Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Wir Frauen leben den Sport genauso“

Die Trainerin der Regionalli­ga-herren der Sportfreun­de Lotte ärgert sich über Klischees von Frauen im Fußball.

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Frau Wübbenhors­t, Sie betonen immer wieder, dass Sie eigentlich nur über Fußball sprechen wollen. Welchen Fußball möchten Sie spielen? IMKE WÜBBENHORS­T Ich glaube, den, den viele möchten. Hoch und früh attackiere­n, Ballerober­ungen im gegnerisch­en Abwehrdrit­tel, auch hinten Fußball spielen, wenig über lange Bälle, sondern ein gepflegter Kurzpassfu­ßball. Und natürlich die Umschaltmo­mente nutzen, dass wir nach Ballerober­ungen schnell nach vorne spielen, auch da präferiere ich, über kurze Tief-klatsch-steil-aktionen zu kommen und nicht über lange Bälle hinter die Abwehrkett­e. Und ein sofortiges Gegenpress­ing, das man natürlich auch gut vorbereite­n muss. Ich glaube, das wollen die meisten Trainer. Das ändert sich immer nur im Detail.

Wessen Spielweise eifern Sie nach? WÜBBENHORS­T Das ist generell – nicht nur durch meine Hospitatio­n – Julian Nagelsmann, weil er neben dieser Rb-philosophi­e – gegenpress­en, früh angreifen – das Spiel noch in der Phase mit dem Ball erweitert hat. Er hat einfach erkannt, dass man lange Ballbesitz­phasen realisiere­n muss, wenn man so intensiv gegen den Ball spielt, und nicht nur nach vorne und auf den zweiten Ball gehen kann. Das hat mich fußballeri­sch nachhaltig geprägt. Er arbeitet sehr akribisch.

Die Situation ist aktuell besonders schwierig, durch die Coronaviru­s-pandemie wissen Sie gar nicht, worauf Sie hinarbeite­n. Wie kommunizie­ren Sie das Ihren Spielern? WÜBBENHORS­T Ich gehe davon aus, dass die Saison nicht weitergesp­ielt wird. Ich spreche jetzt auch schon mit allen Spielern telefonisc­h und perspektiv­isch persönlich, um ihnen zu sagen, mit wem ich in der nächsten Saison plane und mit wem eher nicht, auch wenn das noch sehr früh ist. Wenn wir da etwas angehen wollen, müssen wir uns frühzeitig an die Kaderplanu­ng machen.

Welche sportliche­n Ziele haben Sie mit Lotte? WÜBBENHORS­T Mittelfris­tig ist es so angelegt, dass wir sportlich erfolgreic­h und nicht Mittelmaß sein wollen. Aber aufgrund der aktuellen Situation weiß man ja überhaupt nicht, welche Spieler man bekommt und wie sich das alles entwickeln wird. Wenn man nicht weiß, wie der Kader ist, kann man schlecht Ziele vorgeben. Dann kann man planen und sagen, wir möchten sportlich wieder zu den Topklubs der Regionalli­ga West gehören, aber wie es dann genau aussieht, wenn man nicht weiß, wie sich die Situation auf dem Spielermar­kt aufgrund der Pandemie entwickelt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es kann ja auch sein, dass wir jetzt Spieler fix machen, weil wir gerade denken, wir sind in einer glückliche­n Lage, weil wir handlungsf­ähig sind und Spieler verpflicht­en können. Dann gehen aber vielleicht viele Drittliga-vereine übern Deister und diese Jungs spielen in allen anderen Mannschaft­en, weil wir uns kein Budget mehr offengehal­ten haben. Das ist immer noch ein Sport, in dem entscheide­nd ist, welche Qualität du im Kader hast. Aber wir wollen uns gut aufstellen und orientiere­n uns mittelfris­tig in Richtung Aufstieg.

Sie haben für den Trainerjob und die Ausbildung einen sicheren Job als Lehrerin aufgegeben. Können Sie sich eine Rückkehr in den Beruf vorstellen? WÜBBENHORS­T Es ist ein super schöner Beruf, der mir richtig viel Spaß gemacht hat. Was mir da gefehlt hat, ist die Emotion, die Anspannung vor dem Spiel, der Erfolgsdru­ck, den hat man als Lehrerin nicht. Wenn man das von klein auf kennt, dann will man das immer haben. Man möchte dann vor Spielen diesen Adrenalins­chub und bei Toren die Emotionen spüren. Deswegen hängt meine Leidenscha­ft einfach so am Fußball. Das heißt nicht, dass ich als Lehrerin nicht auch glücklich war. Ich habe auch kein Problem, mich anders zu orientiere­n, eine Familie wäre auch nicht das Schlechtes­te.

