Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Am Kommerz scheidet sich der Fußball
DÜSSELDORF Die Bundesliga hat zwei große Daten: Den 24. August 1963, das war der erste Spieltag, und den 16. März 2020, das ist der Tag, an dem die Liga die Aussetzung des Spielbetriebs beschloss. Die Ausbreitung des Coronavirus ist der Grund dafür. Und diesmal stimmt der oft zitierte Satz, dass nichts mehr ist, wie es einmal war.
Der Fußball, auch das wird nun häufig gesagt, ist auf seine eigentliche Bedeutung zurückgefahren. Er ist wirklich nur noch eine Nebensache „und nicht wichtig“, wie Nationaltrainer Joachim Löw sehr zu Recht urteilt. Niemand weiß, wie sehr die Corona-krise den Fußball und die Bundesliga verändern wird. Sicher ist, dass diese Saison, wann immer sie zu Ende gespielt wird und wenn sie überhaupt zu Ende gespielt wird, eine eigentümliche Mischung aus grandioser Nebensächlichkeit und historischer Einzigartigkeit bildet.
Sie steht am vorläufigen Ende einer Periode, in der Bayern München in der Bundesliga einen eigenen Wettbewerb spielte. Ein paar Jahre lang ging es offenbar allein darum, wann die Münchner wieder den x-ten Meistertitel feiern und wie viele Punkte Vorsprung sie diesmal haben würden.
Das lag auch am segensreichen Wirken des Trainers Pep Guardiola, den einen peniblen Detailarbeiter zu nennen, eine charmante Untertreibung ist. Mit scharfem Blick für die so wesentlichen Kleinigkeiten, mit Ungeduld und mit pantomimisch untermalten Ansagen, die drei Sprachen in einem Satz vereinten, trieb der Katalane das Münchner Ensemble in seine Ausnahmestellung. Dabei war er mindestens so anstrengend wie erfolgreich.
Auch deshalb suchten die Bayern-oberen nach Guardiolas Abgang zu Manchester City 2016 zunächst mal nach Beruhigung. Carlo Ancelotti machte das für ihren Geschmack dann schon wieder zu entspannt, Jupp Heynckes brachte noch mal für eine drei Viertel Saison die richtige Mischung. Ein neuerlich sehr komfortabler Vorsprung von 21 Punkten auf den Überraschungszweiten Schalke 04 war 2018 die Folge. Aber weder in der Champions League noch im Dfb-pokal erreichte der Klub sein Ziel. Dass er zweimal knapp scheiterte, ist für die Fußballfirma Bayern kein Trost. Sie orientiert sich am Maximalen.
Sie muss aber einsehen, erst recht in den vergangenen beiden Jahren, in denen ihr Vorsprung in Deutschland schmolz, dass die großen Erfolgsgeschichten seit der Weltmeisterschaft 2014 in anderen Ligen geschrieben werden. Die englische Premier League und die spanische La Liga laufen der Bundesliga davon. Mit jedem Jahr offenbar ein bisschen mehr. Und es erweist sich, dass Geld Tore schießt, Tore verhindert und Titel gewinnt. Das solide Geschäftsmodell der Bundesliga die 50+1-Regel, nach der Vereine in ihren Fußball-unternehmen immer die Mehrheit haben, das weltweit bewunderte Lizenzierungsverfahren
- hat im Wettbewerb mit den von Eigentümern, Oligarchen, Staatsfirmen und Wirtschaftsgrößen geführten Klubs (noch) Nachteile. Die Zweijahres-sperre gegen Manchester City wegen der Verstöße gegen das Financial Fair Play geben dem deutschen Modell allerdings Hoffnung.
Diese Hoffnung hegen die Ultras schon nicht mehr. Die Gruppe organisierter Fans, nach italienischem Vorbild in den 1990er Jahren entstanden, protestiert schon lange und manchmal sogar einfallsreich gegen die Auswüchse der Kommerzialisierung des Sports, den sie als den ihren versteht. Der Konflikt zwischen Funktionären im Deutschen Fußball-bund oder dem Liga-dachverband DFL und den Ultras kam nie so deutlich zum Ausdruck wie in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 2020. Er ist noch lange nicht bewältigt, und es ist eine offene Frage, ob dieser Konflikt überhaupt zu bewältigen ist.
Einstweilen aber ist auch das von untergeordneter Bedeutung. Die Corona-krise hat eben jedem seinen Platz zugewiesen – dem Fußball, seinen Funktionären, den Hauptdarstellern und den Fans. Wer weiß, wofür das eines Tages noch gut ist.