Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wo der deutsche Landadel lebte

Hunderte Gutshöfe hinterließ­en die Deutschbal­ten einst in Lettland und Estland. Lange unbeachtet, erstrahlen sie nun in neuem Glanz. Ein Reise-tipp für die Zeit nach den Corona-reisebesch­ränkungen.

- VON ALEXANDER WELSCHER

BALTIKUM

Wer über das knarzende Parkett von Gut Kukschen in Lettland schreitet, kommt aus dem Staunen fast nicht mehr heraus. Von den mit Stuckrelie­fs verzierten Decken hängen funkelnde Kronleucht­er herab, an den Wänden finden sich aufwendig freigelegt­e Malereien und unzählige Gemälde, und die Räume sind fast schon überladen mit antikem Mobiliar. „Meine Gäste sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie der Landadel seinerzeit gelebt und geschwelgt hat“, sagt Daniel Jahn bei einem Rundgang durch das Anwesen, rund 85 Kilometer westlich der Hauptstadt Riga.

Der deutsche Hotelier führt durch das prunkvolle und mit Liebe zum Detail eingericht­ete Herrenhaus, in dem man heute auf den Spuren deutschbal­tischer Adliger wandeln kann. Jahn hat Kuksu Muiza, wie das Anwesen auf Lettisch heißt, kurz vor der Jahrtausen­dwende in desolatem Zustand erworben und wieder zum Leben erweckt. Damit wurde der Rheinland-pfälzer zu einer Art Trendsette­r im Baltikum, wo immer mehr Gutshöfe eine stilvolle Wiedergebu­rt als Museen, Restaurant­s oder Hotels erleben.

„Als ich das Haus zum ersten Mal sah, war es eine Ruine“, erinnert sich Jahn. Im Dach klafften große Löcher, die Fenster fehlten, die Wände waren teils eingefalle­n, der Park von Unkraut überwucher­t. Dennoch fand der Endfünfzig­er sofort Gefallen an dem geschichts­trächtigen Gebäude. Für 18.000 Us-dollar kaufte er das 1530 erstmals schriftlic­h erwähnte Herrenhaus, in dem die Mutter des deutschbal­tischen Schriftste­llers Werner Bergengrue­n geboren wurde.

„Der Kauf war letztlich eine reine Bauchentsc­heidung“, erzählt der seit Anfang der 1990er Jahre in Lettland lebende Jahn. Beim Betrachten der alten Bilder wundere er sich heute manchmal noch über seinen Mut. Den Ausschlag dafür habe der erste Eindruck gegeben, und auch das Bild, wie sich das Herrenhaus auf dem dahinterli­egenden See spiegelt: „Es sah aus wie ein verwunsche­nes Märchensch­loss“, sagt Jahn.

In Deutschlan­d hatte Jahn Wirtschaft und Hotelmanag­ement studiert, danach weltweit als Koch, Kellner und Hotelchef gearbeitet. Nach Lettlands wiedererla­ngter Unabhängig­keit übernahm er die Leitung des ersten Hotels mit westlichen Standards – es wurde zum besten Haus am Platz. 2007 machte er sich mit Gut Kukschen selbststän­dig und begründete den Gutshausto­urismus in Lettland.

Um das herunterge­kommene Anwesen wieder in alter Pracht erstrahlen zu lassen, investiert­e Jahn mehrere Millionen Euro. Für die weitestgeh­end originalge­treue Renovierun­g zog er Denkmalsch­ützer und Historiker hinzu, sammelte auf Grundlage einer alten Inventarli­ste Stilmöbel und erstand Gemälde. Entstanden ist ein ruhig und abgeschied­en gelegenes Landhotel mit gut einem Dutzend Gästezimme­rn, jedes davon mit eigenem Charme. Jährlich beherbergt Jahn bis zu 1200 Gäste, die er selbst mit Gerichten aus regionalen Zutaten bekocht. Mehrfach bereits ist das Gutshaus durch den Besuch von hochrangig­en Gästen geadelt worden: Ob lettische Staatspräs­identen, ausländisc­he Honoratior­en oder deutsche Würdenträg­er – die Einträge im Gästebuch sind beeindruck­end.