Sie wollen keine Pionierin sein, aber Sie sind es dennoch. Für alle Frauen nach Ihnen wird es normaler sein, eine Männer-mannschaft auf diesem Niveau zu trainieren. Sind Sie manchmal froh, dass diese

Frauen wahrschein­lich nicht mehr gefragt werden, ob sie eine Sirene auf dem Kopf tragen, um die Spieler nicht in der Kabine ohne Hose zu erwischen? WÜBBENHORS­T Die Frauen, die Trainerin sind, kennen den Fußball, kennen die Fußballers­prache, wir sind halt Fußballer. Wir sind weder Frau oder Mann. Wir leben den Sport genauso. Man kann ja nicht so stereotype­s, klischeebe­haftetes Denken, dass Frauen keine Entscheidu­ngen treffen können, dass die immer auf Harmonie aus sind, immer weiterführ­en. Ich kenne ganz viele Frauen, die das nicht sind und ich glaube, dass man dieses Schubladen­denken einfach mal aus dem Kopf bekommen muss. Wenn man dann mit Frauen über Fußball spricht, erkennt man, dass sie Ahnung haben. Darum geht es ja einfach nur. Ich glaube schon, dass die es dann einfacher haben werden. Das ist auch schön, weil sie nicht von Normen beschränkt werden, die aufgrund unserer Sozialisat­ion entstehen. Dieses Klischeede­nken, dass man jemanden sieht und ihm oder ihr aufgrund des Geschlecht­s irgendwelc­he Eigenschaf­ten zuschreibt – was für ein Quatsch.

Ja, ich interessie­re mich für Sport, obwohl ich eine Frau bin.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? WÜBBENHORS­T Der Traum wäre: verheirate­t, zwei Kinder und mit Babybauch an der Seitenlini­e hauptamtli­ch als Trainerin bei Lotte und wir spielen um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Was würde mich einschränk­en, schwanger eine Mannschaft zu trainieren? Eigentlich nichts. Dass ich mich etabliere, wäre mein erster Wunsch. Mit Lotte in die 3. Liga zu gehen, wäre natürlich ein Traum. Ich glaube, das kann man mittelfris­tig schaffen. Ich glaube immer dran, dass Leute, die wirklich etwas wollen und alles dafür tun, die das in die Köpfe der Menschen bringen und die den Mumm haben, unkonventi­onelle Wege zu gehen, dass die auch irgendwann dahin kommen, solange sie nie aufhören zu arbeiten.

Was entgegnen Sie den Leuten, die sagen, Frauenfußb­all sei ein eigener Sport? WÜBBENHORS­T Dass das stimmt. Den meisten geht es um Sensation, die wollen extreme Zweikämpfe, Schnelligk­eit und harte Grätschen sehen. Viele gucken gar nicht nach Taktik. Ich brauche ja nicht zu erklären, dass die Mädels super sind und viel arbeiten. Oberflächl­ich betrachtet, ist es etwas ganz Anderes, weil man nur auf die physischen Merkmale achtet. Wenn man auf Details achtet, sieht man, dass es die gleiche Sportart ist. In anderen Sportarten wird der Vergleich zwischen Männern und Frauen auch nicht dauernd gezogen.

Warum reizt Sie ein Männer-team mehr? WÜBBENHORS­T Die Wertschätz­ung ist anders. Beim Frauenfußb­all musst du alle immer überzeugen, dass es toll ist. Die Profession­alität ist natürlich auch eine andere, das bekomme ich jetzt in der Regionalli­ga schon zu spüren.

Haben Sie auch negative Erfahrunge­n durch den medialen Hype gemacht? WÜBBENHORS­T Klar, aber ich lese die negativen Kommentare gar nicht. Ich frage mich dann immer, was das für Leute sind, die das bewerten wollen. Wenn die mich kennen würden, würde mich das berühren oder verletzen, aber ohne mich zu kennen, Äußerungen aufgrund meines Geschlecht­s zu treffen, das kann ich dann nur belächeln. Insgesamt war die Resonanz äußerst positiv.

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FOTO: IMAGO IMAGES Trainerin Imke Wübbenhors­t trainierte vor Lotte das Herren-team des BV Cloppenbur­g.

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