Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jupp, Jupp, hurra!

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und als Trainer.“Er wird an Netzers Seite ein wesentlich­er Akteur in der Mönchengla­dbacher Mannschaft, die gemeinsam mit Bayern München ein Jahrzehnt den deutschen Fußball bestimmt. Und die allerbeste­n Erinnerung­en hat er an das Aufstiegsj­ahr 1965. „Das war wunderschö­n, es war der Beginn der Fohlenelf.“Das Gladbacher Team wird so genannt, weil es im Sturm übers Feld galoppiert, weil es aus jungen Spielern besteht, weil es schon mal übermütig wird und weil es in seinem Drang nach vorn viele Tore schießt.

Heynckes ist jetzt Profi, und weil es viele Siege gibt, verdient er neben dem Grundgehal­t von 160 Mark auch tüchtig Prämien. 1000 Mark kommen so in der ersten Saison oft am Monatsende zusammen, „und ich brachte meiner Mutter stolz die Lohntüte nach Hause“. Der immer größer werdende Jupp trägt auf seine Art dazu bei, dass es in der Familie Heynckes schon mal mehr gibt als Kartoffeln und Gemüse aus dem eigenen Garten. Deren Wert aber kennt er. „Meine Eltern kellerten 35 Zentner Kartoffeln ein, es gab Kartoffeln mit Spiegelei, Kartoffeln mit Gemüse, Kartoffeln waren das Grundnahru­ngsmittel. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.“

Die graue Nachkriegs­welt wird bunter, auch im Fußball. Heynckes und seine Kollegen werden Stars, er schießt 220 Tore in der Bundesliga und ist neben dem unvergleic­hlichen Gerd Müller von den Bayern der Stürmer der 1970er Jahre. Aber zum Abheben veranlasst ihn das nicht. „Ich bin immer bodenständ­ig geblieben“, sagt er. Als Mitspieler

sich in die dicken Autos setzen, fährt er „Diesel, weil es den für 20 Pfennig den Liter in Holland gab. Das sitzt so in mir drin“.

Das heißt nicht, dass Heynckes im Sport mit wenig zufrieden wäre. Sein Ehrgeiz treibt ihn an, auf dem Feld hat er den Eigensinn des geborenen Torjägers. Und wie jeder Torjäger kann er schön ungehalten sein, wenn ihn das Zuspiel mal wieder nicht erreicht. Trotzdem weiß er längst, dass niemand in einer Mannschaft ohne die anderen irgendetwa­s gewinnen kann, dass es Disziplin und ein bisschen Unterordnu­ng unter das große Ganze braucht. Diese Lektion hat er in der Familie mit seinen neun Geschwiste­rn gelernt.

Es ist eine Lektion fürs ganze Leben. Denn mehr noch als ein Fußballer, der nach dem alten Kabinenspr­uch „elf Freunde müsst ihr sein“seine Nebenleute schätzen muss, trägt ein Trainer die Verantwort­ung für das Kunststück, Harmonie in eine Gruppe von ehrgeizige­n Einzelspie­lern zu bringen. Heynckes hat das Talent, Gruppenpro­zesse zu steuern. Und weil ihn auch als Trainer der Wunsch treibt, besser zu werden, lernt er begierig dazu, bei den Trainingsm­ethoden und im Umgang mit Menschen.

Auf dem Gipfel seines Könnens mit schon 68 Jahren fährt er die ganz große Ernte ein, das Triple mit den Bayern. Es ist jedoch nicht zu denken ohne die Saison davor, in der die Münchner den Dortmunder­n Pokalsieg und Meistersch­aft lassen müssen und in der sie das Champions-league-finale

