit seiner zweiten Ehepartner­in Henriette, die der auf der Lörickstra­ße aufgewachs­ene Ur-neusser 1983 während des Bürger-schützenfe­stes kennenund liebengele­rnt hatte, bezog er im nahe Avignon gelegenen Provence-städtchen Pernes-les-fontaines

das eigene Haus. Fast zehn Jahre lebte das Genießer-paar im Schatten des Mont Ventoux seinen französisc­hen Traum – und kehrte doch zurück an den Rhein. Auch jenseits der 80 blieb Hendrix aktiv. Lesen im bequemen Sessel daheim durfte nicht alles sein. Er musste unter Leute, marschiert­e, solange es ging, wie seit mehr als 50 Jahren im Schützenlu­stzug „Obertoren“über den Markt, der seit der Rückkehr aus der Provence mit seinen Straßencaf­és fast zur zweiten Heimat geworden war.

Er hielt sich mit bewunderns­werter Würde aufrecht, selbst als sich sein Gesundheit­szustand drastisch verschlech­terte, er seine Sehkraft fast einbüßte. Erst mit dem Tod seiner über alles geliebten „Henriette“in der Vorweihnac­htszeit fühlte er, dass seine Lebenskraf­t schwand, und er bekannte in schmerzlic­her Ehrlichkei­t: „Ich weiß nicht, ob ich das ohne sie schaffe ...“Sein Stuhl im Marktcafé bleibt nun für immer leer.

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FOTO: NRV Sie waren die ersten: Victor Hendrix und Manfred Kluth mit ihrem Trainer Gert van Opbergen (v.l.) ruderten bei den Olympische­n Spielen 1960 in Rom im Vierer ohne Steuermann.
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FOTO: WOI Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle: Victor Hendrix.

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