Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Handel vor Gericht
ANALYSE Die Bundesländer haben mit unterschiedlichen Regeln für Ladenöffnungen einen Flickenteppich geschaffen. Das badet nun die Justiz aus, die über immer neue Eilanträge gegen Landesverordnungen entscheiden muss.
Es ist kaum mehr als zweiwochen her, da sprach sich Nrw-ministerpräsident Armin Laschet für ein gemeinsames Vorgehen der 16 Bundesländer bei einer Lockerung der Corona-beschränkungen aus. Dafür bekam er zu Recht viel Beifall. Dumm nur, dass die Länderchefs dieses hehre Ziel auch für die bundesweiten Lockerungen im Einzelhandel im Kopf hatten, was bei der Ausformulierung der jeweiligen Landesverordnungen mitunter in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Die Uneinigkeit der Länder gipfelte in der Aussage von Nrw-gesundheitsminister Karl-josef Laumann, der die Öffnung von Möbelhäusern ausschließlich in Nordrhein-westfalen unter anderem mit wirtschaftlichen Interessen begründete. Das allein ist starker Tobak, weil es den Verdacht nährt, dass bei der Frage, was öffnen darf und was nicht, das Gesundheitsrisiko mitunter nicht das wichtigste Kriterium ist.
Natürlich wollen wir an dieser Stelle den Föderalismus nicht prinzipiell infrage stellen. Aber wenn gerade quer durch Deutschland Gerichte darüber entscheiden müssen, ob und in welchem Ausmaß welcher Einzelhändler in welchem Bundesland öffnen darf, fragt man sich unwillkürlich, ob dieses Prinzip in der Krise uneingeschränkt gelten sollte. Derzeit jagt ein Eilantrag den nächsten, der Handel zieht vor Gericht, um sich Geschäft zu erstreiten. Das Phänomen birgt die Gefahr, dass bis hin zum Bundesverwaltungsgericht noch über Ladenöffnung gestritten wird, wenn manche Händler schon längst in der Versenkung eines Insolvenzverfahrens verschwunden sind. Schon jetzt fürchtet der Handelsverband HDE um 50.000 Unternehmen, die den Folgen der Pandemie zum Opfer fallen könnten. Der Handelsexperte Gerrit Heinemann glaubt, dass die Hälfte aller inhabergeführten Geschäfte die
Türen zumacht. Der Flickenteppich jedenfalls wäre nicht nötig gewesen. In dem Bemühen, den Spagat zwischen Föderalismus und zur Schau gestellter Einigkeit zu schaffen, hat die Politik Schaden angerichtet. Sie hat Gemeinsamkeit suggeriert und Erwartungen enttäuscht.
Das baden jetzt die Gerichte aus. Dass die Landesgerichte die existierenden Regeln unterschiedlich bewerten, verwundert nicht. So haben die Oberverwaltungsgerichte (OVG) für Niedersachsen und das Saarland die 800-Quadratmeter-auflage, die dem Baurecht entlehnt ist, für rechtmäßig erklärt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München hält das Verkaufsverbot für große Geschäfte dagegen für verfassungswidrig. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen fallen schon deswegen unterschiedlich aus, weil die zugrundeliegenden Regeln unterschiedlich sind. Jedes Bundesland hat eine eigene Verordnung erlassen. Während es in Bayern und im Saarland Geschäften mit mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche verboten war zu öffnen, durften in Niedersachsen Geschäfte in Einkaufszentren öffnen. In Niedersachsen und in NRW darf dafür ein Kunde pro zehn Quadratmeter Fläche eingelassen werden, in Bayern ein Kunde pro 20 Quadratmeter. Im Saarland wiederum dürfen Möbel- und Einrichtungshäuser nach einer anderen Entscheidung des OVG Saarlouis wieder öffnen. Alles andere verstoße gegen Artikel 3.
Im Detail also herrscht ein großer Wirrwarr. Schuld daran haben aber eher nicht die Gerichte. Bund und Länder haben eine gemeinsame Basis gelegt, weil sie ursprünglich einheitlich vorgehen wollten. Nun ist aber nicht nur von einem einheitlichen Vorgehen nichts zu sehen, sondern auch die Basis war schon überaus brüchig.
Dass Geschäfte unter 800 Quadratmeter Verkaufsfläche öffnen dürfen und nicht etwa unter 900 oder 1200
Man könnte das juristisch begründete Willkür nennen