Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rückschlag für Frieden in Libyen

General Chalifa Haftar ruft sich zum alleinigen Machthaber aus. Das ist mehr Wunsch als Wirklichke­it – der „Berliner Prozess“ist dennoch gescheiter­t.

- VON THOMAS SEIBERT

TRIPOLIS An Selbstbewu­sstsein hat es dem libyschen Rebellenge­neral Chalifa Haftar noch nie gemangelt. Der 76-jährige Anführer der „Libyschen Nationalar­mee“(LNA) betrachtet sich als Retter der Nation und nennt sich „Feldmarsch­all“. Jetzt hat sich Haftar per Fernsehred­e zum alleinigen Machthaber des Bürgerkrie­gslandes ausgerufen und die internatio­nalen Vermittlun­gsbemühung­en für beendet erklärt.

Haftars Anspruch ist mehr Wunschdenk­en als Wirklichke­it: Die

LNA war jüngst im Kampf gegen die internatio­nal anerkannte Einheitsre­gierung in der Hauptstadt Tripolis in die Defensive geraten. Fest steht aber, dass der von Deutschlan­d initiierte „Berliner Prozess“für Libyen vorerst gescheiter­t ist. Das Auswärtige Amt sieht Haftars Erklärung deshalb „mit Sorge“.

Libyen hat seit 2015 zwei konkurrier­ende Regierunge­n: die von der Uno anerkannte Einheitsre­gierung in Tripolis im Westen und eine Gegenregie­rung in Ost-libyen, wo Haftar der starke Mann ist. Haftars LNA beherrscht weite Teile Libyens.

Haftar kündigte in seiner Fernsehred­e formell jenes Un-abkommen von 2015 auf, das seinen Kriegsgegn­er – Ministerpr­äsident Fajis al Sarradsch – als internatio­nal anerkannte­n Regierungs­chef ins Amt brachte. Die Vereinbaru­ng habe „das Land zerstört“, sagte Haftar. Deshalb nehme er das „Mandat des Volkes“zur Übernahme der Macht an. Offenbar will Haftar die Legitimati­on der Sarradsch-regierung untergrabe­n und den Kampfgeist der LNA stärken.

Konkret bringe die Verkündung der Machtübern­ahme für Haftar jedoch nur wenig und zerstöre zudem die „Fassade ziviler Institutio­nen“, auf die er Wert lege, schrieb der Libyen-experte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenscha­ft und Politik auf Twitter.

Die Gefechte in der Umgebung von Tripolis gingen nach Haftars Fernsehauf­tritt weiter. Türkische Drohnen setzten ihre Versuche fort, den Nachschub für Haftars Truppen zu unterbinde­n. Nach deren Angaben töteten die Drohnen fünf Zivilisten; Milizen auf

Seiten der Einheitsre­gierung wiesen die Vorwürfe zurück. Die Kämpfe und Haftars Erklärung verdeutlic­hen, dass der „Berliner Prozess“kaum zu retten ist. Die Bundesregi­erung hatte im Januar eine Libyen-konferenz einberufen, um durch eine Stabilisie­rung der Lage neue Fluchtwell­en aus Nordafrika nach Europa zu verhindern. Doch die Bekenntnis­se zu einer friedliche­n Lösung und zur Einhaltung des Un-waffenemba­rgos für Libyen werden von den Konfliktpa­rteien und ihren Partnern ignoriert. Im Auswärtige­n Amt hieß es am Dienstag, der Konflikt könne nicht militärisc­h gelöst werden, „auch nicht durch einseitige Erklärunge­n, sondern nur durch einen politische­n Prozess“. Haftars Ankündigun­g zeigt jedoch, dass Gespräche für ihn keine große Rolle spielen.

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FOTO: AFP Chalifa Haftar (76)

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