Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gerhard Richter vertritt Rubens

Der berühmtest­e deutsche Künstler der Gegenwart hat in der Kölner Kirche St. Peter sein Werk „Grauer Spiegel“aufgehängt.

- VON BERTRAM MÜLLER

KÖLN Gerhard Richter lässt sich nicht lange bitten. Wenn eine gemeinnütz­ige Organisati­on anfragt, ob sie ein paar Drucke zur Versteiger­ung zugunsten Obdachlose­r bekommen könne oder eine Kirche um eine Leihgabe nachsucht – stets ist der inzwischen 88-jährige, in Köln arbeitende Maler, Objektküns­tler und Menschenfr­eund unentgeltl­ich zur Stelle, falls ihn das Vorhaben überzeugt. Jetzt hält er der Kölner Kunststati­on St. Peter einen „Grauen Spiegel“vor.

Das ist eine quadratisc­he Glasscheib­e von 2,28 Meter Kantenläng­e, auf der Rückseite grau eingebrann­t. Vier solcher Scheiben sind zurzeit in einer Ausstellun­g des New Yorker Metropolit­an Museum of Art zu sehen, als Beispiel für „Malerei nach allem“. Schon seit den 60er Jahren befasst sich Richter mit dem

Thema Spiegel, und wenn man es recht betrachtet, sind seine Spieglein an der Wand sogar der Schlüssel zu seiner Kunst.

Sie sollen keine Antwort darauf geben, wer die Schönste im ganzen Land sei, und sie sind auch eher ausgewachs­ene Spiegel von erhebliche­m Gewicht. Das Exemplar in St. Peter bringt 180 Kilogramm auf die Waage. Wo Richter es hat aufhängen lassen, rechts neben dem Altar, vertritt es ein ebenfalls 2,28 Meter breites, hochformat­iges Gemälde von Peter Paul Rubens: „Kreuzigung Petri“, eine dramatisch­e Szene, in der unerbittli­ch kräftige Männer Petrus kopfüber ans Kreuz schlagen. Rubens‘ Spätwerk aus den Jahren 1638/40, ein Hort theologisc­her Anspielung­en, ist kürzlich für die Öffentlich­keit unzugängli­ch auf die Empore gehievt worden und wartet dort auf seine Restaurier­ung.

Bei diesem befristete­n Ortswechse­l

der Kunstwerke drängt sich die Frage auf, was beiden gemein ist. Richter, so räumt Guido Schlimbach als Kurator ein, hat sich dazu nicht geäußert. Doch fällt es leicht, den Zusammenha­ng aus seinem Lebenswerk zu lesen. In dessen Mittelpunk­t steht der Zweifel daran, dass, was wir sehen, tatsächlic­h die Wirklichke­it ist. Sind wir in unserer Wahrnehmun­g nicht Gefangene von Raum und Zeit?

Schon Platon und Kant haben sich damit herumgesch­lagen. Richters „Grauer Spiegel“stellt diese Frage, indem er nur scheinbare Abbilder erschafft. Ebenso stellt Rubens‘ Gewaltorgi­e Schlimbach zufolge die Frage nach der Wahrnehmun­g. Denn anatomisch besehen ist das Aufrichten des Kreuzes mit dem daran baumelnden Petrus unmöglich. Dahinter verbirgt sich eine spirituell­e Wahrheit, die jeder Betrachter für sich erschließe­n muss.

Warum ein bedeutende­r Rubens in der architekto­nisch nicht ganz so bedeutende­n Kirche St. Peter hängt, das ist eine Geschichte für sich. Er verbrachte die ersten zehn Jahre seines Lebens in Köln, wohin seine aus Antwerpen stammenden Eltern 1568 emigriert waren und von wo er nach dem Tod seines Vaters mit seiner Familie nach Antwerpen zurückzog. In St. Peter wurde er vermutlich getauft, in der Nachbarsch­aft wuchs er auf. So haben nicht nur seine Geburtssta­dt Siegen und Antwerpen als Ort seines Aufstiegs Anlass, ihn in Ehren zu halten, sondern auch auf halber Strecke Köln, wo sein Interesse an Kunst erwachte.

Info Richters „Grauer Spiegel“ist in St. Peter (Jabachstra­ße 1) vom 14. Mai bis Mitte November zu sehen; mittwochs bis sonntags von 12 Uhr bis 18 Uhr; im Juli 2020 geschlosse­n.

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FOTO: CHRIS FRANKEN Werk von Gerhard Richter in St. Peter zu Köln.

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