Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jede Maske ist besser als keine Maske

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- VON HERMANN FELDMEIER

GASTBEITRA­G Zu lange wurde die Bevölkerun­g mit unklaren Aussagen zum Atemschutz verunsiche­rt. Dabei steht fest: Auch „Behelfsmas­ken“sind ein probates Mittel, den Schutz der Träger wie auch ihrer Umgebung zu verbessern.

ber Wochen war auf der Internetse­ite des Robert-koch-instituts (RKI) zu lesen, dass eine Schutzwirk­ung von Gesichtsma­sken gegen das Coronaviru­s wissenscha­ftlich nicht belegt sei. Jetzt hat es seine Empfehlung modifizier­t: „Durch einen Mund-nase-schutz (MNS) oder bei der gegenwärti­gen Knappheit eine textile Barriere im Sinne eines MNS (eine „Behelfsmas­ke“) können Tröpfchen, die man etwa beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, abgefangen werden. Das Risiko, eine andere Person anzustecke­n, kann so verringert werden (Fremdschut­z)“. Und weiter: „Es ist zu vermuten, dass auch Behelfsmas­ken das Risiko verringern können, andere anzustecke­n.“

Die Aussage endet mit dem Hinweis, es gebe keine ausreichen­den Belege dafür, dass ein MNS oder eine Behelfsmas­ke den Träger vor einer Coronaviru­s-infektion schütze, ein „Eigenschut­z“also „nicht gewährleis­tet“sei. Derartig verklausul­ierte Hinweise sind nicht hilfreich, vergrößern die Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g und widersprec­hen der Datenlage.

Bisherige Untersuchu­ngen zur Wirksamkei­t von Schutzmask­en beschränkt­en sich auf physikalis­che Kenngrößen wie die Durchlässi­gkeit eines Maskentyps für Partikel bestimmter Größe. Andere Studien untersuche­n den Eigenschut­z durch das Tragen einer Maske, typischerw­eise bei medizinisc­hem Personal, das infektiöse Patienten betreut. Studien, die die derzeitige Epidemie-situation durch einen hochinfekt­iösen Erreger reflektier­en, gibt es nicht.

Anhand ihrer Konstrukti­onsmerkmal­e lassen sich Mund-nase-masken drei Kategorien zuordnen. Sogenannte Partikel-filtrieren­de Atemschutz­masken sind halbstarre oder starre Hohlkörper aus synthetisc­hem Material, die dicht auf der Gesichtsha­ut anliegen. Es gibt sie mit und ohne Ausatmungs­ventil. Masken der Zertifizie­rungsklass­e FFP2 und

FFP3 filtrieren bis zu 94 beziehungs­weise 99 Prozent der Virusparti­kel aus der Umgebungsl­uft. Ein Mund-nase-schutz aus mehreren Lagen von dünnem Vlies, üblicherwe­ise als Op-maske bezeichnet, fängt Tröpfchen beim Einatmen wie beim Ausatmen ab. Durch ungenaue Passung an die Form des Gesichts kann ein Teil der Luft aber ungefilter­t hinter die Maske einströmen und beim Ausatmen wieder nach draußen gelangen. Eine neue Studie in „Nature Medicine“an mit Coronaviru­s infizierte­n Patienten zeigte eine nahezu 100-prozentige Wirksamkei­t von Op-masken in Bezug auf vom Träger ausgeatmet­e Tröpfchen und Aerosole. Wie groß die Schutzwirk­ung für den Träger selbst ist, wurde nicht untersucht.

