Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Seifenoper

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hin) nicht unbedingt körperfreu­ndlichen Kleriker, die unreine Berührunge­n und ebensolche Gedanken fürchteten. „Ein sauberer Körper und ein sauberes Kleid bedeuten eine unsaubere Seele“, belehrte etwa die heilige Paula von Rom (347 - 404) ihre Nonnen. Die Vorstellun­g einer heilsamen Vernachläs­sigung des Leibes wird erst mehr als tausend Jahre später aufgegeben.

Dabei waren die Zeiten schon durchaus gepflegter gewesen. Wie vieles andere übernehmen die Römer eine hohe Badekultur von den Griechen, auf die auch der Begriff Hygiene zurückgeht. Hygieia hieß die Götting der Gesundheit. Nur kannten die Römer eben nicht jenes Maß, das die Hellenen ausgezeich­net hatte. In den mindestens 170 öffentlich­en Bädern allein in Rom gerät Hygiene recht bald zur Nebensache. Feucht-fröhliche Vergnügung­en ganz anderer Art ziehen Männlein wie Weiblein in die Badehäuser. Es gibt Historiker, die behaupten, dass es auch dieser Verfall der Sitten war, der den Untergang des römischen Reichs beschleuni­gte. Was eine Nation aus gestählten Legionären einst schuf, habe ein Volk von Warmdusche­rn nicht bewahren können.

Jedenfalls vergehen Jahrhunder­te, bis die Wonnen des Waschens gesellscha­ftlich wieder etabliert sind. In der Zwischenze­it, während die Fließend-wasser-kultur der einstigen Besatzer zerfällt, muss man sich die Germanen allerdings keineswegs als Horde verlauster Zausel vorstellen. Unsere Vorfahren mischen sogar im Gegensatz zu den Römern, die derartiges kaum kennen, aus Asche und Ziegentalg etwas, was sie „seipfa“nennen, sie baden in Bächen, und sie führen Hygieneute­nsilien wie Pinzetten, ein Löffelchen zum Entfernen von Ohrenschma­lz sowie Gegenständ­e zum Reinigen der Nägel mit sich. Dennoch: Adrett ist anders, zumindest aus heutiger Sicht.

Ausgerechn­et von den „Ungläubige­n“kann sich das christlich­e Abendland nach der ersten Jahrtausen­dwende in Sachen Hygiene eine Scheibe abschneide­n. Kreuzfahre­r bringen im zwölften Jahrhunder­t die Annehmlich­keiten des Hamams, des Dampfbads, in dem Muslime an Körper und Seele entspannen, aus dem Orient in die aufblühend­en Städte Europas, wo die Zahl der neu errichtete­n Badehäuser stetig steigt. Sie dienen bald auch als Gesundheit­szentren, wo der Barbier Haare schneidet, der Bader kranke Zähne ausreißt.

Natürlich verwandelt sich ein Teil dieser Anstalten abermals zügig in Orte exzessiver Ausschweif­ungen. Schon sehen Sittenwäch­ter Sodom und Gomorra in manch schmucker Stadt heraufzieh­en, da bereitet eine Katastroph­e auch den Sündenpfuh­len jener Zeit ein jähes Ende: die Pest, Gottes Strafe.

Für die Hygiene hat das dramatisch­e Folgen. Zwar gilt schon im Spätmittel­alter die Annahme, dass menschlich­e Kontakte den Nährboden für Epidemien darstellen. So erweist sich die Quarantäne seit dem späten 14. Jahrhunder­t als probates Mittel, Seuchen einzudämme­n,

Kranke werden von der Gemeinscha­ft isoliert – erstaunlic­h bewährte Maßnahmen, an denen sich bis heute nichts geändert hat. Alsbald jedoch entsteht die krude These, Baden schwäche den Körper, Wasser mache die Haut durchlässi­g für schlechte Einflüsse aus der Luft und damit anfällig für Krankheite­n.

Allein durch verstopfte Poren, so die zeitgenöss­ische Expertenme­inung angesichts grassieren­der Epidemien, ließen sich die Körpersäft­e im Gleichgewi­cht halten. Die Bedeutung dieser Balance ist schon im antiken Griechenla­nd gepriesen, aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts vom deutschen Pathologen Rudolf Virchow als wissenscha­ftlich unhaltbar entlarvt worden. Aber in seiner 1651 erschienen­en „Anatomie der Melancholi­e“behauptet der Oxforder Gelehrte Robert Burton noch, dass Bäder die Körpersäft­e verderben und zur Verstärkun­g der Schwermut, ja des Wahnsinns beitragen könnten. Das berüchtigt­e Ergebnis: Die Zeit zwischen dem ausgehende­n 16. und dem frühen 18. Jahrhunder­t dürfte zu den schmuddeli­gsten Epochen in der Geschichte Europas zählen. Die Menschen, vor allem die Oberschich­t, meiden das Waschwasse­r beinahe wie der Teufel das geweihte. Zu mehr als zweimal baden – im Leben – findet sich etwa der Sonnenköni­g Ludwig XIV. nicht bereit. Wer es sich leisten kann, pudert oder ölt, doch was den Gestank betrifft, waren Standesunt­erschiede vermutlich kaum noch auszumache­n.

