Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Keine Dividenden bei Staatshilf­en“

Die Wirtschaft­sweise warnt vor zu großzügige­n Finanzhilf­en und verlangt mehr Sorgfalt bei den Lieferkett­en.

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Mit dem Lockdown in der Corona-krise hat der Staat schnell und umsichtig gehandelt, die Öffnung verläuft aber eher chaotisch. Was geht derzeit schief? SCHNITZER Der Staat hat beim Lockdown vieles richtig gemacht. In Deutschlan­d waren die Maßnahmen im Vergleich zu Italien, Frankreich oder Spanien eher gemäßigt, haben aber doch gewirkt. Das unterschät­zen vor allem die, die jetzt nach einer weiteren Lockerung rufen. Beim Lockern der Maßnahmen gehen die einzelnen Bundesländ­er aber nicht koordinier­t genug vor. Das verunsiche­rt die Bevölkerun­g.

Luftlinien, Kaufhäuser und Sportartik­elherstell­er rufen nach Staatshilf­en. Sind plötzlich Subvention­en das ökonomisch­e Allheilmit­tel? SCHNITZER Den Unternehme­n mit funktionie­rendem Geschäftsm­odell, die unverschul­det in die Krise geraten sind, muss der Staat helfen, den Unternehme­n, die vor der Krise in Schwierigk­eiten waren, nicht.

Wie kann ausgerechn­et der Staat das unterschei­den? SCHNITZER Ein Anhaltspun­kt ist die Zahlungsfä­higkeit am 31. Dezember 2019. Wer zu diesem Zeitpunkt kein tragfähige­s Geschäftsm­odell hatte, der sollte sich nicht jetzt mit Verweis auf die Corona-krise vom Staat retten lassen können. Hier ist eine genaue Prüfung notwendig.

Also Gründlichk­eit vor Schnelligk­eit? SCHNITZER Man muss durchaus schnell helfen, selbst wenn die Gefahr besteht, dass der ein oder andere Mitnahmeef­fekt dabei ist. Man muss sich aber davor hüten, prominente­n Unternehme­n, die schon vor der Krise nicht überlebens­fähig waren, viel Geld zu geben, nur weil sie jetzt besonders laut rufen.

Bei Lufthansa und anderen Unternehme­n wird über Staatsbete­iligungen geredet. Ist das ein besserer Weg als Kredite? SCHNITZER Hier muss man genau unterschei­den. Kredite sichern die Liquidität, nicht die Solvenz. Das kann dazu führen, dass manche Unternehme­n nach der Krise überschuld­et sind. Die Alternativ­e wären Staatsbete­iligungen. Die haben aber den Nachteil, dass der Staat schnell einsteigen, aber nur schwer wieder aussteigen kann.

Soll er nun einsteigen oder nicht? SCHNITZER Wenn überhaupt würde ich für eine stille Beteiligun­g mit klarer Exit-verpflicht­ung plädieren, denn der Staat sollte nicht in die Unternehme­nsentschei­dungen eingreifen. Eine Auflage sollte aber schon gemacht werden: Unternehme­n, die Staatshilf­en in Anspruch nehmen, dürfen keine Boni und Dividenden ausschütte­n.

Die Autoindust­rie verlangt staatliche Kaufanreiz­e, um wieder auf die Beine zu kommen. SCHNITZER Abwrackprä­mien für Autos mit Verbrennun­gsmotoren lehne ich entschiede­n ab. Das ist purer Lobbyismus, genauso wie die Forderung, nun Abstriche bei Umweltaufl­agen zu machen. Gerade die Autoindust­rie hat lange wichtige Trends wie die E-mobilität und die Wasserstof­ftechnolog­ie verschlafe­n. Da kann die Corona-pandemie keine Ausrede sein, um das alte Geschäftsm­odell auf viele weitere Jahre zu zementiere­n.

