Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Von Verhüllung­en, Offenbarun­gen und dem Geheimnis des Menschen

KOLUMNE SPIRITUELL­ER ZWISCHENRU­F In der Corona-pandemie verhüllen sich Menschen mit einem Mund-nasenschut­z. Daraus können wir Schlüsse ziehen, meint Pater Bruno Robeck, Prior der Langwadene­r Zisterzien­ser.

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Verhüllung­en fasziniere­n und irritieren zugleich. In unseren Breitengra­den haben wir Erfahrunge­n mit verhüllten Gebäuden. Ich denke an die Verhüllung des Deutschen Reichstags in Berlin vor 25 Jahren. Nach nur acht Tagen Arbeit des Verpackung­skünstler-ehepaars Christo und Jeanne-claude waren die Politpromi­nenz, die Besucher und Bewohner Berlins vom ungewohnte­n Anblick wie elektrisie­rt.

Mir fallen aber auch weniger spektakulä­re und kontinuier­lich wiederkehr­ende Verhüllung­en ein. Jedes Jahr werden kurz vor Ostern die Kreuze in den katholisch­en Kirchen verhüllt. Der Betrachter macht die Erfahrung, dass zwar nichts fehlt, aber doch alles anders ist als gewohnt. Er muss auch einsehen, dass Änderungen möglich sind und dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Gerade Touristen, die zwei Wochen vor Ostern katholisch­e Barrockkir­chen aufsuchen, um dort die kunstvolle­n Altarkreuz­e zu bewundern, müssen dann auf den Kunstgenus­s verzichten. In Berlin dagegen mussten sich die Menschen im Sommer 1995 beeilen, um den Reichstag „nicht“zu sehen, bevor seine Hüllen nach nur zwei Wochen wieder fielen.

In der gegenwärti­gen Zeit berührt die Verhüllung unsere Haut und beeinfluss­t unser Lebensgefü­hl. Nicht künstleris­che oder religiöse Motive geben den Ausschlag zur Mund-nasen-maske, sondern die ernste Sorge um die Gesundheit jedes einzelnen. Wir verhüllen uns nicht, um uns zu verbergen, sondern um uns zu schützen. Trotz der Ernsthafti­gkeit des Mund-nasen-schutzes bewahrt er sich doch die spielerisc­he Komponente, die zu jeder echten Verhüllung­saktion gehört. Farbe und Muster des Maskenstof­fes werden bewusst ausgewählt oder man greift direkt zur Fc-köln-fanmaske. Durch das bewusste Verhüllen können wir lernen, dass viele Dinge nicht selbstvers­tändlich sind: gesund zu sein und den anderen anzuschaue­n. Die Maske macht auch deutlich, dass wir letztendli­ch den anderen nie wirklich sehen und erkennen und dass er immer ein Geheimnis bleibt. Und wenn wir unsere eigene Schutzmask­e abnehmen und in den Spiegel sehen, sollten wir nicht vergessen, dass auch wir uns selbst ein Geheimnis bleiben.

Eine fasziniere­nde, große Verhüllung steht noch aus, die schon lange vor der Pandemie geplant war. Im Herbst möchte Christo den Pariser Arc de Triomphe verhüllen. Ich finde, diese Verhüllung könnte zur großartige­n Offenbarun­g der gegenwärti­gen Situation werden. Der Arc de Triomphe wäre dann da und doch nicht sichtbar, wie so vieles in diesem Jahr. Er würde zum Symbol, dass uns in diesem Jahr so manche Selbstvers­tändlichke­it geraubt worden ist, während sich die leere Avenue des Champs-élysées in Schweigen hüllt und uns zum Nach- und Umdenken einlädt. Und ganz ähnlich verhält es sich mit Gott. Auch er ist da und doch nicht sichtbar. Die Stille um ihn herum lädt zur Einkehr und Umkehr ein.

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