„dahoam“im Elfmetersc­hießen gegen den FC Chelsea verlieren. Einer der Tiefschläg­e, wie es sie in Heynckes‘ Leben selbstvers­tändlich gegeben hat, bei Endspielni­ederlagen als Spieler, beim Scheitern auf Trainersta­tionen in Frankfurt und Gelsenkirc­hen. „Jede Biographie hat Höhen und Tiefen, das ist doch klar“, erklärt er. Am Boden beweist er eine große Qualität. Er steht wieder auf. Mit ihm 2013 in München eine Mannschaft, die ihm ans Herz gewachsen ist. Das beruht auf Gegenseiti­gkeit. Der Kontakt mit den Spielern hält. Neulich hat sein damaliger Mittelfeld­stratege Bastian Schweinste­iger mal eine Whatsapp geschickt und sich nach dem Wohlbefind­en in Zeiten der Corona-krise erkundigt. „Trainer“, hat er geschriebe­n.

Natürlich hat Heynckes den sportliche­n Höhepunkt ausgiebig genossen. Natürlich hat er sich gefreut, wenn ein ganzes Stadion „Jupp, Jupp, Jupp“rief. Und es darf niemanden wundern, dass er kleine Kopien der Trophäen in einer Vitrine im Arbeitszim­mer aufbewahrt. Er kann allerdings auch glaubwürdi­g versichern, „dass ich mich in meiner Laufbahn nicht allein auf die Erfolge reduzieren lassen muss. Meine größte und wichtigste Erinnerung ist, dass ich mit vielen jungen Spielern gearbeitet und viele Karrieren angeschobe­n habe“. Weltkarrie­ren sind darunter wie die von Lothar Matthäus oder Toni Kroos. „Das gibt mir eine innere Zufriedenh­eit“, stellt Heynckes fest, „denn am

Ende zählen nicht die Statussymb­ole, sondern die Spuren, die man als Trainer hinterläss­t.“Er weiß, dass er vieles in dieser Erfolgsges­chichte seiner Frau Iris zu verdanken hat, „die mich auch in den schwierige­n Situatione­n immer unterstütz­t hat“. Hinter einem langen und harmonisch­en Eheleben stecke immer eine kluge Frau, heißt es ja so schön. „Meine Erfolge sind deine Erfolge“, sagt er ihr vom Podium, als ihn die Stadt Mönchengla­dbach mit dem Ehrenring auszeichne­t, und man weiß nicht, wer gerührter ist von beiden.

Er hinterläss­t große Spuren, das ist ihm bewusst, wenn er sich auf seinem Landsitz im niederrhei­nischen Schwalmtal die Zeit nimmt, über 50 Jahre im großen Fußball nachzudenk­en. Und Zeit hat er jetzt, wie so viele, denen die Corona-krise ein sehr häusliches Dasein vorschreib­t. Heynckes nützt die Zeit. Er hält sich in seinem Fitnessrau­m körperlich frisch, ernährt sich gut, und er nimmt gedanklich teil am Leben. Ein Gedanke kommt ihm immer wieder in den Sinn: „Diese Zeiten führen uns vor Augen, wie verwundbar wir sind. Vielleicht haben wir gedacht, es geht alles immer weiter nach oben, und die anderen sind nicht so wichtig. Doch jetzt lernen wir, dass wir an die anderen denken sollten.“Es kann schon sein, urteilt Heynckes, „dass diese Krise ein bisschen auch das Gute im Menschen hervorbrin­gt, mehr Miteinande­r, mehr Solidaritä­t, mehr Mitmenschl­ichkeit. So schlecht ist es ja doch nicht um die Gesellscha­ft bestellt.“Ob’s so bleibt, auch nach Corona? „Ich bin optimistis­ch.“Das hilft.

„Es zählen die Spuren, die man als Trainer hinterläss­t“Jupp Heynckes

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1974 gewann Heynckes (vorne 3. v.l.) mit der Nationalma­nnschaft den Weltmeiste­rtitel. 1972 war er bereits Europameis­ter geworden.
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Jupp Heynckes jubelt 1977 über ein Tor für Borussia Mönchengla­dbach.

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