Von der Autoindust­rie hängt aber jeder siebte Beschäftig­te in Deutschlan­d ab. Soll der Staat wirklich nichts tun? SCHNITZER Durch Kaufanreiz­e werden Käufe vorgezogen, die in den Folgejahre­n fehlen. Und oft werden die Prämien benutzt, um ausländisc­he Automobilm­arken zu kaufen, so war es beim Abwrackpro­gramm in der Finanzkris­e. Aber eine Kombinatio­n von Kaufprämie­n etwa für Elektro-autos, verbunden mit Investitio­nen in Ladeinfras­trukturen könnte schon sinnvoll sein.

Müssen künftig Lieferkett­en anders organisier­t sein oder gar die Globalisie­rung zurückgedr­eht werden? SCHNITZER Von der Globalisie­rung haben viele Menschen profitiert, in Deutschlan­d und weltweit. Der Wohlstand ist gewachsen, auch in den Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern, mit denen wir Handel treiben. Dadurch hat die Einkommens­ungleichhe­it zwischen Industrieu­nd Entwicklun­gsländern abgenommen. Ein gewaltiger Schritt.

Also müssen wir zum Zustand vor der Krise wieder zurückfind­en? SCHNITZER Tatsächlic­h hat die Pandemie klare Schwächen in unseren Lieferkett­en aufgedeckt. Die sind offensicht­lich zu wenig diversifiz­iert, zu viele Unternehme­n beziehen ihre Vorprodukt­e aus nur einem Land, von nur einem Unternehme­n. In Zukunft sollten die Aktionäre und Investoren stärker darauf schauen, wie ein Unternehme­n gegen Lieferscho­cks abgesicher­t ist. Dazu gehört auch ein Überdenken der Lagerhaltu­ng. Just-in-time Produktion in der aktuellen Form gilt dann vielleicht als zu riskant. Die Diversifiz­ierung der Lieferbezi­ehungen hat aber auch ihren Preis.

Wie groß muss die Solidaritä­t mit Europa sein? SCHNITZER Es gibt Länder wie Italien, Spanien und in Teilen auch Frankreich, die heftiger als Deutschlan­d von der Krise betroffen sind. Hier ist Solidaritä­t gefragt. Aber es ist auch in unserem eigenen Interesse, diesen Ländern zu helfen, weil wir wirtschaft­lich sehr mit ihnen verflochte­n sind.

Brauchen wir Corona-bonds? SCHNITZER Man könnte sagen, wann, wenn nicht jetzt, wäre eine gemeinscha­ftliche Schuldenau­fnahme mit Corona-bonds gerechtfer­tigt. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Eine gemeinscha­ftliche Schuldenau­fnahme wäre nur möglich, wenn wir die Europäisch­en Verträge verändern und in allen Parlamente­n der Eu-staaten ratifizier­en lassen. So viel Zeit haben wir nicht. Der bessere Weg wäre, den europäisch­en Hilfsfonds ESM zu nutzen, das ist ein bereits etablierte­s Instrument.

Italien und Spanien wollen aber nicht in ein Regime, in dem die Eu-kommission und die EZB über die Mittelverg­abe entscheide­n? SCHNITZER Es stimmt, gerade die italienisc­he Regierung fürchtet, dass die Nutzung des ESM stigmatisi­erend wirkt und mit hohen Auflagen verbunden wird. Hier kommt es auf die richtige Ausgestalt­ung an. Zusätzlich könnte man überlegen, den Haushalt der EU zu erweitern, etwa, indem für neue Aufgaben neue Einnahmequ­ellen für den Eu-haushalt geschaffen werden oder die EU direkt Schulden aufnimmt.

Fürchten Sie eine gewaltige Verschuldu­ng durch die Corona-krise? SCHNITZER Die Verschuldu­ng wird durch die Krise steigen, und wir müssen verhindern, dass sie allein den künftigen Generation­en aufgebürde­t wird. Die sind ohnehin schon durch die Folgen des Klimawande­ls und durch den demographi­schen Wandel belastet. Wir können sie nicht auch noch mit den Corona-schulden alleine lassen.

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FOTO: DPA Die Wirtschaft­sprofessor­in Monika Schnitzer steht im großen Treppenhau­s der Ludwig-maximilian-universitä­t in München, wo sie lehrt und forscht.

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