Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schulen sollen digital aufrüsten

Viele Schüler in NRW werden noch lange ohne normalen Unterricht auskommen müssen. Für digitale Ersatz-angebote fehlt oft die richtige Technik. Lehrer und Eltern forden nun Hilfe von der Politik – und die Opposition schließt sich an.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Nur langsam kommt die Rückkehr von Schülerinn­en und Schülern in den Präsenzunt­erricht in Gang. Verbände und Experten fordern deshalb jetzt eine Digital-offensive, um den Rahmen fürs Lernen zu Hause zu schaffen. „Es ist gut möglich, dass es bis Ende des Jahres oder darüber hinaus nur teilweise regulären Unterricht gibt“, sagte Stefan Behlau, NRW-CHEF des Verbandes Bildung und Erziehung. „Also muss der Unterricht mit digitalen Lernmittel­n umso besser und verbindlic­her werden.“Ähnlich äußerte sich Sabine Mistler, Vorsitzend­e des Nrw-philologen­verbandes: „Auch nach den Sommerferi­en wird es wohl weniger Präsenzunt­errricht als früher geben. Also müssen wir das Distanzleh­ren stärker unterstütz­en.“Sigrid Beer, schulpolit­ische Sprecherin der Grünen im Landtag, drückt es so aus: „Es geht darum, den Bildungsau­ftrag der Schule als staatliche Aufgabe auch unter widrigen Umständen zu realisiere­n.“

Die Bildungsex­perten dringen darauf, dass das Land wo nötig alle Schüler mit brauchbare­n Endgeräten ausstattet. „Nur dann kann digitaler Unterricht verpflicht­end sein“, sagte Behlau. Es sei zwar lobenswert, wenn Berlin bundesweit 500 Millionen Euro für eine Digitaloff­ensive an Schulen anbiete. Doch der Zuschuss von 150 Euro pro Laptop oder Tablet für bedürftige Schüler müsse in NRW deutlich aufgestock­t werden, sagte Jochen Ott, Vize-chef der Spd-landtagsfr­aktion. „Es ist nicht richtig, wenn das Schulminis­terium diese Aufgabe an die Kommunen abschiebt.“Ott forderte zudem einen zentralen Einkauf für die Hardware.

„Andere Länder wie Hamburg, Bayern und Baden-württember­g sind bei der Digitalisi­erung deutlich weiter“, sagte Birgit Eickelmann, Pädagogikp­rofessorin von der Universitä­t Paderborn. „Es wäre klug, wenn sich das Land nun auch um die Endgeräte kümmert, möglicherw­eise auch in Kooperatio­n mit Partnern und den Kommunen.“Sie erinnerte daran, dass der Bund vor zwei Jahren fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpak­t bereitgest­ellt hatte, davon mehr als eine Milliarde für NRW. Doch abgerufen wurde nur wenig. „Es muss alles relativ unbürokrat­isch laufen“, sagte sie.

Doch nicht nur an der passenden Hardware mangelt es Bildungsex­perten zufolge in NRW. Sie dringen darauf, dass das Land Klarheit schafft, welche Messaging- und Videodiens­te zugelassen sind, damit Lehrer und Schüler sich austausche­n können – ein besonders wichtiger Punkt, solange kein normaler Präsenzunt­erricht möglich ist. Schulen und Kommunen improvisie­ren bislang in dieser Frage. „Viele nutzen einfach Video- oder Chatdienst­e, obwohl der Datenschut­z unklar ist“, sagte Regine Schwarzhof­f, Vorstand beim Elternverb­and NRW. Manche Lehrer würden die Datenschut­zdebatte gar dafür missbrauch­en, sich der Kommunikat­ion mit den Schülern zu entziehen.

Ein Vorbild, wie es funktionie­ren könnte, ist Baden-württember­g: Dort wurde Ende April eine

Profiversi­on des Schweizer Messenger-dienstes Threema für die Schulen freigescha­ltet. Die Nrw-landesregi­erung kündigte auf Anfrage an, bald eine Zusammenst­ellung zu dem Thema zu verteilen.

Als weitere offene Flanke an Nrw-schulen gilt das spärliche Angebot digitaler Dienste und Medien. So ist es unter Lehrern ein Dauerärger­nis,

dass die für sie gedachte Online-arbeitspla­ttform Logineo immer wieder überlastet ist. Das Schulminis­terium wies darauf hin, es habe kürzlich „didaktisch­e Hinweise für das Lernen auf Distanz“veröffentl­icht und mit Edupool eine „umfangreic­he Datenbank mit digitalen Lehrinhalt­en“bereitgest­ellt. Doch der große Wurf ist das nicht.

Wo die Reise hingehen kann, zeigen Bremen und die Stadt Düsseldorf. Bremen kaufte die Lernplattf­orm Itslearnin­g für das ganze Bundesland ein – für Wissenscha­ftlerin Eickelman ein „funktionie­rendes Beispiel“. Weil NRW einen solchen Schritt nicht wagte, schaffte Düsseldorf­s Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) Itslearnin­g für die Schulen seiner Stadt an, zusätzlich erwarb er noch 15.000 Tablet-computer. „Es muss nun schnell gehandelt werden“, sagte Eickelmann. „Und es muss umgedacht werden: Digital-unterricht ist nicht länger nur Beiwerk, sondern ein Stück Zukunft für Lehrer und Schüler.“Leitartike­l

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