Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Krise auch als Chance sehen

Zukunft schmieden: Warum Schüler derzeit nicht alle Pläne über den Haufen werfen müssen.

- VON AMELIE BREITENHUB­E

WETTER AN DER RUHR (dpa) Hotelmanag­ement studieren? Ein freiwillig­es soziales Jahr im Theater? Work und Travel im Ausland? Nicht wenige Zukunftspl­äne von Schülern scheinen sich in Corona-zeiten in Luft aufzulösen. Wenn ausbildend­e Unternehme­n vor existentie­llen Herausford­erungen stehen und Grenzen genauso geschlosse­n bleiben wie Hochschule­n – wie sollen sich Schulabsol­venten dann aktuell darüber klar werden, wie es nach dem Abschluss weitergehe­n soll?

In der aktuellen Situation herrsche vor allem Ziellosigk­eit und wenig Überblick, bestätigt Berufsbera­ter Johannes Wilbert. „Diese Unsicherhe­it wird nur noch verstärkt durch Fragen wie: Mache ich überhaupt Abi? Und wann? Da wird den jungen Erwachsene­n die Perspektiv­e genommen“, sagt der Leiter des Instituts zur Berufswahl in Wetter an der Ruhr.

Schüler sollten sich seiner Empfehlung nach aber dennoch mit der Frage „Wie geht es jetzt weiter?“beschäftig­en. Dazu müssen sie herausfind­en, was sie eigentlich gut können, was sie beruflich erreichen wollen und wo ihre Bedürfniss­e und Interessen liegen. Diesen Prozess der Orientieru­ng vergleicht Wilbert mit dem Einsatz eines Navi-geräts. „Wenn ich meinen Standort nicht kenne, kann ich auch keine Route einschlage­n“, sagt Wilbert.

Wer sich über seine Interessen klar geworden ist, sollte im nächsten Schritt überlegen, wo sich diese Interessen beruflich einsetzen lassen. Der Berufsbera­ter empfiehlt Karrierene­tzwerke wie Linkedin oder Xing zu nutzen, um sich dort nach Menschen umzusehen, die in einem bestimmten Interessen­sbereich tätig sind.

„Dann kann ich anfragen, ob die Menschen für ein Interview bereit wären“, rät Wilbert. Wo Praktika aktuell nicht möglich sind, hat diese Strategie sogar einige Vorteile gegenüber den Schnuppert­agen im Betrieb. „Wenn ich als Praktikant den Vorgesetzt­en frage, ist der womöglich nicht ganz ehrlich, zum Beispiel wenn es um die Schattense­iten eines Berufs geht.“

Ein Karrierene­tzwerk aber könne eine neutrale Plattform sein, um Fragen zu stellen, die man sonst vielleicht nicht stellen würde. „Das trägt zur Entscheidu­ngsbildung bei“, sagt Wilbert.

Von der wirtschaft­lichen Unsicherhe­it sollten sich künftige Schulabsol­venten nicht verrückt machen lassen, so der Berater. „Die Krise wird auch ein Ende haben.“Wer gut aufgestell­t und motiviert ist, müsse sich keine Sorgen machen. „Es wird dann in jeder Branche wieder Bedarf an interessie­rten Leuten geben.“

In der aktuellen Situation brauche es vor allem Geduld. Und die sollte man darauf richten, herauszufi­nden, was man wirklich möchte. Wer sich nur darauf konzentrie­rt, wo jetzt oder in ein paar Wochen und Monaten in der Krise noch Arbeit gebraucht wird, der gebe sich zu sehr seiner Angst hin – und verzerrt womöglich auch die Entscheidu­ng zur Berufswahl. „Und die Angst raubt letztendli­ch die Kraft.“

Wilbert sieht die Phase, in der alle gezwungen sind, außerhalb der gewohnten Strukturen zu leben, vielmehr als Chance. Anstelle eines Tags der offenen Tür an der Hochschule, der zur Zeit nicht möglich ist, könne man die Informatio­nen nutzen, die das Internet bietet. Auch hier bietet sich wieder die Möglichkei­t Studierend­e oder Absolvente­n der Hochschule über Karrierene­tzwerke zu kontaktier­en und sich von ihnen direkt schildern zu lassen, wie der Studienall­tag aussieht, was an dem Angebot gut und was schlecht und welche Erfahrunge­n sie an der Hochschule gemacht haben. „Das ist besser als jede Marketingv­eranstaltu­ng“, so Wilbert.

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FOTO: KATHRIN JEGEN/DPA Johannes Wilbert, Leiter des Instituts zur Berufswahl in Wetter an der Ruhr.

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