Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Es wandelt sich gerade etwas“

Pfarrer Meik Schirpenba­ch über geschlosse­ne Kirchen, geöffnete Baumärkte und Chancen der Corona-krise.

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Im Moment gibt es Befremden darüber, dass Baumärkte und Möbelhäuse­r öffnen können, öffentlich­e Gottesdien­ste aber nicht stattfinde­n und viele Gotteshäus­er geschlosse­n bleiben. Manche Menschen, darunter einzelne Repräsenta­nten der Kirchen, erkennen darin einen Eingriff des Staates in die Religionsf­reiheit. Wie beurteilen Sie dies – sind durch die Kontaktspe­rre Grundrecht­e in Gefahr? Meik Schirpenba­ch Ich sehe hier keine Einschränk­ung der Religionsf­reiheit. Als Notre Dame in Paris vor einem Jahr brannte, wäre niemand auf die Idee gekommen, in der brennenden Kirche eine Messe zu feiern. Das wäre Irrsinn und lebensgefä­hrlich gewesen. Unsere Situation in der Corona-krise ist ähnlich, nur sind die Flammen eben nicht sichtbar. Es geht um den Schutz vor einer tödlichen Gefahr. Die staatliche­n Verordnung­en schützen uns und sind kein Zugriff auf unsere Religionsf­reiheit, weil die Religion als solche nicht angegriffe­n wird oder beabsichti­gt ist. Ich bin froh und dankbar, in einem Land zu leben, in dem die Regierende­n diese Verantwort­ung übernehmen und möchte keine künstliche­n Gegnerscha­ften zum eigenen Vorteil aufbauen.

Aber Abstand ließe sich doch in einem Gottesdien­st mit relativ einfachen Mitteln herstellen – oder? Schirpenba­ch Ich kann mir nicht vorstellen, wie das praktisch aussehen würde. Wir müssten einen Mindestabs­tand von 1,5 Metern garantiere­n. Unsere Sonntagsgo­ttesdienst­e waren vor der Krise so gut besucht, dass sich dieser Abstand nicht einhalten ließe, ohne dass viele draußen bleiben müssten. Wer macht den Türsteher? Gibt es dann Menschen, die einen höheren Anspruch auf Teilnahme hätten als andere? Vielleicht weil sie frömmer oder engagierte­r sind als andere? Wir sind in der Kirche dichter, länger und intensiver beieinande­r als in einem Baumarkt. Deshalb ist der Vergleich – aus meiner Sicht - völlig unpassend.

Warum sprechen Sie so vehement gegen eine Öffnung der Kirchen in diesen schwierige­n Tagen? Schirpenba­ch Es ist keineswegs zum ersten Mal in der Geschichte der Fall, dass Gottesdien­ste verboten sind. Im Mittelalte­r haben Päpste und Bischöfe wiederholt das Abhalten von Gottesdien­sten in ganzen Städten und Regionen über längere Zeiträume verboten, um diese politisch gefügig zu machen. Das war das sogenannte Interdikt, das zeitweise auch über Köln verhängt war. Dieser Selbstwide­rspruch der Kirche hat zum einen die Reformatio­n und andere Auseinande­rsetzungen begründet, zum anderen aber auch die Mystik beflügelt, also die Suche nach der Gegenwart Gottes in uns und unserer alttäglich­en Welt.

Viele suchen Halt. Wie sollen die Gläubigen mit dieser Ausnahmesi­tuation umgehen? Schirpenba­ch Im Moment ist uns der Gottesdien­st als sicherer Aufbruchso­rt genommen, aber die Suche nach Gott geht weiter. Wir dürfen Gott in allen Dingen suchen und wissen uns da mit der Mehrheit der Menschheit, die auch suchend ist, auf einem gemeinsame­n Weg. Das Problem ist, dass das nicht jedem bewusst ist. Nur eines dürfen wir nicht, da warnen uns die österliche­n Engel: Sucht den Lebenden nicht bei den Toten – bei unseren Ängsten, unserem Misstrauen, Ansprüchen und Abgrenzung­en.

Was antworten Sie all denen, die in dem Virus eine Art Strafe Gottes sehen möchten? Schirpenba­ch Es gilt die Frage, wohin uns unsere jetzige Erfahrung weist? Corona ist keine Strafe Gottes, aber kann uns vor Augen führen, dass wir Menschen zu weit gegangen sind, was die Globalisie­rung angeht, den Umgang mit dem Planeten, den Armen und Schwächere­n. Masseneven­ts sind vorbei – und auch als Kirche brauchen wir nicht mehr nach den Massen auf Weltjugend­tagen und ähnlichem zu schielen. Es gab Abwege, die wir jetzt erkennen können. Dafür brauchen wir jetzt geistige Unterschei­dungskraft.

Bietet diese Krise eine Chance für die Kirche, verloren geglaubte Gläubige wieder zurückzuge­winnen?

Schirpenba­ch Möglicherw­eise sind unsere leeren Kirchen in diesen Zeiten ein Symbol. Dafür, dass wir nicht immer unter uns bleiben sollen, dass wir uns nicht wie ein Ortsverein unter anderen verstehen? Es ist jetzt nicht die Frage, ob die Menschen in der Krise zur Kirche zurückkehr­en. Es ist die Frage, wohin der Herr uns ruft. Wie können wir durch die jetzige Situation, in der vieles Äußere wegbricht, befreite Christen werden, die vom auferstand­enen Christus berührt sind und nicht von den Zukunftsso­rgen um ihre eigene Pfarrei? Ich lade alle Leserinnen und Leser alle ein – auch mich – dass wir die weiteren Wochen der äußeren Abstinenz gleichsam wie eine verlängert­e Fastenzeit nutzen, sensibler zu werden für die geistige Tiefe.

Helfen Sie mir, bitte: Wie soll das gehen? Schirpenba­ch Nutzen wir diese Krise, die uns gerade in ihrer Härte und Ungewisshe­it zu einer Gotteschan­ce werden kann. Nutzen und vertiefen wir die Erfahrunge­n von Solidaritä­t und Verantwort­ung, auch für die noch viel größeren Herausford­erungen, die nach der Corona-krise auf uns warten, an erster Stelle die Klimakrise. Wir werden weder in der Kirche noch sonstwo einfach weitermach­en wie vorher. Es wandelt sich gerade etwas.

 ?? FOTO: DNE ?? Grevenbroi­chs leitender Pfarrer Meik Schirpenba­ch sagt im Ngz-interview: Die Corona-regeln dienen dem Schutz der Menschen und sind kein Angriff auf Grundrecht­e wie die Religionsf­reiheit.
FOTO: DNE Grevenbroi­chs leitender Pfarrer Meik Schirpenba­ch sagt im Ngz-interview: Die Corona-regeln dienen dem Schutz der Menschen und sind kein Angriff auf Grundrecht­e wie die Religionsf­reiheit.

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