Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Kirche und Sport haben viel gemeinsam“
Olympiapfarrer Thomas Weber sieht Glaube und sportliche Werte in der Corona-krise wieder auf dem Vormarsch.
DÜSSELDORF Ein Pfarrer muss damit leben, dass seine Gottesdienste nur unter besonderen Vorkehrungen stattfinden dürfen. Ein Spitzensportler muss damit leben, dass die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben wurden. Thomas Weber muss mit beidem leben. Er ist der Olympiapfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland. Aber doppelt betroffen sieht der Gevelsberger sich deswegen nicht. „Für uns als Kirche tun sich im Moment Quantensprünge auf, gerade, was die Digitalisierung anbelangt. Plötzlich haben wir ganz andere Gottesdienst-formate vor Augen, und das ist auch spannend“, sagt Weber.
Und beim Thema Olympia? „Für mich wären Tokio die achten Olympischen Spiele, die ich miterleben würde. Natürlich fand ich es schade, dass sie verschoben werden mussten. Wenn ich aber mitbekomme, wie sehr sich für viele Sportler ihr ganzes Leben durch die Absage verändert hat, all ihre Planung, dann lässt sich diese Verlegung der Spiele für mich als Olympiapfarrer, denke ich, am allereinfachsten verkraften“, sagt Weber. „Denken Sie beispielsweise an all die, die gesagt haben: Nach Olympia höre ich auf, da beginnt ein neuer Lebensabschnitt.“
Wenn diese Sportler sich nun fragen, wie es weitergeht, wie sie neu planen, wie sie durch diese Ungewissheit kommen, dann sind das Fragen, die Weber aus seiner täglichen Seelsorge kennt. Dort geht es eher um Krankheit, Sorge um den Arbeitsplatz, Probleme in der Familie und nicht um einen geplatzten Olympiatraum, aber das Bedürfnis nach Rat, Zuspruch und Hilfe ist in beiden Fällen da. „Für die Athleten heißt es ja jetzt vor allem, Geduld zu haben und mal ein Jahr nach vorne zu blicken. Wir werden 2021 sehen, wie die Sportler gerade mental diese Geduldsprobe bestanden haben“, sagt Weber.
Was sich der Geistliche als Nachgang der Corona-krise erhofft, ist eine Stärkung des athletischen Selbstbewusstseins. Schließlich waren es nicht zuletzt kritische Stimmen aus den Reihen der Sportler, die in der Debatte um die Verschiebung der Tokio-spiele maßgeblich Gehör fanden. „Wenn der Punkt erreicht ist, dass die Öffentlichkeit den Eindruck hat, die Sportler seien nur noch Gladiatoren und dass andere das Geschäft mit ihnen machen, dann ist das ein kritischer Punkt für den Sport generell. Und in dem Zusammenhang finde ich es sehr wichtig, dass die Sportler da mit einer Stimme sprechen“, sagt der Olympiapfarrer.
Was die mögliche Wiederaufnahme des Fußball-bundesligabetriebs im Mai angeht, ist Weber derweil skeptisch. „Die Verantwortlichen im Profifußball müssen in der momentanen Lage, wenn sie sich öffentlich ganz weit nach vorne positionieren, schon aufpassen, ob das dem Ansehen des Fußballs in der Gesellschaft auf Sicht nicht mehr schadet als nutzt. Ich bin jedenfalls skeptisch, was eine mögliche Sonderstellung des Profifußballs gegenüber Vereinen in anderen Sportarten oder im Breitensport betrifft“, sagt er.
In jedem Fall gilt für den Pfarrer: Sport und Glaube, Sport und Kirche sind grade jetzt eng verwoben. „Kirche und Sport in diesen Zeiten – da gibt es doch viele Gemeinsamkeiten. Das wird mir gerade wieder bewusst“, sagt er. Nicht nur in Sorgen und Nöten, sondern auch in allem, was die Krise an Positivem hervorbringt: Solidarität, Gemeinschaftssinn, Relativierung von Wichtigkeiten. „Was wir in diesen Zeiten in jedem Fall lernen, ist, dass Begriffe wie Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe kein naives Gerede sind, sondern das Nötigste, das eine Gesellschaft
braucht – nicht nur, um diese Krise zu überstehen, sondern auch, um zukünftig miteinander leben zu können“, sagt Weber.
Er merke auch bei seinen Konfirmanden, dass sie den Sport vermissen. „Wir haben zwei Videokonferenzen mit den Jugendlichen gemacht, und da sagen dann doch einige, es gehe ihnen nicht gut, denn derzeit finde ja kein Fußballtraining statt, die Bolzplätze seien gesperrt und die Schwimmhalle habe geschlossen“, erzählt Weber.
Doch so langsam kehrt ja ein wenig Normalität zurück. Breitensport könnte im Mai wieder erlaubt werden, und Gottesdienste dürfen seit diesem Wochenende wieder stattfinden. Wobei für Weber der Glaube im Lockdown nicht etwa gelitten hat. „Glaube hat für mich eine weitreichendere Bedeutung, als nur sonntagmorgens in der einen Stunde den Gottesdienst zu feiern. Unser Glaube bezieht sich auf alle Lebensbereiche und gibt mir gerade in dieser Zeit sehr viel Kraft, Hoffnung und Zuversicht für jeden neuen Tag.“Zuversicht ist etwas, was er auch den Olympiasportlern wünscht in diesen Wochen. Zuversicht und Geduld.