Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das Geheimnis der Taube in Pink
Ein Vogel mit signalfarbenen Flügeln vor stahlblauem Himmel – dahinter steht offenbar ein Kniff von Taubenzüchtern.
GREVENBROICH Blaue Stunde über Orken, ein Sonnentag neigt sich seinem Ende zu. Plötzlich entdeckt Tanja Faulhaber an der Ecke Goethestraße/königstraße etwas Merkwürdiges: Eine Taube mit pinken Flügeln flattert zwischen den Häusern umher. Auch der zweite und dritte Blick bestätigt: Da ist ein schrillbunter Vogel unterwegs.
Tanja Faulhaber ist begeisterte Hobbyfotografin, aber in diesem Moment hat sie nur ihr Handy zur Hand. Immerhin ist die pinke Taube von Orken so dokumentiert. Und damit beginnt ein Rätselraten darüber, was wohl hinter der Färbung steckt. Handelt es sich um einen Lausbubenstreich? Waren Tierquäler am Werk? Weder noch, weiß der Grevenbroicher Taubenzüchter Heinrich Bayer: „Einige meiner Kollegen hoffen, dass die Signalfarbe auf den Flügeln die Tauben gegen Greifvögel schützt“, erklärt er.
Dieser Trick ist offenbar über alle Grenzen hinweg verbreitet. Wer die Suchmaschinen im Internet bemüht, stößt sogar auf ein „Merkblatt zum Einfärben der Flugtauben“, herausgegeben in der Schweiz. Dieses startet mit einer Erörterung darüber, ob das Einfärben von Tauben gegen die Würde des Tieres – und damit gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Fazit in diesem Punkt: Da die Tauben vor Greifvogel-attacken geschützt werden sollen, sei dies nicht der Fall.
Die Schweizer empfehlen, ein Markierungsspray für Rinder und Schweine zu verwenden, um Taubenflügel einzufärben. Vor allem Signalfarben wie Rot – oder in Orken Pink – hätten sich bewährt. Dadurch passen die Tauben nicht mehr ins Beuteschema der Angreifer. „Ich kenne Züchter in Jüchen und Neuss, die das machen. Ich selber halte davon nichts – die Tiere sehen hinterher unnatürlich aus. Das gefällt mir nicht“, sagt Heinrich Bayer.
Zwischen Grevenbroicher Taubenzüchtern und Naturschützern ist es in der Vergangenheit wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Die sahen ihre Brieftauben in Gefahr, weil in der Region mittlerweile zu viele Greifvögel
unterwegs seien. Naturschützer wie Norbert Wolf, ehemals Umweltbeauftragter der Stadt, haben diesen Vorwurf immer zurückgewiesen. Falls Brieftauben von einem Wettflug nicht zurückkehrten, könne dies zahlreiche Ursachen haben, nicht bloß Angriffe durch Greifer.
Taubenfreunde beklagten hingegen, dass Greifvögeln von Menschenhand geschaffene Nistmöglichkeiten angeboten werden – etwa am Kühlturm des Kraftwerks in Frimmersdorf oder auf Braunkohlebaggern. Fest stehe, dass sich die Greifvögel in den zurückliegenden Jahren stark vermehrt haben und dass dadurch eine Überpopulation entstanden sei, sagt Heinrich Bayer: „Mir kommen pro Jahr bis zu 40 Tauben abhanden.“Da müsse man sich natürlich etwas zum Schutz seiner Tiere überlegen.
Zum Beispiel die Sache mit den bunten Flügeln. Eingefärbt würden dabei nur die Flügelunterseiten. „Wanderfalken greifen die Tauben von unten her an“, erläutert Heinrich Bayer. Die Flugfähigkeit der Tiere werde dadurch nicht beeinträchtigt, sofern man die Farbe nicht zu dick auftrage – heißt es in dem Merkblatt aus der Schweiz. Damit der Signalton rasch trockne, sollten die Tauben nach dem Feder-färben einfach eine Runde fliegen. Solange die Taube anschließend in ihrem Schlag hockt, sei von der Sonder-farbe nichts zu sehen. Erst wenn sie in die Lüfte aufsteigt, hebt sich das Tier auffällig vom Himmel ab. Unerforscht scheint zu sein, ob sich Greifvögel an die bunten Beutevögel
gewöhnen – und der Schutz der Farbe mit der Zeit nachlässt.
Heinrich Bayer schwört auf eine andere Methode, um seinen gefiederten Rennpferden der Lüfte zumindest den Start zu erleichtern. „Ich spiele unmittelbar vorher drei bis vier Minuten lang eine CD mit Uhu-rufen ab“, sagt der Grevenbroicher. Dies vertreibe Greifvögel seiner Erfahrung nach zuverlässig.
Heinrich Bayer hat im Alter von sieben Jahren angefangen, sich mit Brieftauben zu beschäftigen. „Mein Opa hat mich zu diesem Hobby gebracht. Heute ist der Mann 69 Jahre, längst im Ruhestand. Doch die Faszination der Taube hat ihn bisher nicht losgelassen. Bei den Tauben im Schlag zu sitzen, bringe ihn zur Ruhe; die Wettflüge am Wochenende sorgten für Hochspannung. „Wir sind allerdings Vertreter eines aussterbenden Hobbys; ich sage immer: der Club der alten Männer.“