Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Handel vor Gericht

- VON HENNING RASCHE UND GEORG WINTERS

ANALYSE Die Bundesländ­er haben mit unterschie­dlichen Regeln für Ladenöffnu­ngen einen Flickentep­pich geschaffen. Das badet nun die Justiz aus, die über immer neue Eilanträge gegen Landesvero­rdnungen entscheide­n muss.

Es ist kaum mehr als zweiwochen her, da sprach sich Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet für ein gemeinsame­s Vorgehen der 16 Bundesländ­er bei einer Lockerung der Corona-beschränku­ngen aus. Dafür bekam er zu Recht viel Beifall. Dumm nur, dass die Länderchef­s dieses hehre Ziel auch für die bundesweit­en Lockerunge­n im Einzelhand­el im Kopf hatten, was bei der Ausformuli­erung der jeweiligen Landesvero­rdnungen mitunter in Vergessenh­eit geraten zu sein scheint. Die Uneinigkei­t der Länder gipfelte in der Aussage von Nrw-gesundheit­sminister Karl-josef Laumann, der die Öffnung von Möbelhäuse­rn ausschließ­lich in Nordrhein-westfalen unter anderem mit wirtschaft­lichen Interessen begründete. Das allein ist starker Tobak, weil es den Verdacht nährt, dass bei der Frage, was öffnen darf und was nicht, das Gesundheit­srisiko mitunter nicht das wichtigste Kriterium ist.

Natürlich wollen wir an dieser Stelle den Föderalism­us nicht prinzipiel­l infrage stellen. Aber wenn gerade quer durch Deutschlan­d Gerichte darüber entscheide­n müssen, ob und in welchem Ausmaß welcher Einzelhänd­ler in welchem Bundesland öffnen darf, fragt man sich unwillkürl­ich, ob dieses Prinzip in der Krise uneingesch­ränkt gelten sollte. Derzeit jagt ein Eilantrag den nächsten, der Handel zieht vor Gericht, um sich Geschäft zu erstreiten. Das Phänomen birgt die Gefahr, dass bis hin zum Bundesverw­altungsger­icht noch über Ladenöffnu­ng gestritten wird, wenn manche Händler schon längst in der Versenkung eines Insolvenzv­erfahrens verschwund­en sind. Schon jetzt fürchtet der Handelsver­band HDE um 50.000 Unternehme­n, die den Folgen der Pandemie zum Opfer fallen könnten. Der Handelsexp­erte Gerrit Heinemann glaubt, dass die Hälfte aller inhabergef­ührten Geschäfte die

Türen zumacht. Der Flickentep­pich jedenfalls wäre nicht nötig gewesen. In dem Bemühen, den Spagat zwischen Föderalism­us und zur Schau gestellter Einigkeit zu schaffen, hat die Politik Schaden angerichte­t. Sie hat Gemeinsamk­eit suggeriert und Erwartunge­n enttäuscht.

Das baden jetzt die Gerichte aus. Dass die Landesgeri­chte die existieren­den Regeln unterschie­dlich bewerten, verwundert nicht. So haben die Oberverwal­tungsgeric­hte (OVG) für Niedersach­sen und das Saarland die 800-Quadratmet­er-auflage, die dem Baurecht entlehnt ist, für rechtmäßig erklärt. Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of in München hält das Verkaufsve­rbot für große Geschäfte dagegen für verfassung­swidrig. Es verstoße gegen den Gleichheit­sgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgeset­zes.

Die Entscheidu­ngen fallen schon deswegen unterschie­dlich aus, weil die zugrundeli­egenden Regeln unterschie­dlich sind. Jedes Bundesland hat eine eigene Verordnung erlassen. Während es in Bayern und im Saarland Geschäften mit mehr als 800 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche verboten war zu öffnen, durften in Niedersach­sen Geschäfte in Einkaufsze­ntren öffnen. In Niedersach­sen und in NRW darf dafür ein Kunde pro zehn Quadratmet­er Fläche eingelasse­n werden, in Bayern ein Kunde pro 20 Quadratmet­er. Im Saarland wiederum dürfen Möbel- und Einrichtun­gshäuser nach einer anderen Entscheidu­ng des OVG Saarlouis wieder öffnen. Alles andere verstoße gegen Artikel 3.

Im Detail also herrscht ein großer Wirrwarr. Schuld daran haben aber eher nicht die Gerichte. Bund und Länder haben eine gemeinsame Basis gelegt, weil sie ursprüngli­ch einheitlic­h vorgehen wollten. Nun ist aber nicht nur von einem einheitlic­hen Vorgehen nichts zu sehen, sondern auch die Basis war schon überaus brüchig.

Dass Geschäfte unter 800 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche öffnen dürfen und nicht etwa unter 900 oder 1200

Man könnte das juristisch begründete Willkür nennen

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