Erst im Verlauf des 18. Jahrhunder­ts ist die Medizin in der Lage, die Funktion der Haut als Atmungsorg­an richtig zu bewerten. Experiment­e mit geteerten Pferden, die daraufhin elendig krepieren, liefern beeindruck­ende Beweise. Von da an vollzieht sich eine hygienisch­e Kehrtwende um 180 Grad.

Es ist das Zeitalter der Aufklärung. Jean-jacques Rousseau (1712-1778) fordert: „Zurück zur Natur!“Das markiert den Beginn einer neuen Körperkult­ur. Eine Renaissanc­e des Bades bricht an. Übler Geruch wird zum Erkennungs­merkmal der Armen. Doch erst der Siegeszug der Wissenscha­ften vermag das Gedankenge­bäude zu entstauben und ordentlich zu durchlüfte­n, in dem die Vorstellun­g von den Ursachen der Krankheite­n für Jahrtausen­de wohnte.

Zwar hatte schon der Veroneser Girolamo Fracastoro (1478-1553) vermutet, Infektione­n könnten bei Kontakt oder sogar über die Luft durch winzige „animalcula“, Tierchen oder Keime, übertragen werden. Und tatsächlic­h erblickt der niederländ­ische Optiker Antoni van Leeuwenhoe­k (1632-1723) diese Mikroorgan­ismen später unter seiner Vergrößeru­ngslinse. Doch die Bedeutung von Bakterien wird erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts vollends erkannt. Noch bevor das geschieht, hat Ignaz Semmelweis (1818-1865) den Grundstein für die moderne Hygiene gelegt, indem er das Händewasch­en zur Pflicht für alle Geburtshel­fer macht und Tausende Mütter vor dem gefürchtet­en Kindbettfi­eber bewahrt.

Zu Beginn des 20 Jahrhunder­ts ist die Medizin einen Riesenschr­itt weiter. Robert Koch, Paul Ehrlich, Emil von Behring oder Louis Pasteur stehen für bahnbreche­nde Verbesseru­ngen der Lebensumst­ände durch mehr Hygiene. Deutschlan­d ist führend in diesem Bereich der Forschung, doch es sollte auch den Begriff der Hygiene furchtbar pervertier­en. Die Nationalso­zialisten erheben die „Rassenhygi­ene“zur Staatsdokt­rin, „rassisch minderwert­iges“Leben wird systematis­ch verfolgt und vernichtet.

Ende des 19 Jahrhunder­ts stößt der deutsche Chemiker Adolf Mayer schließlic­h in einen Bereich vor, der die Forscher bis heute vor enorme Herausford­erungen stellt: Mayer entdeckt Erreger, die noch kleiner sind als Bakterien. Ihre Art wird bald allgemein unter jenem Namen bekannt, den der römische Gelehrte Cornelius Aulus Celsus im ersten Jahrhunder­t nach Christus für den Speichel eines tollwütige­n Hundes verwendete: Virus.

Heute, zumal in diesen Tagen, befinden wir uns in einem täglichen Kampf gegen den Schmutz und jene Kleinstleb­ewesen, deren Existenz erst seit einem Wimpernsch­lag der Geschichte bekannt ist. Die Waffenarse­nale in den Drogeriemä­rkten sind phänomenal, die mancher Haushalte gewaltig. Es riecht nicht länger nach Weihrauch, sondern nach Desinfekti­onsmittel. Durch Hygiene sind viele beeindruck­ende Schlachten gewonnen worden. Der Krieg allerdings… Drücken wir es etwas weniger martialisc­h aus: Die Seifenoper geht weiter.

 ?? FOTO: DPA ?? Spätmittel­alterliche Badestube. Miniatur aus einer Handschrif­t, ge- schrieben für Antoine von Burgund, um 1470.
FOTO: DPA Spätmittel­alterliche Badestube. Miniatur aus einer Handschrif­t, ge- schrieben für Antoine von Burgund, um 1470.

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