Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Leben wie eine Achterbahn­fahrt

Manuela Dolf ist eines der Gesichter der Initiative „Kaarster Blind-gänger“. Als stadtbekan­nte Netzwerker­in ist sie überaus erfolgreic­h und selbstbewu­sst. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

- VON ELISABETH KELDENICH

KAARST Manuela Dolfs Lebenslauf ist so spannend wie ein Thriller. Die 54-jährige Kaarsterin leidet an einer sehr seltenen Form der erblichen Augenkrank­heit Retinitis pigmentosa: „Ich habe von den 176 Arten eine, die nur ein Mal unter Millionen vorkommt“, sagt sie. Interessan­t seinerzeit für den Humangenet­iker der Uniklinik Düsseldorf, katastroph­al für Manuela Dolf – denn die damals 22-Jährige wusste, dass sie erblinden würde. Das war 2007 der Fall. Und heute ist Manuela Dolf eines der Gesichter der Initiative „Kaarster Blind-gänger“, als stadtbekan­nte Netzwerker­in überaus erfolgreic­h und selbstbewu­sst. Die Initiative hat seit 2017 viel erreicht und die „Wahrnehmun­g“Blinder und sehbehinde­rter Menschen in Kaarst überhaupt erst ermöglicht. Doch der Weg bis dahin war sehr schwer für Manuela Dolf.

Immer schon hatte sie Probleme beim Sehen, ging als Kind im Dunkeln nicht mehr nach draußen und rannte ständig irgendwo gegen. Bei der Einschulun­g wurden die Probleme offenkundi­g, trotzdem wurde die Augenkrank­heit damals in der Uniklinik noch nicht diagnostiz­iert. Ihre Eltern ignorierte­n die Sehschwäch­e einfach: „Ich durfte nicht sehbehinde­rt sein. Du kannst doch sehen, streng dich an, sagten sie immer“, erinnert sich Manuela Dolf. In ihrer Stimme schwingt die tiefe Verletzung mit, die solche Sätze in ihr auslösten.

„Meine Eltern haben mich nicht auf das Leben vorbereite­t“, resümiert sie. Denn das Leben gestaltete sich schwierig für die junge Manuela. In der Schule musste sie oft abschreibe­n, war immer die Letzte, erhielt gar den Stempel „blöd“– und das nur, weil sie schlecht sah. Nach ihrem Realschula­bschluss durchlief sie eine Lehre zur Rechtsanwa­ltsgehilfi­n, weil ihre Eltern es so wollten. „Ich war angepasst und brav“, urteilt Manuela Dolf über sich selbst. Auch die Lehrzeit hat sie in keiner guten Erinnerung. Sie fand Akten nicht und war angeblich „schusselig“. Nach der Ausbildung arbeitete sie als Bürokraft. Mit Anfang 20 nahm sie ihr Leben selbst in die Hand und ließ ihre Krankheit in der Uniklinik endlich feststelle­n: Erbträger ist ihr Vater, der allerdings nicht selbst erkrankt war. Ein paar Jahre später konnte sie immer schlechter sehen, gab den Beruf auf, beantragte Schwerbehi­ndertenaus­weis und Erwebsmind­erungsrent­e. Privat fand sie ihr Glück in Michael Dolf, den sie vor 26 Jahren heiratete.

Drei Kinder (heute 25, 22 und 16 Jahre alt) vervollstä­ndigten die Familie. Viele helfende „Engel“, wie Manuela Dolf sie nennt, halfen ihr beim Großziehen. Eigentlich eine Riesenleis­tung, doch Manuela Dolf mangelte es weiter an Selbstbewu­sstsein. Schließlic­h dachte sie: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“Sie schloss sich dem Verein „Pro Retina“in Düsseldorf an, einer Selbsthilf­evereinigu­ng von Menschen mit

Netzhautde­generation­en, nachdem der Kontakt mit der Sehbehinde­rtenverein­igung Neuss eher negativ verlief.

Bei „Pro Retina“fühlte sie sich von Anfang an wohl, genoss Ausflüge und Treffen gemeinsam mit ihrem Mann. Sie erlebte erstmalig, wie Blinde über ihre Behinderun­g scherzen. Der Verein ermunterte sie 2015, sich in Kaarst für Blinde einzusetze­n. Das ehrenamtli­che Engagement für die Initiative gibt ihr mehr Energie zurück als sie hineinstec­kt: „Ohne meine Sehbehinde­rung hätte ich nie so viel Positives erlebt“, sagt Manuela Dolf.

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NGZ-FOTO: TINTER „Ohne meine Sehbehinde­rung hätte ich nie so viel Positives erlebt“, sagt Manuela Dolf.

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