Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Leben wie eine Achterbahnfahrt
Manuela Dolf ist eines der Gesichter der Initiative „Kaarster Blind-gänger“. Als stadtbekannte Netzwerkerin ist sie überaus erfolgreich und selbstbewusst. Doch bis dahin war es ein langer Weg.
KAARST Manuela Dolfs Lebenslauf ist so spannend wie ein Thriller. Die 54-jährige Kaarsterin leidet an einer sehr seltenen Form der erblichen Augenkrankheit Retinitis pigmentosa: „Ich habe von den 176 Arten eine, die nur ein Mal unter Millionen vorkommt“, sagt sie. Interessant seinerzeit für den Humangenetiker der Uniklinik Düsseldorf, katastrophal für Manuela Dolf – denn die damals 22-Jährige wusste, dass sie erblinden würde. Das war 2007 der Fall. Und heute ist Manuela Dolf eines der Gesichter der Initiative „Kaarster Blind-gänger“, als stadtbekannte Netzwerkerin überaus erfolgreich und selbstbewusst. Die Initiative hat seit 2017 viel erreicht und die „Wahrnehmung“Blinder und sehbehinderter Menschen in Kaarst überhaupt erst ermöglicht. Doch der Weg bis dahin war sehr schwer für Manuela Dolf.
Immer schon hatte sie Probleme beim Sehen, ging als Kind im Dunkeln nicht mehr nach draußen und rannte ständig irgendwo gegen. Bei der Einschulung wurden die Probleme offenkundig, trotzdem wurde die Augenkrankheit damals in der Uniklinik noch nicht diagnostiziert. Ihre Eltern ignorierten die Sehschwäche einfach: „Ich durfte nicht sehbehindert sein. Du kannst doch sehen, streng dich an, sagten sie immer“, erinnert sich Manuela Dolf. In ihrer Stimme schwingt die tiefe Verletzung mit, die solche Sätze in ihr auslösten.
„Meine Eltern haben mich nicht auf das Leben vorbereitet“, resümiert sie. Denn das Leben gestaltete sich schwierig für die junge Manuela. In der Schule musste sie oft abschreiben, war immer die Letzte, erhielt gar den Stempel „blöd“– und das nur, weil sie schlecht sah. Nach ihrem Realschulabschluss durchlief sie eine Lehre zur Rechtsanwaltsgehilfin, weil ihre Eltern es so wollten. „Ich war angepasst und brav“, urteilt Manuela Dolf über sich selbst. Auch die Lehrzeit hat sie in keiner guten Erinnerung. Sie fand Akten nicht und war angeblich „schusselig“. Nach der Ausbildung arbeitete sie als Bürokraft. Mit Anfang 20 nahm sie ihr Leben selbst in die Hand und ließ ihre Krankheit in der Uniklinik endlich feststellen: Erbträger ist ihr Vater, der allerdings nicht selbst erkrankt war. Ein paar Jahre später konnte sie immer schlechter sehen, gab den Beruf auf, beantragte Schwerbehindertenausweis und Erwebsminderungsrente. Privat fand sie ihr Glück in Michael Dolf, den sie vor 26 Jahren heiratete.
Drei Kinder (heute 25, 22 und 16 Jahre alt) vervollständigten die Familie. Viele helfende „Engel“, wie Manuela Dolf sie nennt, halfen ihr beim Großziehen. Eigentlich eine Riesenleistung, doch Manuela Dolf mangelte es weiter an Selbstbewusstsein. Schließlich dachte sie: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“Sie schloss sich dem Verein „Pro Retina“in Düsseldorf an, einer Selbsthilfevereinigung von Menschen mit
Netzhautdegenerationen, nachdem der Kontakt mit der Sehbehindertenvereinigung Neuss eher negativ verlief.
Bei „Pro Retina“fühlte sie sich von Anfang an wohl, genoss Ausflüge und Treffen gemeinsam mit ihrem Mann. Sie erlebte erstmalig, wie Blinde über ihre Behinderung scherzen. Der Verein ermunterte sie 2015, sich in Kaarst für Blinde einzusetzen. Das ehrenamtliche Engagement für die Initiative gibt ihr mehr Energie zurück als sie hineinsteckt: „Ohne meine Sehbehinderung hätte ich nie so viel Positives erlebt“, sagt Manuela Dolf.