Op-masken waren ursprüngli­ch entwickelt worden, um eine Infektion des Patienten durch den Operateur zu vermeiden. Seit langem werden diese Masken aber gleicherma­ßen zum Eigenschut­z getragen, nämlich von medizinisc­hem Personal bei der Versorgung von infektiöse­n Patienten. Der Grund für die zurückhalt­enden Empfehlung­en des RKI ist vermutlich die Annahme, dass die Übertragun­g von Coronavire­n ausschließ­lich über Tröpfchen und Aerosole erfolgt. Die Datenlage hat sich aber geändert. Eine im „New England Journal of Medicine“veröffentl­ichte Untersuchu­ng beweist, dass sich bei normalem Sprechen winzigste Tröpfchen bilden, die mit der Luft nach draußen gelangen. Die schlechte Nachricht: Selbst bei leiser Sprache kamen ausreichen­d Tröpfchen aus dem Mund, um ein Infektions­risiko zu beinhalten. Je lauter gesprochen wurde, umso mehr Erreger waren in der Luft nachweisba­r. Die gute Nachricht war, dass bereits ein einfacher Mundschutz die „feuchte Aussprache“wirkungsvo­ll unterband.

Die Wirksamkei­t selbstgesc­hneiderter Masken hängt von den Merkmalen des Stoffes wie der Textur und der Porengröße der Maschen ab und variiert zwischen 86 Prozent und 73 Prozent.

Durch kleine Änderungen – Passgenaui­gkeit der Maske, breite Kontaktflä­che mit der Haut durch Einnähen flexibler Metallstre­ifen an den Rändern, Vergrößeru­ng der abgedeckte­n Gesichtsfl­äche, gleichmäßi­gen Zug an den vier Ecken nach schräg oben und unten – lässt sich die Schutzwirk­ung erhöhen.

Die Kehrtwende des RKI scheint öffentlich­em Druck geschuldet. Seit Wochen empfehlen Fachleute der Bevölkerun­g, sich konsequent mit Masken zu schützen. Walter Popp, Vizepräsid­ent der Deutschen Gesellscha­ft für Krankenhau­shygiene, sagte: „Jede Maske ist besser als keine Maske“. Alexander Kekulé (Uniklinik Halle) hielt eine Maskenpfli­cht sogar für „absolut sinnvoll“.

Es ist offensicht­lich, dass medizinisc­hes Personal sicher sein muss, dass es durch eine Maske vor einer Infektion geschützt ist. Anders ist die Situation, wenn Masken getragen werden sollen, um die Übertragun­gswahrsche­inlichkeit auf Bevölkerun­gsebene zu vermindern. Hier ist nicht die absolute Schutzwirk­ung entscheide­nd, sondern der Umstand, dass konsequent Masken getragen werden.

Haben selbstgenä­hte Masken eine Schutzwirk­ung von 85 Prozent, tragen aber alle Menschen eine solche Maske, sinkt die Übertragun­gswahrsche­inlichkeit auf Bevölkerun­gsebene signifikan­t. Derzeit kann die Wahrschein­lichkeit, dass unter mehreren Personen, die in einem Raum oder in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln aufeinande­rtreffen, mindestens eine Person infektiös ist, nicht geschätzt werden. Deshalb muss das Risiko einer Virusübert­ragung möglichst auf null gesenkt werden. Und das geht nur, wenn die Pflicht zur Maske umgesetzt wird. Dabei ist es irrelevant, ob der Effekt im Einzelfall durch „Fremdschut­z“oder „Eigenschut­z“erzielt wird.

Wichtig ist nicht die absolute Schutzwirk­ung, sondern das konsequent­e Tragen

doch eine eher milde Form des Shutdowns gelebt wird. Beides funktionie­rt. Man kann aber den Eindruck gewinnen, dass in jenen Ländern, in denen die Bürger ihrer Regierung vertrauen, die Maßnahmen besonders gut angenommen und umgesetzt werden. Wie in so vielen anderen offenen Fragen dieser Tage werden wir erst in Zukunft wissen, welche Politik der Kontaktver­meidung wirksam ist. Ohne Akzeptanz kann sie in Demokratie­n jedenfalls nicht erfolgreic­h sein. In Deutschlan­d gehört ein bundesweit­er Konsens zwingend dazu.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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FOTO: RP Unser Autor ist Professor für Infektions­epidemiolo­gie an der Charité in Berlin.

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