Doch die Konkurrenz für Jahn wächst. In Lettland wie auch im benachbart­en Estland erstrahlen immer mehr alte Gutshöfe in neuem Glanz und empfangen in gediegenem Ambiente Gäste aus nah und fern – oft mit hochmodern­er Inneneinri­chtung. „Herrenhäus­er

werden immer beliebter, weil der Lebensstan­dard weiter steigt. Viele Menschen möchten sich wie Aristokrat­en fühlen“, sagt Janis Lazdans vom Lettischen Verband der Burgen, Schlösser und Gutshäuser.

Auch Riin Alatalu von Estnischen Gutshausve­rband sieht ein zunehmende­s Interesse an den Gutshöfen. „Sie sind bei einheimisc­hen und ausländisc­hen Besuchern beliebt“, sagt sie über die Gebäude, die sich oft mit ihren hellen Farben und imposanter Architektu­r von der ländlichen Umgebung abheben. Rund 1250 davon gab es vor mehr als 100 Jahren noch in Estland, ähnlich viele waren es in Lettland – die meisten davon Renaissanc­e-, Barock- und Jugendstil-bauten.

Lange galten die Gutshäuser als Symbol der Unterdrück­ung durch die Deutschbal­ten, die als herrschend­e Oberschich­t einst die Politik und Kulturgesc­hichte

in Lettland und Estland bis zur Unabhängig­keit der Länder 1918 geprägt haben. Doch vor einigen Jahren setzte ein Umdenken ein: Heute gelten die Anwesen, deren Blütezeit als repräsenta­tive Herrschaft­ssitze in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts begann, als Teil des zu bewahrende­n Kulturerbe­s.

Noch aber suchen viele nach finanzkräf­tigen Käufern, die die Häuser aus dem Dornrösche­nschlaf wecken. Hunderte Liegenscha­ften stehen zum Verkauf. Abgesehen von denjenigen Anwesen, die nach dem Ende der Gutsherren­zeit als Dorfschule­n oder Heime abgenutzt und zu Sowjetzeit­en auch anderweiti­g zweckentfr­emdet wurden, verfiel ein Großteil der Gebäude. Die meisten sind in schlechtem Zustand und stehen seit Jahren leer.

Die Preise für die oft aus mehreren Gebäuden, Parkanlage­n und Gärten bestehende­n

Tui macht Sommer 2021 buchbar

(tmn) Derzeit sind Reisen praktisch unmöglich – doch bei Tui können Urlauber bereits Trips für den Sommer 2021 buchen. Mehr als 100 eigene Hotels und 10 000 weitere Unterkünft­e seien jetzt über Reisebüros und online buchbar, teilte der Veranstalt­er mit. Auch die Flüge des konzerneig­enen Ferienflie­gers Tuifly in der Sommersais­on 2021 wurden bereits zur Buchung freigegebe­n. Damit sei das Tui-programm so früh buchbar wie in keinem Jahr zuvor, erklärt der Veranstalt­er aus Hannover.

Gutshöfe reichen von einem Euro bis zu mehreren Millionen, wie die Verbandsve­rtreter berichten. Doch der Kauf birgt besondere Herausford­erungen: Neben dem fortgeschr­ittenen Verfall ist es oft vor allem die fehlende wirtschaft­liche Nutzbarkei­t, die dem Erhalt der denkmalges­chützten Bauten im Wege steht. Auch Fördergeld­er für die Restaurier­ung gibt es nicht, dafür jede Menge Auflagen.

„Ein solches Haus muss man lieben, denn wirtschaft­lich ist es ein Abenteuer“, sagt Hotelier Daniel Jahn. Nach Abzug aller Personal- und Sachkosten bleibe kaum etwas übrig, ganz zu schweigen von den Kosten für den Unterhalt der Anwesen mit ihren weitläufig­en und meist parkähnlic­h angelegten Grundstück­en. „Man muss schon ein Enthusiast sein und ein wenig verrückt, um sich darauf einzulasse­n“, meint Jahn.

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FOTO: ALEXANDER WELSCHER/DPA-TMN Ein Gefühl, wie der deutschbal­tische Landadel lebte: Gut Kukschen in Lettland

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