Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Im Land des verschwundenen Lächelns
In Läden und im Nahverkehr ist seit Montag ein Mund-nase-schutz Pflicht. In Grevenbroich hielt sich eine Mehrheit daran.
GREVENBROICH Zug um Zug arbeitet sich Sibilla Koerver durch die Bahn. Bis zu 14 Stunden sei sie manchmal unterwegs. Die Putz- und Desinfektionsmittel schultert sie in einer Haushaltstasche, Gummihandschuhe schützen die Hände, eine Maske die Nase und den Mund. „Die meisten Menschen, die ich heute Morgen in den Bahnen gesehen habe, trugen Masken“, sagt die Frau in der leuchtend orangenen Weste. Am Montag Morgen, kurz nach halb acht, wartet sie auf dem Bahnsteig in Grevenbroich auf den nächsten Einsatz. Nur ein jüngerer Mann hatte an diesem Morgen keinen Mund-naseschutz angelegt. Als sie ihn darauf anspricht, bekommt sie Schimpfwörter zu hören. Eine Ausnahme. „Derzeit lebe ich in einer anderen Welt“, sagt Sibilla Koerver, „und so ganz habe ich mich noch nicht daran gewöhnt.“
Früher würdigte kein Fahrgast sie eines Blickes, wenn sie während der Fahrt Erbrochenes wegwischte. Nun desinfiziert sie Haltestangen – und bekommt dafür gleich mehrfach am Tag ein „Dankeschön“zu hören. Ein Mann habe ihr Geld zustecken wollen; das habe sie abgelehnt. Ein Junge gab ihr eine Tafel Schokolade.
„Manchmal habe ich feuchte Augen“, gesteht Sibilla Koerver und eilt weiter in ihrem Putz-fahrplan. Jetzt bloß nicht sentimental werden…
Tag eins der Maskenpflicht in Supermärkten sowie in Bussen und Bahnen – das ist am Grevenbroicher Bahnhof, an dem sich viele Bus- und Bahnlinien kreuzen – der Tag der Virus-anekdoten. Da schnauft ein Mann mit voller Einkaufstasche herbei, um die 892 nach Gindorf zu erwischen. Und noch während er schneller läuft, zieht er ein Tempo-tuch aus der Hosentasche, um es sich an der Bustür auf Mund und Nase zu drücke. Maske vergessen.
„Wir brauchen keinen Schutz“, behauptet ein Fahrer der BVR Rheinland, als er für ein paar Minuten in der Sonne steht. Das stimmt nur zum Teil, sagt ein Sprecher der zuständigen Deutschen Bahn später: „Wenn ein Fahrer Fahrgästen beim Ein- oder Aussteigen helfen muss, Behinderten etwa, muss er dabei eine Maske tragen.“Ansonsten bleibt die vordere Tür geschlossen. Ein Zettel weist die Fahrgäste an: „Bitte hinten einsteigen!“Fahrscheine gibt es nicht mehr im Bus: Mitfahren nur noch für Dauerkartenbesitzer oder Passagiere, die per App oder am Automaten bezahlen.
„Wenn sich jetzt jemand ohne Maske neben mich setzen würde, dann würde ich ihn wegjagen“, knurrt ein stämmiger Mann in Militärhose und schaut grimmig, während durch die Maske seine Brille beschlägt: Angenehm findet er die Maske nicht. Wie so viele hat er seinen Schutz verkehrt herum aufgesetzt. Der Nasendraht hängt unter der Unterlippe.
Lea (20) und Finja (17) wollen per Bus zu ihrem Arbeits- und Ausbildungsplatz, der Karate-fachsportschule in Gustorf. In einem Bus sitze man sehr eng nebeneinander, stellen sie fest: „Wenn da jemand ohne Maske käme, würden wir den ansprechen und um mehr Abstand bitten.“Vom Fahrer dürfen sie sich erst einmal keine Hilfe erwarten. „Das sollen die Passagiere untereinander regeln“, sagt der Mann am Lenker des Omnibusses.
Ein paar Meter weiter überlegt Taxifahrer Dieter Lalk, ob er die Maske überhaupt benutzen darf, die griffbereit am Rückspiegel baumelt. Seit 2017 verbietet die Straßenverkehrsordnung, dass sich Autofahrer unkenntlich machen. Es drohen 60 Euro Bußgeld. Eine Sprecherin der Polizei im Rhein-kreis beruhigt: „Das gilt nur für den Fahrer und nur für Vollmasken.“Der Corona-schutz sei damit jedoch nicht gemeint. Solange nur Mund und Nase bedeckt seien, der Fahrer also anhand von Augen, Stirn, Kopfform und Haarfarbe identifiziert werden könne, sei alles in Ordnung. Aha.
Taxifahrer sind in der Landesverordnung allerdings von der Maskenpflicht ausgenommen. Wenn sie dennoch einen Schutz tragen, dann aus Höflichkeit dem Fahrgast gegenüber. Dieter Lalk sagt, er bekomme zwar Atemnot hinter der Maske, sei aber dennoch von ihr überzeugt: „Wir hätten in Deutschland viel eher eine solche Maskenpflicht einführen sollen.“